Kapitel 10

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„Absolut unnötig", sagte Jelto, langsam etwas genervt und ich sah ihn skeptisch an. „Was bringt es, wenn du dich sorgst? Entweder du bestehst am Ende oder eben nicht. Außerdem ist es nur ne Uni-Abgabe, entspann dich mal". Ich saß im Schneidersitz auf meinem Bett, um mich herum lag ein Haufen Bücher und ich verzweifelte daran ein konkretes Thema für meine Hausarbeit zu finden. Das Seminar war mir echt wichtig und die Note würde es auch sein, das schien Jelto aber irgendwie nicht zu verstehen. Er saß in meinem Fenster und rauchte. Ungeduldig wartete er darauf, dass ich mich endlich für die Party umzog, auf die er unbedingt wollte, doch mir war gar nicht nach feiern zu mute. Und es nervte mich unglaublich, dass Jelto kein Verständnis dafür hatte.

„So einfach ist das nicht", entgegnete ich und zum ersten mal seit ich Jelto kannte, störte mich seine tiefenentspannte Einstellung. Er warf seine Zigarette aus dem Fenster, was mich auch ankotzte, weil auf der Fensterbank ein Aschenbecher stand und sah mich an. „Du jammerst seit Tagen rum, weil du kein Thema findest. Langsam wird's öde". Fassungslos sah ich ihn an, ich wurde wütend und dann verließen die Worte schneller meinen Mund, als ich wollte.
„Kann ja nicht jeder mit nem abgebrochenen Studium und nem Minijob zufrieden sein". Das war total daneben, doch zugeben konnte ich es in diesem Moment nicht. Das schlimmste war, dass Jelto mich immer noch unbeeindruckt ansah und kein bisschen darauf reagierte. Hatte ich ihn verletzt? War es ihm egal? War er sauer? Ich hatte keine Ahnung.

„Skara, zieh dich jetzt bitte um, damit wir loskönnen", sagte er nüchtern.
„Ich komm nicht mit. Ich hab gesagt, dass ich heute wenigstens ein Thema finden will und wenn du darauf nicht warten kannst, dann geh allein", gab ich pampig zurück.
Eigentlich hatte ich erwartet, dass er warten würde, doch er zuckte mit den Schultern, hüpfte vom Fensterbrett und zog sich seinen Hoodie über. „Alles klar, kannst ja nachkommen, wenn du dich eingekriegt hast".
Dieser Satz ließ mich ihm nur ein „Du kannst mich mal" hinterherrufen, dann fiel auch schon die Wohnungstür ins Schloss.

Und dann heulte ich, weil er mich so sauer machte und weil ich so gemein gewesen war. Wobei das schlimmste war, dass ich es nicht mal so gemeint hatte. Ich hatte ihm das zum Vorwurf gemacht, was ich an ihm so sehr mochte, nur um ihn zu treffen. Wahrlich keine Glanzleistung. Wie Aristoteles so schön gesagt hatte: Jeder kann wütend werden, das ist einfach. Aber wütend auf den Richtigen zu sein, im richtigen Maß, zur richtigen Zeit, zum richtigen Zweck und auf die richtige Art, das ist schwer. Das Maß, den Zeitpunkt und den Zweck hatte ich schon mal weit verfehlt. Und die Person auch, denn ich war wohl eher wütend auf mich selbst.

