Ich lag in Mels Bett und starrte an die Decke. Ich hörte, dass sie in der Küche war, doch ich hatte keine Lust mich auch nur einen Millimeter zu bewegen. Ich ließ den gestrigen Abend Revue passieren und zog mir stöhnend die Decke über den Kopf. Heute war einer dieser Tage, die man am besten im Bett verbringt oder irgendwo anders, wo man nicht mit der Welt konfrontiert wird. Ich widerstand dem Drang Mel nach meinem Handy zu fragen und blieb stumm im Bett liegen, die Decke immer noch über meinem Kopf.
Mel kam in ihr Zimmer zurück und öffnete energisch das Fenster. „Aufstehen!", flötete sie betont gut gelaunt und ich stöhnte erneut genervt auf. „Ich hasse alles", sagte ich nur dumpf von unter der Decke und Mel riss sie mir einfach weg. Sie hielt mir eine Tasse Kaffee hin, ich nahm sie dankbar entgegen und stellte sofort meine Protestversuche ein. Mel setzte sich auf die Bettkante und sah mich an. „Wir beide gehen heute in Bib", sagte sie dann und ihr Ton machte deutlich, dass ich wohl kein Mitspracherecht hatte. „Du bekommst die Anfänge deiner Hausarbeit auf die Kette und ich fang endlich mein Essay an". Sie stand auf und ich tat es ihr nach kurzem Überlegen gleich. Ich könnte entweder mich selbst zu Hause im Bett hassen oder halt in der Bib und dabei wenigstens ein bisschen produktiv sein.
Also gingen wir in die Uni und verbrachten den halben Tag im Lesesaal der Bibliothek. Und ich kam tatsächlich endlich weiter und war ziemlich zufrieden mit mir. Ich recherchierte so vertieft, dass ich fast das Unglück des gestrigen Abends vergaß. Außerdem hatten Mel und ich unsere Handys im Spind gelassen und so kam ich auch gar nicht in Versuchung mit Jelto in Kontakt zu treten. Gegen Abend beschlossen wir Feierabend zu machen und packten ein. Um uns herum waren die meisten Plätze noch besetzt. Die Uni quoll über an Studierenden, die den etwas bewölkten Sonntag nutzten, um an ihren Abgaben zu arbeiten.
Als wir vor der Bib noch eine rauchen wollten, begegneten uns Ferdi und Raphael, die offensichtlich ebenfalls gerade Feierabend gemacht hatten. Ich wunderte mich sie zu zweit zu sehen, das war ungewöhnlich. Vermutlich war Henry beschäftigt und Raphi hatte eine Begleitung zum Lernen gesucht.
„Na ihr zwei", sagte ich und warf Mel einen prüfenden Blick zu, doch sie hatte ein Lächeln aufgesetzt. Ferdi gab erst ihr, dann mir zur Begrüßung einen Kuss auf die Wange und Raphael tat es ihm gleich. „Wo hast du denn gesteckt, Skara? Henry und ich haben dich heute Morgen vermisst". Mein Mitbewohner wackelte mit den Augenbrauen und ich schüttelte den Kopf. „Ich hab bei Mel gepennt", sagte ich dann nur kurz angebunden und Raphael zog die Augenbrauen zusammen, fragte aber nicht weiter nach. Neben uns unterhielten sich Mel und Ferdi ein wenig steif über die bald fällige Abgabe zu einem Seminar, das sie gemeinsam belegt hatten und irgendwie machte mich das traurig. Die zwei so zu sehen war ungewohnt und sollte nicht sein. Gestern Abend hatte Mel mir erzählt, dass sie Ferdi auf ihren Verdacht ansprechen wolle, weil sie die komische Stimmung zwischen ihnen nicht mehr aushielt und ich merkte gerade genau was sie meinte.
„Mel, wollen wir los? Ich hab Lust auf ne Pizza als Belohnung für die ganze Arbeit heute", sagte ich dann, um dem ganzen ein Ende zu machen und sie lächelte beinahe erleichtert. „Wollt ihr mit?", fragte sie dann trotzdem, vermutlich um nicht unhöflich zu sein, doch die Jungs lehnten dankend ab.
Mel und ich liefen schweigend nebeneinander her.
„Ich muss wirklich mit Ferdi reden", sagte sie dann nüchtern, als wir schon fast an der U-Bahn-Station waren. Ich nickte bestätigend. „Ja, das musst du".
