Kapitel 7

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Es war Nachmittag und viel zu warm. Jelto und ich warteten darauf, dass der bald eintretende Abend uns endlich den Weg aus seinem Zimmer ermöglichen würde. Seit gestern Abend war ich bei ihm und hatte jede Sekunde genossen. Seine Mitbewohnerinnen waren beide im Urlaub und so hatten wir die gesamte Wohnung für uns, was mich unter anderem in den Genuss von leichtbekleideten Kochsessions brachte. 

Müde lag ich auf seinem Bett, lauschte den leisen Gitarrentönen, die er, mit dem Rücken an der kühlen Wand lehnend, produzierte. „Was spielst du da?", fragte ich, doch eigentlich interessierte es mich nicht. Ich drehte mich auf den Bauch und musterte ihn neugierig. Er zuckte mit den Schultern. Sein dunkelbraunes Haar fiel ihm in die Stirn, seine Augen folgten den langsamen Bewegungen seiner Finger. Er sah aus, als ob er keine Sekunde darüber nachdachte, welchen Akkord er als nächsten greifen wollte. Die Melodie floss aus seinen Fingern heraus und sie war wunderschön. Ich drehte mich wieder auf den Rücken und starrte an die Decke.
Die Hitze machte träge. Es war einer dieser Sommertage, an denen die Luft dünn und schwer und voller Sehnsucht ist. Und dieses nostalgische Gefühl bringt, das traurig macht. Traurig auf eine bekannte und schöne Art und Weise.
Es fühlte sich an, als würde alles stehen, bis es endlich kühl genug war, sich wieder zu bewegen.  

„Lass uns schwimmen gehen, diese Wärme bringt mich sonst noch um", sagte ich, ohne die Augen von der Decke abzuwenden. Um aus der Stadt raus an einen der größeren Seen zu fahren, war es schon zu spät, aber vielleicht könnten wir ja zum Flussbad nach Köpenick fahren, das war nicht allzu weit. Und die Dahme war wohl ebenso erfrischend, wie der Wannsee.
Ich hörte wie Jelto die Gitarre zur Seite legte und aufstand. Kurz darauf ließ er sich neben mich auf sein Bett fallen und küsste mich. „Lass uns doch noch ein bisschen hier bleiben...", flüsterte er grinsend und spielte mit dem Saum meines Kleides. Ich sah ihn an und konnte einfach nicht widerstehen. Seine blauen Augen musterten mich. Ich mochte es von ihm gesehen zu werden. Ich fuhr ihm durchs Haar und zog seinen Kopf zärtlich ein wenig näher zu mir.

Wir lagen ausgestreckt nebeneinander, die Decke hatten wir von uns gestrampelt, der Schweiß glänzte auf unseren nackten Körpern. Ich hätte mich gerne an ihn gekuschelt, aber es war auch so schon viel zu heiß. Er hatte beide Arme von sich gestreckt, sein linker Arm lag oberhalb meines Kopfes und er spielte mit meinem Haar. Er erzählte mir von dem kleinen Ort in der Nähe von Husum, wo er aufgewachsen war. Wie schön der Sommer am Meer war und dass das Meer das einzige war, dass ihm an Zuhause fehlte.
Und als ich so neben ihm lag und seiner Stimme lauschte, die tief und rau war, bekam ich Angst. Dieses Gefühl, dass ich bei Jelto hatte, das hatte ich vorher noch nie gespürt. Diese Leichtigkeit des Seins, diese Stille in den Ecken meines Kopfes, wo es sonst nie ruhig war. Ich war gepackt von Tatendrang und trotzdem entspannt, wie nie. Ich hatte Angst, weil es so schön war. Weil so viel dadurch auf dem Spiel stand. Doch die richtig guten Dinge, die einem im Leben passieren, beginnen doch immer mit ein wenig Angst oder?

„Ich bin so froh, dass wir uns getroffen haben", sagte er, als hätte er meine Gedanken gelesen und sah zu mir herüber. „Du hast mir die letzten Tage gefehlt", ergänzte er noch.
Darauf wusste ich erst mal nichts zu sagen, oder ich wollte es nicht. Keine Ahnung.
Ich sah ihn einfach nur an und hätte platzen können vor Freude, dass es ihm so ging, wie mir. Ich küsste ihn, er lächelte und ich schätze in diesem Moment hatte sich irgendetwas verändert. Ich wusste nicht was genau, aber ich hatte das Gefühl, dass tief in mir drinnen eine Stimme wach geworden war, die ich bisher noch nicht kannte.

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