Es war einer der ersten wirklich lauen Abende und als ich um kurz nach elf das Theater verließ, war ich kein bisschen müde.
Lothar tauchte neben mir auf. Zurzeit arbeitete er oft während der Abendvorstellungen.
„Soll ich dich heimfahren, Skara? Ich bin heute mal mit dem Auto". Er lächelte freundlich und ich lächelte zurück.
„Lieb von dir, aber das brauchst du nicht". Ich kam mir paranoid vor, aber jede Sekunde länger mit Lothar erhöhte die Chance, dass ich mich verplapperte oder er es herausfand. „Bist du sicher? Es ist wirklich kein Problem und du siehst ein wenig erschöpft aus".
Er hatte recht, als ich vorhin auf dem Klo gewesen war, hatte ich mich kritisch im Spiegel beäugt.
Jetzt fühlte ich mich zwar wach, aber mein Gesicht zeigte den Schlafmangel und Stress der letzten Tage.
Ich zupfte meine Haare unsicher ins Gesicht und haderte. Ubahn fahren, umsteigen und dann noch ein Stück laufen klang gar nicht so verführerisch, wenn ich auch nach Hause gefahren werden könnte.
Also sah ich Lothar an und lächelte noch ein mal. „Okay, dann fahr mich doch gern".
Er nickte und lotste mich zum Parkplatz. „Also gut, los gehts. Das Auto steht hinter dem Theater, aber du kannst auch noch eine rauchen, wenn du magst. Du hattest gar keine Pause".
Ich schüttelte den Kopf. „Nein, nein. Ich hab aufgehört".
Was? Ich hätte mir gern gegen die Stirn geschlagen.
Lothar blieb abrupt stehen. „Wirklich? Seit wann?". Er schaute mich ungläubig an. So würde ich mich auch anschauen. Ich rauchte seit 10 Jahren, mindestens. Und erst vor ein paar Tagen hatte ich rauchend neben ihm auf seinem Balkon gestanden. Noch nie hatte ich versucht aufzuhören.
„Ist neu, ne Eingebung. Ich hab da letztens nen Artikel gelesen ..." Und dann plapperte ich los und erzählte Lothar aus Nervosität eine ganz seltsame, psdeudowissenschaftliche Geschichte über das Rauchen mit Ende 20 und das man da noch aufhören kann und sich der Körper regeneriert oder so.
Lothar schmunzelte vor sich hin, während er den Wagen langsam in den nächtlichen Berliner Verkehr einfädelte.
Irgendwann hielt ich endlich meine Klappe und Lothar fragte: „Haben du und Henry euren Streit beiseitegelegt?".
Ich seufzte tief. Nachdenklich sah ich kurz aus dem Fenster. Lothar hielt an einer roten Ampel und ich beobachtete ein paar Teenager, die vor einem Döner standen und sich spielerisch schubsten. Einer schnippte gerade seine Zigarette auf den Boden. Rauchte denn jeder Mensch auf dieser gottverdammten Welt? Ich würde viel für einen Zug geben. Ich hatte immer gedacht, dass es mir nichts ausmachen würde. Aufzuhören meine ich. Wenn ich es nur aus dem richtigen Grund, für mein Kind, machen würde. Es stimmte nicht. Es war hart und es strapazierte meine Nerven. Ich wendete den Blick von den jungen Menschen ab und wieder Lothar zu.
„Es geht so", antworte ich ihm dann ehrlich auf seine Frage.
Es wurde grün. Lothar startete den Wagen.
„Magst du darüber sprechen?".
Himmel, nein. Keine Ahnung, wo man da anfangen sollte. Und die Hälfte, konnte ich eh nicht sagen.
„Wir müssen noch ein bisschen was klären, denke ich. Ich bin noch sauer auf ihn. Das mit Wien hätte er mich echt früher sagen müssen".
„Das mit Wien?". Lothar schielte irritiert zu mir rüber.
Och nö.In dem Moment als ich die Wohnungstür hinter mir schloss, hörte ich bereits Henrys Stimme: „Skara? Bist dus?".
Ich zog meine Schuhe aus und folgte den Worten in sein Zimmer.
