Kapitel 66

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Ein paar Tage darauf saß ich mit Raphi und Henry in einer Kneipe in der Rigaer Straße. Ferdi und Mel würden im Laufe des Abends noch dazu stoßen und später wollten wir tanzen gehen, denn Leo legte in einem Club hier in Friedrichshain auf. Mein Handy klingelte und Gianna war dran, ich lud sie ein sich uns anzuschließen und fragte mich direkt danach, ob das eine gute Idee gewesen war.
Keine Ahnung, ob es harmonieren würde. Naja. Zu spät.
Gianna tauchte etwa eine Stunde später auf, sie hatte Tizian und Charlie dabei. Ich begrüßte alle mit einem Kuss auf die Wange und bestellte direkt drei Bier. Raphi und Henry stellten sich vor, sie hatten sich vielleicht dreimal getroffen und das war eine Ewigkeit her.

„Was war so los bei dir in den letzten Wochen, haben uns lang nicht gesehen", fragte Tizian und wie immer klang er, als würde es ihn eigentlich gar nicht interessieren. Er hatte sich neben mich gesetzt und lehnte sich lässig in seinem Stuhl zurück, um ein Bein auf dem anderen abzulegen.
„Nicht viel. Uni, Arbeit, Leben. Das übliche", sagte ich und zuckte mit den Schultern. Tizian nickte. Charlie machte eine Kaugummiblase, ließ sie platzen und sah mich dann neugierig an. „Was macht die Liebe – was ist aus der komplizierten Sache geworden, von der du damals erzählt hast?".
„Sitzt am Tisch", meinte Gianna und nickte in Henrys Richtung. „Hab doch Recht oder?", fragte sie dann an mich gewandt und ich verdrehte die Augen.
„Na euch kann man ja einladen", murmelte ich, während Henry und Raphi anfingen zu lachen.
Tizian zog die Augenbrauen hoch und sah aus als wären ihm plötzlich ein Haufen Lichter angegangen.
„Aaaah. Der Skater".
„Boah Tizian", ich vergrub das Gesicht in den Händen.
„Wegen dir ist damals nichts  aus Skara und mir geworden", erklärte Tizian jetzt Henry großspurig. Es stimme ja nicht mal. Tizian war nie in mich verliebt gewesen oder hatte auch nur annähernd ernstes Interesse an mir gehabt, nur ich hatte immer zu ihm aufgeschaut. Er war aber auch cool. Ich war für ihn eher die kleine Schwester.
Jetzt schaute Henry verwirrt und ich wurde rot.
„Boah Tizian", sagte ich erneut.
Ich drehte mir eine Zigarette und steckte sie zwischen meine Lippen.
Tizian lachte, Charlie auch. Gianna warf Henry und Raphi einen Blick zu, der wohl zeigen sollte, dass sie ihren Bruder einfach ignorieren sollten.
„Ich zieh dich nur auf, Limone", sagte Tizian jetzt beinahe liebevoll und zündete mir meine Zigarette an.
Ich zeigte ihm den Mittelfinger.

Gianna verkniff sich ein Grinsen und begann dann Raphi auszufragen. Schnell hatten die beiden ein Gesprächsthema gefunden und verstanden sich super.
„So und ihr zwei seid jetzt ein Pärchen, ja?", fragte Charlie dann weiter und ich nickte.
„Ja süß! Ich könnts ja nicht", entgegnete sie dann und brachte Henry zum Lachen.
Tizian schüttelte den Kopf. „Das ist schon klar, Charlie", sagte er nüchtern.
„Ja Leute. Wie sollte ich mich denn bei so vielen schönen Menschen auf einen festlegen? Das geht doch nicht. Ich will doch nicht für Jahre nur Äpfel essen, wenn jeden Tag ein Obstsalat um mich herumschwirrt".
Tizian verdrehte die Augen.
Charlie hatte da auf jeden Fall einen Punkt.
Aber ich stellte fest, wie ich zu 100% gerade sagen konnte, dass ich froh war monogam zu leben. Na das hätte ich auch lange nicht gedacht.
Ging es Henry auch so? Oder sehnte er sich nach seinem Singleleben? Fehlte ihm das Flirten, das Knutschen, das Schlafen mit neuen Frauen?
Ich warf ihm einen Blick zu, doch er sah mich nicht an.
„Manche Leute wollen sich halt nicht durch den ganzen Kiez bumsen", sagte Tizian dann zu seiner besten Freundin. Charlie schnaubte. „Sagt der Richtige".

Als Mel auftauchte war es schon halb eins. Ferdi hatte es nicht mehr geschafft, was Raphi nicht zu stören schien.
„Oh dann lern ich dich auch mal kennen, wie schön", begrüßte sie Gianna und setzte sich direkt neben sie, um mit ihr zu quatschen. Tizian warf sie einen Seitenblick zu, ich sah ganz genau, wie sie ihn für attraktiv befand.
Da fragte ich mich, ob sie bereits mit Farid gesprochen hatte.
„Ey Mel", rief ich ihr zu. „Gibt's Neuigkeiten?".
Sie schüttelte den Kopf. „Er ist nicht ran gegangen. Bei keinem meiner drei Anrufe".
Ich schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln, sie zuckte mit den Schultern.
Henry unterhielt sich gut gelaunt mit Tizian. Raphi, Gianna und Mel verstanden sich gut und ich führte eine Diskussion mit Charlie. Es war ein schöner Abend. Es funktionierte. Das war schön.

Irgendwann kam Henry vom Klo zurück und telefonierte. Am Tisch angekommen legte er auf. „Ists cool, wenn Dana und Pia noch vorbeikommen? Sie haben gefragt, ob Leo sie auf die Gästeliste schreiben kann und das geht halt nicht, aber ich meinte sie können uns ja hier auf ein Bier treffen".
Ich sah ihn ein wenig perplex an und auch Mel zog eine Augenbraue hoch.
„Verarschst du mich?", fragte ich, was ein wenig patziger klang, als beabsichtigt und Raphi schüttelte schmunzelnd den Kopf.
„Seid wann hängt ihr wieder ab?", fragte ich und winkte im gleichen Moment ab. „Klar können sie herkommen", sagte ich dann und Henry nickte.
Mel warf mir einen skeptischen Blick zu.
Ich schaute verwirrt zurück.
Klar wusste ich, dass sie sich noch oft sahen. Sie studierten zusammen.
Aber ich wusste nicht, dass sie wieder privat Zeit miteinander verbrachten, Henry hatte davon nichts erzählt. Bis vor kurzem war Pia noch immer angepisst wegen der Silvester Geschichte gewesen.
Heute Abend war eine gute Chance sich mal anders zu begegnen, sich anders kennenzulernen, ohne dieses Konkurrenzdenken im Hinterkopf.
Naja, das sagte ich mir so, aber konnte ich das echt?
„Wer sind die denn?", fragte Charlie.
Mel schnaubte, ich warf ihr einen strengen Blick zu.
„Kommilitoninnen von mir", erklärte Henry dann und grinste wegen Mel.
„Henry hat die eine wegen Skara abserviert. An Silvester. Sie war voll sauer und Henry hat gekotzt", erklärte Mel und warf Henry daraufhin einen Luftkuss zu.
Der Tisch brach in Gelächter aus. Henry verkniff sich mit Mühe ein Lachen.
„Danke Mel. Jetzt wird's sicher gar nicht unangenehm".

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