 Als ich mich wieder eingekriegt hatte, entschied ich Jelto nach zu gehen. Mein Hausarbeitsthema konnte ich sowieso vergessen, denn ich war viel zu aufgewühlt.
Auf dem Weg zu der Party versuchte ich Mel anzurufen, um sie zu fragen, für wie albern sie mich hielt. Doch sie ging nicht ran.
In der WG in der gefeiert wurde, war es brechend voll, doch es dauerte nicht lange, da hatte ich Jelto gefunden. Er stand auf dem Balkon, intensiv in ein Gespräch mit irgendeinem Mädel vertieft. Sie war unglaublich attraktiv. Ich sah wie sie ihm ihr Handy hinhielt und er es zwinkernd entgegennahm, um offensichtlich seine Nummer einzutippen. Ich sah alles durch die Balkontür und mir wurde kotzübel. Ich drehte mich zum Gehen, doch in diesem Moment tauchte Jeltos Arbeitskollege Anton neben mir auf und umarmte mich fest. Wir hatten uns schon einige male abends gesehen und ich mochte Anton. Er war ein großer, stämmiger Typ, mit kurz geschorenem, blondem Haar, der auf den ersten Blick recht furchteinflößend schien. „Hi du, Jelto meinte du kommst nicht", sagte er und schenkte mir ein fröhliches Lächeln. Ich nickte, wusste gar nicht was ich sagen sollte. „Ich -", setzte ich an und sah erneut in Richtung Balkon. Anton folgte meinem Blick, doch die beiden unterhielten sich nur. Mein Herz klopfte wild. Die Angst davor, dass wenn ich das nächste mal hinschauen würde, weit mehr als ein nettes Gespräch zwischen Jelto und seiner Bekanntschaft ablaufen würde, ließ mich zu Anton recht hastig sagen, dass ich eh schon wieder im Begriff war zu gehen.
„Schade, aber ich hoffe wir sehen uns demnächst mal wieder", sagte er noch und ich sagte irgendwie sowas, wie „Ja auf jeden Fall", obwohl ich nicht glaubte, dass ich Anton sobald wiedersehen würde.

 Als ich ging, kam ich mir dumm vor. Ich wusste, dass ich absolut überreagierte, doch das änderte nichts an dem dumpfen Gefühl in meiner Magengrube. Mir stiegen Tränen in die Augen, was mich unglaublich wütend machte. Mit verschleiertem Blick lief ich zur U-Bahn-Haltestelle. Jelto konnte mit jeder Person dieser Welt Nummern tauschen, das war absolut kein Grund zu heulen, versuchte ich mir selbst klar zu machen, doch Herz und Verstand waren sich ganz und gar nicht einig. Vielleicht war es ja auch anders, als es aussah? Vielleicht wollte er ja gar nichts von ihr? Vielleicht – Mein Handy klingelte, es war Mel. Ich ging schluchzend ran und sie fragte direkt wo ich sei.

Sie orderte mich zu ihr nach Hause und dort erzählte ich ihr alles, was am Abend passiert war.
 „Glaubst du er schläft heute mit ihr?", fragte ich zum Schluss und hätte mich am liebsten selbst geohrfeigt. War das wirklich, die Frage, die mich umtrieb?
„Skara, hör auf!", sagte Mel in einem strengen Ton. „Selbst wenn, hat das nichts mit dir zu tun".
Ich schaute betreten auf meine Hände. Wir saßen auf Mels Balkon, sie hatte mir einen Pulli von sich geliehen und eine Flasche Wein aufgemacht. Sie rauchte eine Zigarette nach der anderen während sie mir den Kopf wusch.
„Aber sie war richtig sexy. Danach will er mich bestimmt nicht mehr", jammerte ich und hatte damit wohl das letzte Fünkchen Selbstrespekt über Mels Balkongeländer geworfen.
„Verdammt, Skara! Wenn er dich danach - sofern dieser höchst hypothetische Fall überhaupt eintritt - nicht mehr will, dann vergiss den Vollidiot. Dann ist er kein bisschen deiner Zeit und deiner Energie wert".
Ich zog eine Schnute und nahm einen großen Schluck Wein. „Vielleicht ists gut, wenn das Ganze jetzt ein Ende hat", redete ich mir dann voller Selbstmitleid ein und Mel schüttelte genervt den Kopf.
Wir saßen noch lange auf dem Balkon und plauderten und tranken. Wir tranken, bis ich einen mächtigen Schwipps hatte und fest davon überzeugt war, jetzt Jelto anrufen zu müssen, sodass Mel mich kurzerhand in ihr Bett verfrachtete und mir mein Handy abnahm. Ich fiel in einen traumlosen Schlaf.

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