Er saß am Schreibtisch und zeichnete flotte Skizzen mit einer geübten Handbewegung. Als ich im Türrahmen auftauchte hielt er inne und drehte sich zu mir.
„Wir war es auf der Arbeit?". Er streckte seinen Arm nach mir aus, ich ergriff seine Hand und ließ mich von ihm auf seinen Schoß ziehen.
Ich lehnte mich an ihn und legte meine Hand zärtlich in seinen Nacken.
„Gut, es war recht viel los. Dein Paps hat mich heimgefahren, das war sehr lieb". Ich kaute kurz zögernd auf meiner Lippe während Henry mir etwas antwortete. Dann legte ich kurz meinen Kopf auf seinem ab und murmelte: „Ich hab mich eventuell verplappert".
Er lehnte sich zurück, sodass wir uns jetzt wieder ansehen konnten. „Wie meinst du?"
„Dein Papa weiß das jetzt mit Wien, zumindest halb. Ich hab es erwähnt und ich fühle mich kein bisschen schlecht deswegen. Du hättest es ihnen sagen sollen... genau wie du es mir hättest sagen sollen". Trotzig erwiderte ich seinen Blick, der nun zu einem Schmunzeln wurde.
„Okay".
„Okay?"
„Ich hätte es sagen sollen. Ich rufe morgen an".
Er gab mir einen kleinen Klaps, was hieß, dass ich aufstehen sollte und ging dann in die Küche. Ich latschte ihm hinterher.
„Warum hast du es nicht erzählt?".
Ich verstand es noch immer nicht.
Henry zuckte mit den Schultern, zog ein Bier aus dem Kühlschrank und öffnete es lässig mit einem Feuerzeug.
Er hielt es mir fragend hin, ich schüttelte den Kopf, dann trank er selbst einen Schluck daraus.
„Ich dachte, wenn ich es sage, dann muss es auch klappen".
Ich ging zum Herd, stibitzte eine kalte Nudel aus dem Topf der darauf stand und sah ihn fragend an.
Henry verzog das Gesicht. „Naja ich bin jetzt Ende zwanzig. Entweder es wird langsam mal ein Künstler aus mir oder ich muss mir langsam nen realistischen Berufswunsch suchen".
Er grinste schief und ich wusste nicht recht, ob er das ernst meinte.
Henry haderte seit Jahren immer mal wieder damit, ob er nicht doch noch etwas lernen sollte, dass ihm ein sichereres Einkommen bescherte. Doch er war von ganzem Herzen Künstler. Der spektakuläre Durchbruch, den vielleicht einer von Hunderttausend schaffte, der blieb aus – bisher.
„Du bist Künstler", sagte ich einfach nur darauf und Henry wedelte mit seinem Drehzeug in der Hand, ging dann auf den Balkon, wohin ich ihm erneut folgte.
„Ja vermutlich schon. Aber ich möchte auch, dass Menschen meine Kunst sehen. Ich möchte, dass sie relevant ist und ich würde so gerne davon leben können", sprach Henry weiter und blies den Rauch seiner Zigarette in den Nachthimmel.
Wir saßen nun auf dem Balkon und ich lehnte mich im Stuhl zurück.
„Stell dir vor du seist wirklich schwanger gewesen, wie hätte ich das bezahlen sollen, ohne meine Eltern anzupumpen. Das ist echt das letzte, was ich will...".
Mein Magen zog sich zusammen. Ich sah sturr auf die Hausfassade gegenüber.
„Wien ist demnach für dich der Ort der Wahrheit, ja? Der Ort, an dem sich deine Künstlerkarriere entscheidet?". Meine Stimme klang seltsam neutral.
Henry zögerte kurz, ich hörte das Feuerzeug in seiner Hand aufflammen, ich sah noch immer geradeaus.
„Schon irgendwie, ja", sagte er dann.
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Trifolium
General FictionSkara sucht Abwechselung und findet Jelto. Die beiden verbringen einen gemeinsamen Sommer. Doch auch dieser Sommer endet irgendwann und mit ihm die gemeinsame Zeit. Schnell stellt Skara fest, dass sie eigentlich viel mehr braucht als einen Flirt, u...