Kapitel 91

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Als ich aufgelegt hatte, sah ich Henry schockiert an und er blickte nicht weniger geschockt zurück.
"Hast du gerade vor Charlotte deine Schwangerschaft geleugnet und dich mit ihr auf einen Wein verabredet?", fragte er mich und ich sah genau, dass er sich ein Grinsen verkniff.
"Es war ne Kurzschlussreaktion", antwortete ich und fasste mir an die Stirn.
"Was ist denn los mit mir?", fragte ich ein wenig fassungslos und dann begann sich auch ein Grinsen in meine Mundwinkel zu schleichen.
Henry beugte sich zu mir und drückte mir kopfschüttelnd einen Kuss auf die Stirn.
"Vielleicht solltest du die Chance nutzen, wenn ihr euch seht und mit Charlotte darüber reden", schlug er ernst vor. Ich kniff skeptisch die Augen zusammen.
"Wenn ich es Charlotte sage, sagt sie es Toni und Toni sagt es meiner Mutter und dann bin ich ...sind WIR im Arsch", erklärte ich, doch Henry verdrehte die Augen.
"Erstens: Irgendwann werden sie es erfahren müssen, zweitens: du bist ja nicht mehr 16 und drittens: wenn Charlotte sagt, dass sie es nicht verraten wird, dann glaub ich ihr das".
"Schön, ich glaube ihr nicht". Trotzig verschränkte ich die Arme vor der Brust.
"Schön, dann lass eben die Chance verstreichen, dir einen vernünftigen Rat einzuholen von jemand, der erst vor kurzem in deiner Situation war und weiß, was auf dich zukommt", Henry machte mich nach und verschränkte nun ebenfalls die Arme vor der Brust. Ich streckte ihm die Zunge raus.
"Dann rede du doch mit ihr", sagte ich und er nickte: "vielleicht mach ich das".

Als wir einige Stunden später im Bett lagen, konnte ich nicht schlafen.
Ich drehte mich vom Rücken auf die Seite, auf die andere Seite, auf den Bauch. Ich schmiegte mich an Henrys Brust, drehte mich energisch wieder weg von ihm. Strampelte die Decke weg, weil es plötzlich unerträglich warm war.
"Skara, es nervt", brummelte Henry irgendwann und drehte sich verschlafen zu mir.
"Sorry", murmelte ich und drehte mich ebenfalls auf die Seite. Unsere Gesichter waren jetzt nur wenige Zentimeter von einander entfernt.
"Was ist los?", fragte er sanft.
Ich seufzte. Wusste ich doch selbst nicht. Im Gegensatz zu so oft in letzter Zeit, waren es nicht rasende Gedanken, die mich wach hielten.
Mir war warm und ich hatte Hunger. Gleichzeitig war mir ein bisschen schlecht und jede Position ungemütlich.
"Holst du mir Schokolade?", fragte ich. "Und Chips".
Henry zog die Stirn in Falten und musterte mich.
Dann seufzte er und schlug die Decke beiseite. "Natürlich mein Schatz, Mutter meines Kindes."
Ich verdrehte die Augen.
"Möchtest du sonst noch etwas? Ein Glas Wasser?".
Ich sah ihn mit großen Augen an und antwortete euphorisch: "Coooolaaaa".
Er lachte leise und lief in die Küche.
"Ah hi Raphie, was geht?", hörte ich ihn sagen und Raphie begrüßte ihn ebenfalls.
Er schien gerade aus der Kneipe zurückgekehrt zu sein. Ich ignorierte das kurze Aufflammen der Gefühle Egon mittags. Ignorierte auch das dumpfe Gefühl, etwas verpasst zu haben. So viel verpassen zu werden.
"Willst du ne Kippe rauchen?", fragte Raphie an Henry gewandt und dieser bejahte nach kurzem Zögern.
"Ich bring vorher noch kurz Skara das hier rüber".
Ich hörte Raphie lachen. "Es ist fast halb drei und du bringst Cola, Schokolade und Chips ans Bett. Filmabend, Tage oder Herzschmerz?".
"Schwanger", flüsterte ich leise und mich hätte es wohl nicht gewundert, wenn es Henry rausgerutscht wäre.
Doch der lachte nur.
Wir mussten es Raphie sagen.

Ich wachte am nächsten Morgen auf, weil mein Handy klingelte.
Müde tastete ich danach und ging im Halbschlaf ran. Henry grummelt neben mir.
"Ja?", fragte ich lahm.
Gianna schrie mir panisch ins Ohr und ich war direkt hellwach. Gianna und panisch? Dann war es ernst.
"Skara Scheiße! Die Bullen sind hier und nehmen den ganzen Laden auseinander. Ich weiß nicht, was ich machen soll".
"Was?", fragte ich und setzte mich abrupt auf.
"Die Bullen sind hier im Eiscafé. Ich versteh gar nichts. Kannst du kommen? Bitte!".
Ich sprang aus dem Bett und kramte hektisch nach Hose und Shirt. Henry blickte mir überrumpelt nach.
"Ja, ja ich komme. Ich ruf mir ein Uber und bin so gut wie bei dir".
Wie legten auf.
"Was ist passiert?", Henry stand auf.
Ich antwortete nur: "Ruf mir bitte ein Uber zu Gianna und Tizi ans Eiscafé. Die Cops sind da".
Henry stellte keine Fragen und angelte direkt sein Handy vom Nachttisch.
Wenig später kam ich an der Plattenbausiedlung an und sah gerade noch, wie die Streifenwagen das Gelände verließen.
Ich rannte zum Eiscafé. Gianna stand davor. Sie sah plötzlich ganz schmal und verletzlich aus.
Ihre Haare standen wild vom Kopf ab, sie trug Pyjamahose und Sweatshirtjacke.
"Scheisse was ist los?", rief ich noch bevor ich bei ihr zum Stehen kam.
"Sie sagen die Bücher stimmen nicht. Sie sagen Papa hätte Steuern nicht gezahlt und dass er geklauten Scheiß verkauft hätte".
"Francesco? Niemals", ich schüttelte den Kopf.
Gianna starrte weiter vor sich hin.
"Sie haben Tizian mitgenommen", murmelte sie dann und steckte sich eine Zigarette an.
"Was?".
"Wegen Beamtenbeleidigung".
Ich ließ mich auf die Bordsteinkante sinken, Gianna setzte sich neben mich.
Wir starrten vor uns hin.
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte.
Gianna schien unter Schock zu stehen.
Sie hielt mir ihr Päckchen Kippen hin.
Ich schüttelte den Kopf.
Jetzt sah sie zu mir, zum ersten Mal.
"Ich bin schwanger", sagte ich nüchtern.
Ihre Augen weiteten sich minimal, dann blickte sie wieder vor sich.
Kurz war es still.
"Fuck", murmelte sie dann.
"Fuck", murmelte ich.

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