Kapitel 30

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Die anderen saßen schon bei meinem Lieblingsvietnamesen in Kreuzberg und hatten beinahe aufgegessen, als ich ankam. Schweigend setzte ich mich auf den freien Platz am Tisch und schloss die Augen. Ich liebte sie dafür, dass sie nichts zu mir sagten. Sie redeten einfach weiter und Henry schob mir seine letzte Frühlingsrolle rüber. Tränen sammelten sich erneut in meinen Augen, doch ich blinzelte sie weg.
Raphi bestellte mir eine Pho, denn ich aß hier nie was anderes.
Uff.
Und nun?
Es juckte mir in den Fingern Jelto zu schreiben, ob wir uns nicht morgen nochmal sehen könnten. Aber eigentlich, ja eigentlich machte es doch keinen Unterschied mehr.
Warum musste er auftauchen? Warum musste er alles wieder komplizierter machen, als es ohnehin schon war?
Ich sah zu Henry. Die letzte Nacht war erstaunlicherweise weniger ein zurück, mehr ein Vorangehen gewesen.
Trotz unserer Vergangenheit hatte es sich nicht bekannt angefühlt miteinander zu schlafen, Vertraut ja, aber trotzdem neu.
Henry und ich waren nicht mehr die gleichen Menschen, wie damals. Es war viel passiert, es hatte sich viel geändert, aber ich fühlte mich noch immer unglaublich sicher mit ihm. Das hatte ich schon immer getan. Als ich noch mit Frieder zusammen gewesen war, da war er oft eifersüchtig auf Henry gewesen. Nicht unbegründet, wie ich heute zugeben konnte.
Während ich Henry jetzt so musterte, sehnte ich mich unglaublich nach seiner Nähe. Ich wollte, dass er mich in den Arm nahm und mich auf die Stirn küsste.
Er schien meinen Blick zu spüren und sah auf. Unsere Blicke trafen sich, doch ich konnte nicht erkennen, was er dachte.
Meine Pho wurde gebracht und als ich begann die kräftige, heiße Brühe zu löffeln, wurde ich endlich etwas ruhiger.


Ich zwang mich am nächsten Tag um neun Uhr aus dem Bett. Das erste das ich tat, war mein Handy in die Hand zu nehmen und Mel anzurufen.
Es reichte.
Ich musste endlich mit ihr reden.
Mittlerweile war meine Wut auf sie verflogen, doch die klaffende Wunde der Enttäuschung bereitete mir noch Sorgen. Konnte es überhaupt jemals so wie früher werden?
Mel ging direkt ran. „Skara! Hi! So schön, dass du anrufst".
Sie klang ehrlich erleichtert. Ich antwortete ihr kurzangebunden. „Hi. Magst du nen Kaffee trinken?".
Eine Stunde später saßen wir in einem Café in der Nähe vom Görli. Wir sagten eine ganze Weile nicht viel. Smalltalk.
„Zuerst einmal", begann ich dann plötzlich, „bin ich immer noch enttäuscht von dir. Du hast mich angelogen, das ist richtig uncool".
Mel schaute zerknirscht. Sie sah dabei fast niedlich aus. Ich vermisste meine beste Freundin.
„Aber wir zerstreiten uns nicht wegen eines Kerls, habe ich beschlossen. Das widerspricht allem, was ich immer so predige", ergänzte ich dann. Wenig kotzte mich mehr an, als Frauen die einander als Konkurrenz bei irgendwelchen Typen sahen. Freundschaften, die daran zerbrachen. Das war doch absurd. Als wären Männer irgendein Preis, den jeder gewinnen will. Als wären wir Frauen nur für diesen Wettkampf da, dessen Sieg mit einer Beziehung belohnt würde. Absurd!
Ich wusste, dass Mel das auch so sah.
Und obwohl wir beide das so sahen, zwangen uns gesellschaftliche Strukturen in einen Streit wegen Jelto. Eifersucht, Enttäuschung und andere eklige Gefühle hatten es mir schwer gemacht mich zu besinnen.
„Finde ich gut", antwortete Mel. „Seh ich auch so".
Sie zwinkerte, ich grinste.
Vielleicht würde es nicht sein wie vorher, egal.
„Jelto war gestern bei mir", sagte ich dann und schaute sie neugierig an. Wusste sie es?
Doch sie zog überrascht die Augenbrauen hoch. „Was?".
„Davor hab ich mit Henry geschlafen", sagte ich dann, weil ich so etwas Mel immer ezählte.
Mel zog ihre Augenbrauen noch weiter nach oben. „Was?".
Sie sah so witzig dabei aus, dass ich lachen musste. Und weil alles so chaotisch war. Ich lachte plötzlich los und Mel stimmte mit ein. Oh Gott, das fühlte sich fast leicht an.
„Erzähl mir alles", sagte sie dann, schlug energisch die Beine übereinander und lehnte sich vor.

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