Kapitel 99

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"Kannst du mit Toni in die WG kommen? Ich möchte, dass ihr dabei seid, wenn Henry und ich mit meinen Eltern sprechen", fragte ich und setzte mich im Bett etwas auf. Mir war plötzlich wieder etwas schwummrig und übel.
Es war ja auch nur eine Frage der Zeit gewesen, dass diese schreckliche Übelkeit zurückkehren würde.
Charlotte sagte direkt zu. "Natürlich", meinte sie, ohne darüber nachzudenken, "Wann sollen wir da sein?".
Ich nahm mein Handy vom Ohr und warf einen Blick auf die Uhrzeit. Es war halb neun, Henry war schon aufgestanden und trank einen Kaffee auf dem Balkon. Vermutlich rauchte er eine. Ich wusste, dass er nervös war.

Ich sagte Charlotte, dass ich meine Eltern zu Kaffee und Kuchen eingeladen hatte. Um drei wären sie hier, Charlotte und Toni sollten im besten Fall früher da sein. Ich zögerte, sollte ich meinem Bruder vorher davon erzählen oder einfach alle gemeinsam einweihen.
"Wir kommen dann um zwei, passt dir das?", fragte Charlotte und ich sagte ihr, dass sie lieber doch gemeinsam mit meinen Eltern kommen sollten.
Charlotte antwortete, dass sie Toni einfach sagen würde, dass sie vergessen hatte, meine Einladung an ihn weiterzuleiten und dass er so keine Fragen stellen würde. Ich war ihr unglaublich dankbar.
Ich erzählte ihr noch, dass mir schlecht war und ich schlecht schlafen konnte und sie gab mir den Tipp, dass ihr Zitrone unglaublich gut gegen die Übelkeit geholfen hatte.
Ich legte auf und schälte mich danach aus dem Bett.

In der Küche traf ich Henry, er roch nach Rauch. "Wie geht's dir?", fragte ich. Er grinste und lehnte sich dann seufzend an die Küchenablage. "Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass ich mir keine Sorgen mache".
Ich trat vor ihn und schlang meine Arme um seinen Hals. "Egal, was sie sagen. Es ändert doch nichts".
"Ich möchte, dass sie auf unserer Seite sind".
Ich lächelte ihn traurig an. "Das waren sie doch nie".
Henry legte seine Hände an meine Hüfte. "Ich hatte gehofft, dass es mir auch nie wichtig sein würde".
Ihm war es immer egal gewesen, dass meine Eltern nicht viel von uns hielten. Es war ihm mit Sechzehn egal gewesen und auch heute spielte es für ihn keine Rolle. Bis jetzt offensichtlich. "Ich dachte nicht, dass es so viel mit mir machen würde", meinte er nachdenklich. "Ich hab Charlotte gefragt, ob sie und Toni dazu kommen", erzählte ich dann. Henry lächelte. "Gute Idee".

Die Stunden vergingen viel zu schnell. Ich hatte Charlottes Tipp befolgt und hatte ein Stückchen Zitrone abgeschnitten und es mir in den Mund gesteckt. Die Übelkeit hatte es nicht vertrieben, dann hatte ich mir einen Tee gekocht und Zitrone reingepresst. Den hatte ich ausgekotzt.
"Vielleicht ist dir schlecht, weil du nervös bist", sagte Raphi irgendwann, bevor er zu Ferdi verschwand zu mir und ich hatte vage genickt.
Als es um Punkt drei klingelte, gab ich ihm innerlich Recht. Denn ich dachte kurz mit Sicherheit, dass ich den Unfall vom Vorabend im Flur wiederholen müsste.

Meine Eltern kamen herein. Sie begrüßten uns freundlich, reichten mir einen Strauß Tulpen und bevor die Begrüßung zu Smalltalk wurde, klingelte es bereits erneut und Charlotte und Toni tauchten auf. Ich begrüßte Ella freudestrahlend und war so erleichtert, dass ich meine Nichte wieder wie gewohnt in die Arme schließen konnte und meine Nervosität vom letzten Mal vergessen war.
Am Küchentisch setzte ich mich zwischen Henry und Charlotte, neben Henry saß mein Bruder. Meine Eltern freuten sich über die Einladung. Ich hörte kaum zu, was erzählt wurde, als alle fröhlich den Kuchen aßen, den ich gebacken hatte.
Ich selbst aß nichts, ich bekam nichts herunter. Ich trank zwei Schlucke Kaffee und ließ auch den stehen. Charlotte machte einen tollen Job, denn sie berichtete meinen Eltern locker und freundlich von ihrem anstehenden Familienurlaub und Toni wippte Ella auf dem Schoß, während er und Henry über eine neue Ausstellung in einem Raum in Schöneberg sprachen, die sie beide besucht hatten. Ich beobachtete wie Henry ab und an mit Ella interagierte und mir wurde ganz warm.

"Gehts dir nicht gut, Skara?", fragte meine Mutter irgendwann.
Ich blickte sie überrascht an und wusste, dass das der Moment war. Das war der Moment der Wahrheit. Ich lächelte nervös und warf Henry einen schnellen Blick zu. Es wurde ganz still am Tisch.
Charlotte legte mir unterm Tisch eine Hand aufs Knie und knuffte es bestärkend liebevoll.
"Ich freu mich, dass ihr alle hier seid", sagte ich und seltsamerweise klang meine Stimme ganz klar und sicher. Sie spiegelte mein Innenleben nicht wieder.
Das war gut.
"Aber Henry und ich haben euch nicht ohne Grund eingeladen", sprach ich weiter und legte meine Hand auf seine. Er sah mich liebevoll an. Wir hatten ausgemacht, dass ich es sagen würde. "Aha", machte mein Vater. Meine Mutter musterte mich. Ich wünschte mir, dass ich ihre Gedanken in diesem Moment hören könnte.
Mein Bruder beugte sich neugierig zu mir. Er lächelte und gab mir dadurch die Sicherheit, die ich für meinen nächsten Satz brauchte.
"Wir erwarten ein Kind. Ich bin schwanger".

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