Kapitel 53

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Den Rest der Woche über schien sich ein grauer Tag an den nächsten zu reihen. Es war eiskalt und eigentlich hätte ich es genießen können, doch das fehlende Licht schlug mir langsam, aber sicher aufs Gemüt. Als ich freitags aus der Uni nach Hause fuhr, fielen tatsächlich ein paar vereinzelte Schneeflocken vom Himmel und ich stieg kurz entschlossen aus der U-Bahn und machte mich auf den Weg zu Gianna. Ich fand sie im Eiscafé, sie saß vor einem Stapel Papierkram und stritt mit Tizian. Sobald ich die Tür öffnete, verstummten die beiden und sahen mich an.
„Skara", sagte Gianna überrascht. „Was machst du denn hier?". Sie stand auf und umarmte mich. Ich zuckte mit den Schultern. „Ich dachte ich komm mal vorbei, aber wenn es gerade nicht passt", begann ich unsicher und Gianna unterbrach mich: „Unsinn. Schön, dass du hier bist. Ich mach uns einen Kaffee".
Sie warf ihrem Bruder einen strengen Blick zu, als er frustriert auf die vielen Briefe und Dokumente auf dem Tisch zeigte und Tizian verdrehte die Augen.
„Was ist das alles?", fragte ich und Gianna stöhnte. Sie stand hinter der leeren Eistheke an der Kaffeemaschine.
„Wir versuchen Ordnung in Papas Büro zu kriegen", erklärte Tizian und setzte das Wort „Büro" mit den Fingern in Anführungszeichen. Er grinste kurz. Das erste Mal, dass er freundlich wirkte.

Ich schluckte. Natürlich mussten die beiden sich jetzt um alles kümmern, wer sollte es auch sonst tun.
Ich wäre dazu nicht in der Lage und fragte mich, ob ich es könnte, wenn ich es
müsste oder ob ich zu wenig in meinem Leben selbst hatte regeln müssen, um es zu können.
Wir setzten uns vors Eiscafé und tranken in der Kälte unseren Kaffee. Gianna erzählte ein bisschen von der Familie und wie anders alles war und ein paar Mal blinzelte sie gegen Tränen. Tizian wechselte bald das Thema, er schien sich unwohl zu fühlen. Ich konnte das verstehen und versuchte betont locker zu sprechen, um ihm den Gefallen zu tun und der Traurigkeit etwas an Raum zu nehmen.
Ich erzählte von meinem Job im Theater und lud die beiden ein, mal vorbeizukommen und sich das neu angelaufene Stück anzuschauen. Tizian verzog etwas kritisch das Gesicht, aber Gianna freute sich.

„Wir können auch mal was trinken gehen oder so?", fragte Gianna dann und klang dabei beinahe schüchtern, als wüsste sie nicht, ob es zu früh wäre, um unsere Freundschaft neu aufleben zu lassen, doch ich nickte direkt. „Sehr gerne", sagte ich und lächelte sie an.

„Jetzt gleich?", fragte Tizian dann und tippte dabei auf seinem Handy rum. Er sah kurz auf, als wir nicht antworteten. „Von mir aus", entgegnete ich und Gianna zuckte mit den Schultern. „Okay", sagte sie und stand auf, um unsere Tassen nach drinnen zu bringen. „Ein Bier könnte ich nach dieser Frustration gebrauchen". Sie warf den Dokumenten einen finsteren Blick zu und Tizian seufzte.


Wirfuhren an den Hermannplatz und trafen dort Tizians beste Freundin Charlie. Ich kannte sie noch von früher und begrüßte sie mit einer Umarmung.
„Ich dachte schon Tizian hat sich versprochen, als er meinte, er kommt mit Gianna und Skara", lachte sie und ich erfreute mich an ihrem starken Berliner Akzent. „Wo kommst du denn nach all den Jahren wieder her?".
Ich wusste nicht recht, was ich dazu sagen sollte, deswegen sagte ich einfach: „Ich freu mich dich mal wieder zu sehen Charlie", und sie stupste mich in dieSeite.
„En Kumpel von mir macht ne Feier heute, da könnten wir später noch hin", erzählte sie während wir die Straße runter zu einer Kneipe liefen, in die Gianna gerne wollte, weil eine Freundin von ihr dort arbeitete und so ein paar Drinks aufs Haus garantiert waren.
Tizian kickte mürrisch eine Bierdose aus dem Weg, sie flog scheppernd in denRinnstein. „Kein Bock auf irgendeine Party", sagte er und vergrub die Hände tief in den Taschen seiner Lederjacke. 

Draußen war es dunkel und in der Bar, in die Gianna uns schleppte nicht vielmehr Licht. Es war rauchig und die alten Holztische waren mit Stickern übersäht.
Wir setzten uns und Gianna ging zielstrebig zum Tresen. Sie reckte sich um diejunge Frau mit Braids, die gerade ein Bier zapfte, zu begrüßen und hielt dann vier Finger hoch.
Es dauerte eine Weile an diesem Abend bis ich locker wurde und es einen Hauchvon früher hatte. Es schien, als hätten wir verlernt miteinander zu reden undwüssten nicht genau, was es okay wäre die anderen zu fragen.
Doch Charlie war die geborene Eisbrecherin. Sie war gerade heraus, schon immer. Ich fand das anihr früher mächtig einschüchternd, heute schätzte ich es.
„Und Skara, hast du nen Typen? Oder machst du wieder Tizian schöne Augen?", fragte sie plötzlich und trank einen Schluck Bier. Sagte ich gerade, dass ich es schätzte?

Ich verschluckte mich. Gianna brach in schallendes Gelächter aus. „Was?",hustete ich.
Tizian schmunzelte in sein Bier und ich wurde tatsächlich rot.
„Schwierige Frage und nein", sagte ich dann und verdrehte die Augen. Ich versuchte mit Mühe und Not wieder cool zu sein. Gianna gluckste noch immer vor sich hin und Charlie lehnte sich interessiert vor.
Ich hasste es, wenn Menschen konkret etwas zu mir und Henry wissen wollten undich plötzlich in die Not geriet, Titel zu vergeben, Dinge zu benennen oder mich zu erklären.
„Schwierige Frage inwiefern?", fragte Charlie und ich verzog das Gesicht.
Tizian schob sein Bier vor sich weg, um sich ebenfalls ein Stück über den Tisch zu beugen. „Viel interessanter, warum willst du mir keine schönen Augen machen? Bin ich nicht mehr dein Typ?", er grinste süffisant und wackelte mit den Augenbrauen.
Ich blies ihm frech den Rauch meiner Zigarette ins Gesicht. „Ich steh jetzt auf Skater", sagte ich und zitierte mich damit selbst. Mich selbst mit etwa 16, alsich Tizian von Henry erzählt hatte. Er lachte laut los.
Und jetzt, jetzt hatte es einen Hauch von früher.

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