Kapitel 2

158 26 23
                                    


Jelto war keine fünf Sekunden aus der Wohnung, da rissen bereits Henry und Raphi ihre Zimmertüren auf. „Käffchen?", fragte ich und die Jungs nickten grinsend. Ich machte eine große Kanne Kaffee, holte drei von den bunt durcheinander gewürfelten Tassen und wir setzten uns nebeneinander auf unseren kleinen Balkon. Die Mittagssonne brannte. Es war fast unerträglich warm, aber noch genossen wir es.
Ich erzählte den beiden von Jelto, denn wir erzählten uns alles. Sie sagten mir, dass ich lange nicht so begeistert von jemandem gewesen sei und ich versuchte es abzutun, aber ich wusste, dass es stimmte. In letzter Zeit hatte ich generell sehr wenig Begeisterung empfunden, doch heute fühlte ich mich seltsam belebt. Ich spürte endlich wieder einen Funken dieser unbändigen Motivation, die mir sonst so eigen war, tief in meiner Brust. Doch auch wenn ich diesen plötzlichen Auftrieb schätze, hörte ich die Stimme der Vernunft (sofern man es Vernunft nennen mochte) deutlich sprechen. Nichts überstürzen, investier nicht so viele Gefühle, du kennst ihn eine Nacht und noch andere Weisheiten dieser Art gab sie zum Besten. Ich seufzte, drehte mir eine Zigarette und zündete sie an.

Als die Sonne begann unterzugehen, wurden die Temperaturen endlich erträglicher und ich verließ das Haus. Henry wartete bereits, lässig an sein Fahrrad gelehnt, im Hof.
„Na endlich", sagte er, als ich die Haustür hinter mir zuzog, „ich warte hier schon ne halbe Ewigkeit". Ich lächelte ihn entschuldigend an, er grinste und drückte mir dann ein Bier in die Hand. Die Luft war noch immer drückend warm und das kühle Bier in meiner Hand war pure Erfrischung. Ich hielt mir die Glasflasche kurz an die Stirn und seufzte.
Henry war kurz zum Späti an die Ecke geradelt, während ich mich für die Party umgezogen hatte. Es hatte nicht viele Argumente gebraucht, um mich für den Rave in einem alten S-Bahn-Tunnel zu überreden. Henry hatte Mel angerufen und die hatte gesagt, dass Jelto auch da sein würde.
Raphi hingegen war nicht zu überzeugen gewesen. Er saß auf dem Balkon und kiffte. Mehr könnten wir heute nicht von ihm erwarten, hatte er gesagt und wir hatten das natürlich akzeptiert.

Der Bass wummerte bereits in meinem Bauch, da konnte ich die Party noch gar nicht sehen. Die Musik dröhnte, als ich vom Fahrrad stieg. Mein Herz wurde ganz leicht, als ich die Töne hörte. Vielleicht war es aber auch die halbe Flasche Wein, die ich noch auf dem Balkon getrunken hatte, gemischt mit dem Wegbier, das Henry gekauft hatte.
Henry und Mel schlossen ihre Räder an, ich tat das gleiche. Währenddessen konnten unsere Füße kaum stillstehen, die Musik ließ uns bereits tanzen. Bunte Lichter zuckten wild unter der Brücke, es war brechend voll. Ich ertappte mich dabei, wie ich die Menge nach einer ganz bestimmten Person durchsuchte.
„Jelto kommt erst nach der Arbeit", schrie mir Mel ins Ohr, die meinen Blick richtig interpretiert hatte und dabei fiel mir auf, dass ich nichts über ihn wusste. Also keine Hard-Facts. Was arbeitete er? Was machte er in Berlin? Woher kannte er Mel? Wohnte er schon länger hier oder war er neu in der Stadt? Ich kam mir plötzlich blöd vor. Ich war komplett fokussiert auf einen Typen, den ich null kannte. Für den ich nur eine von vielen war. Der Gedanke versetzte meinem Gefühl der Leichtigkeit und des Auftriebs ein jähes Ende. „Vielleicht -", rief ich Mel und Henry zu, die eilig in Richtung Tanzfläche liefen, „vielleicht geh ich doch erst mal eine rauchen". Die beiden nickten und ich drehte um und lief zu der Fläche kurz vorm Tunneleingang, wo einige Decken auf dem Boden lagen und die Musik nicht so laut war. Überall saßen Grüppchen und unterhielten sich, tranken und rauchten. Ich setzte mich an den Rand einer der weniger vollen Decken und sah in den von bunten Lichtern erhellten Nachthimmel.
Meine Gedanken wanderten zu den Urlauben, die ich als Kind mit meiner Familie an einem kleinen See in Bayern gemacht hatte. Die Nächte dort waren so schwarz gewesen und das Sternenlicht so hell. Ich wusste noch, wie fasziniert ich damals in den Himmel geschaut hatte. Diese Menge an Sternen, diese Stille, vor uns der tiefschwarze See – „Keine Lust zu tanzen?", mein Kopf fuhr herum, der Gedankengang stoppte. Jelto ließ sich neben mich auf die Decke fallen. Ich konnte nicht anders, als breit zu grinsen.
„Schön dich zu sehen", sagte ich, weil ich es so meinte und biss mir kurz darauf auf die Lippe. „Ebenso", sagte er und rückte seine Kappe zurecht, die verkehrt herum auf seinem Kopf saß. Kurz wirkte er fast ein wenig unsicher.
Er zündete sich eine Zigarette an und lehnte sich zurück. Und dann fragte ich ihn, was er eigentlich arbeitete und wo er wohnte und alles andere, was mir sonst noch einfiel und wir redeten und er fragte mich einen Haufen Dinge und irgendwie hatte ich wirklich keine Lust zu tanzen.

TrifoliumWo Geschichten leben. Entdecke jetzt