Kapitel 57

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„Spinnst du?", rief Henry, als ich nach etwa zwanzig Minuten erneut aus dem Theater trat. Er klang ein wenig wütend. Ich hatte ihn schließlich auch komplett überrumpelt. Und einfach für ihn mitentschieden. Ich biss mir unsicher auf die Lippe und ging auf ihn zu.
„Mensch Skara, du kannst mich doch nach so einer Aktion nicht mit deinen Eltern allein da stehen lassen", wetterte er weiter. Jetzt schaute ich richtig zerknirscht. Das hatte ich nicht bedacht.

„Wie haben sie reagiert? Wollten sie was fragen?". Ich trat näher an ihn heran. Er war nicht richtig böse, ein wenig angepisst aber schon. Ich griff nach seiner Hand.
„Keine Ahnung", jetzt grinste er schief und kratzte sich am Kopf. Seine Haare waren seit ein paar Wochen immer raspelkurz abrasiert. Ich fand, dass es ihm hervorragend stand. Meistens trug er eine Mütze, heute nicht.
„Ich hab nen Anruf vorgetäuscht. Leo braucht gaaanz dringend einen Rat".
Wir lachten gleichzeitig los.
Früher oder später müsste ich wohl mit meinen Eltern reden. Und sie würden Dinge wissen wollen. Ich wusste nicht, ob ich es bereuen sollte, dass ich Henry vor meinen Eltern geküsst hatte. Aber in dem Moment fühlte es sich so richtig an. Und so ein Impuls, der log doch nicht.


„Fandst du es blöd?", fragte ich ein paar Stunden später im Bett. Henry war schon fast eingeschlafen und öffnete jetzt müde seine Augen und blinzelte mich an. Ich drehte mich auf die Seite und musterte ihn aus wachen Augen. Mein Verstand war noch sehr aktiv und an Schlaf noch nicht zu denken.
„Skara, ich schlafe", murmelte er.
„Nein, tust du nicht. Du schaust mich an", entgegnete ich.
„Skara, ich will schlafen", korrigierte er sich.
Ich rückte näher an ihn ran und legte meinen Kopf in seine Halsbeuge.
„Sag ob dus blöd fandest", flüsterte ich und ich spürte wie er sacht seinen Kopf bewegte. Ein Kopfschütteln.
„Nein, fand ich nicht".

Aber er schien nicht alles zu sagen, was er dachte.
„Aber?", fragte ich also, denn es hörte sich so an, als würde eines folgen.
Henry seufzte und setzte sich ein wenig auf. Ich mich ebenfalls. Wir hatten nun etwas Abstand voneinander. Wir konnten einander ins Gesicht schauen.
Er sah mich nachdenklich an. Ich wurde nervös.
„Aber ich bin mir nicht sicher, was das bedeutet", erklärte er.
Plötzlich fühlte es sich so an, als seinen die Zentimeter zwischen uns Meter. Er fühlte sich schrecklich weit weg an. Meine Gedanken überschlugen sich und ich merkte, wie ich mir selbst Steine in den Weg legte.

Alles in mir schrie zurückrudern. Woher kam diese Angst? Ich wurde unglaublich wütend auf mich selbst. Woher kam diese blanke Panik vor einer Beziehung. Einer Beziehung mit Henry? Fragte ich mich. Oder einer Beziehung generell?
Ich atmete tief ein und aus, versuchte auf die gestörte Verbindung zwischen mir und meiner Gefühlswelt zu hören. Denn da kamen seit Monaten die gleichen Informationen.
Ich wollte Henry. Ich liebte Henry. Ich musste es riskieren.
Und wenn es noch einmal schief ging und ich ihn ganz verlieren würde? Für immer?

„Ich weiß nicht", hörte ich mich lahm sagen. Henry wirkte enttäuscht.
„Was willst du denn?", fragte ich. 
Er straffte die Schultern und sah mich ernst, aber nicht weniger liebevoll  an. 
„Ich will, dass wir es versuchen", begann er. "Und zwar richtig und ehrlich und offiziell. Wir beide, ein Paar. Ich will, dass wir es endlich hinbekommen und die ganzen letzten Versuche uns eine Lehre sind. Ich will dich und ich will, dass du mich willst. Ich will, dass wir uns mit dem Respekt und der Liebe behandeln, wie wir es bisher irgendwie nur als Freunde hinbekommen haben. Ich will, dass wir glücklich sind", er stoppte und holte Luft.

Mein Herz raste.
Mir wurde schwindelig.
Ich wollte das auch. Ich wollte das auch. Ich wollte das auch.
Ich brachte kein Wort heraus.

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