„Und du mit Jelto. Hat er sich eigentlich bei dir gemeldet?" Ich zuckte mit den Schultern. Ich hatte nicht auf mein Handy geschaut, seit ich es aus dem Spind genommen hatte. Doch jetzt wagte ich es. 3 verpasste Anrufe und eine Nachricht von ihm. Die Nachricht war simpel: Skara, ruf mich zurück.
Ich schluckte, mein Herz klopfte. Das Bild von der Party gestern machte sich in meinem Kopf selbstständig und Kopfkino wurde angeschaltet. Bestimmt hatte er mit ihr geschlafen, bestimmt hatte er mit ihr im Bett gelegen und geredet, genau wie wir es immer taten. Ich schüttelte den Kopf, als könnte ich so die Gedanken löschen und sah Mel an.
„Ja das muss ich", sagte ich.
Doch nicht sofort, zuerst holten Mel und ich uns eine Pizza und setzten uns auf meinen Balkon.
Die Sonne stand tief zwischen den Häuserschluchten, goldenes Licht legte sich wie ein sanfter Schleier über die Stadt. Der Tag endete wesentlich schöner, als er begonnen hatte. Diese goldene Stunde der Nostalgie, wenn der Himmel ein Farbenspiel zeigte, das so schön war, dass man sich immer wieder daran erfreuen konnte und entzückt stehen blieb, um es zu betrachten. Wie viele Sonnenauf- und Sonnenuntergänge hatte ich schon gesehen und doch blieb ich für jeden einzelnen gerne kurz stehen, gönnte mir einen Moment der Ruhe und ließ mich vom Licht verzaubern. Ich seufzte wohlig und legte meine Füße auf einem der übrigen Balkonstühle ab. Genüsslich biss ich in ein Stück Pizza und sah zu Mel. Sie hatte ihr Gesicht mit geschlossenen Augen dem zarten Licht der langsam untergehenden Sonne zugewandt.
Und als es dunkel und die Pizza schon lange leer gefuttert war, verabschiedete sich Mel und ich blieb auf dem Balkon sitzen. Ein sanfter Luftzug, der um meine nackten Arme strich, ließ mich kurz frösteln, doch es war angenehm.
Ich holte mein Handy raus und tippte so schnell auf Jeltos Nummer, dass ich es mir gar nicht anders überlegen konnte.
Es klingelte ein paar mal, dann ging er endlich ran. Als er mich begrüßte klang seine Stimme ziemlich neutral. Was eigentlich weder positiv noch negativ war – ich ordnete es aber direkt negativ zu und fühlte mich in meinem Pessimismus bestätigt.
„Ich sollte dich zurückrufen", sagte ich betont gelassen und bemerkte, wie meine Stimme ihn imitierte. Ich klang fast ein wenig harsch und das entsprach so gar nicht meinen Gefühlen. Wie immer sah ich mich mit dem altbekannten Problem konfrontiert, meiner Stimmung und meinen Gefühlen keinen Ausdruck verleihen zu können und stattdessen mit Gleichgültigkeit zu reagieren.
„Kann ich vorbeikommen? Ich mag mit dir reden". Als er das entgegnete, beschleunigte sich meine Atmung. Ja und Nein. Ich wollte mit ihm reden, aber ich wollte vermutlich nicht hören, was er zu sagen hatte. Ein Haufen Fragen an ihn und an mich selbst fielen mir ein und auf viele davon wollte ich keine Antwort haben.
Ich war ja auch Fan davon ein Problem solange zu ignorieren, bis es vielleicht von selbst verschwand. Doch wenn ich kurz objektiv die Lage betrachtete, würde das hier wohl kaum passieren und außerdem wollte ich Jelto. Ich wollte Jelto und er eventuell ja auch noch mich.
Es war ne 50/50 Situation und so blieb mir nichts anderes übrig als ihm zu sagen, dass er natürlich vorbeikommen könnte. Eine Sache schwor ich mir allerdings, nachdem ich aufgelegt hatte. Sollte er mir etwas sagen, mit dem ich nicht gut leben konnte, dann würde ich nicht zustimmen, nur damit er blieb.
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Trifolium
General FictionSkara sucht Abwechselung und findet Jelto. Die beiden verbringen einen gemeinsamen Sommer. Doch auch dieser Sommer endet irgendwann und mit ihm die gemeinsame Zeit. Schnell stellt Skara fest, dass sie eigentlich viel mehr braucht als einen Flirt, u...