Kapitel 27

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Gegen späten Nachmittag verließ ich die Wohnung und machte mich auf den Weg zu meiner ersten Schicht im Theater. Ich war ein bisschen nervös, aber meine Gedanken waren eigentlich so gar nicht bei der Arbeit. Mel hatte mich ein dutzend mal versucht anzurufen und mittlerweile hatte ich das Bedürfnis mit ihr zu sprechen. Aber nicht vor der Schicht, ich konnte mir nicht leisten dort in Tränen auszubrechen. Puh.
Als ich am Theater ankam, entschied ich noch eine zu rauchen, bevor ich reingehen würde. Nach ein paar Minuten stellte sich eine Frau neben mich. „Bist du Skara?", fragte sie und lächelte freundlich. Sie war vermutlich Ende Vierzig, ziemlich klein und hatte ein rundes, sympathisches Gesicht. Ich nickte und entdeckte ein Namensschild auf ihrer schwarzen, schlichten Bluse. Estefania.
„Ja, Hi. Freut mich. Du bist vermutlich meine Kollegin?", fragte ich und hoffte in diesem Moment, dass sie nicht meine neue Chefin war.
„Ganz genau. Ich bin Estefania", sie lächelte noch immer. „Ich arbeite dich heute ein bisschen ein. Keine Sorge, es ist nicht viel Kompliziertes dabei". Estefania steckte sich auch eine Zigarette an. Eine von diesen dünnen, weißen. Ich schmunzelte.
„Und Skara, was machst du so außerhalb von deinem neuen, glamourösen Job hier?", begann sie locker Konversation zu betreiben und zeigte hinter sich auf das kleine Theater in der alten Fabrikhalle.
Ja, was machte ich sonst? Jede menschliche Beziehung versauen? Vielleicht kein guter Gesprächsstarter.
Also erzählte ich ihr von meinem Studium, meiner Familie, meiner WG. Und als ich sie gerade fragen wollte, was sie so machte, musste wir auch schon rein und unsere Schicht beginnen.

Ein paar Stunden später war ich hundemüde und auf den Weg nach Hause. Es war bitterkalt geworden und ich verschränkte die Arme vor der Brust und zog den Kopf ein, als ich von der U-Bahn-Station zur WG lief. Es war noch nicht spät, erst halb zehn, doch ich freute mich auf mein Bett. Als ich mir die warme, dicke Decke und die gemütlichen Kissen vorstellte, lief ich automatisch einen Schritt schneller.
Als ich die Wohnungstür aufschloss hörte ich schon die Musik und atmete tief ein und aus. Aus der Küche kam ein unglaublicher Lärm: Tiefe Beats gemischt mit lauten, durcheinander sprechenden, eher schreienden, Stimmen.
Das war ja wohl nicht ihr Ernst, dachte ich und erwürgte gedanklich bereits meine Mitbewohner.
„Skaaraa!", rief Henry, sichtlich angetrunken, als ich in die Küche kam. Am Tisch saßen wesentlich weniger Menschen, als ich dem Lärm nach vermutet hatte. Leo war da und sein Mitbewohner und bester Freund Malik. Außerdem saßen Raphi, Henry, Ferdi und zwei junge Frauen, die ich nicht kannte, am Tisch.
„Was ist denn hier los?", fragte ich und gab mir große Mühe nicht genervt zu klingen. Raphi nahm mir mein falschen Grinsen am Ende eindeutig nicht ab, denn er verzog den Mund und formte dann ein „Sorry" mit seinen Lippen.
„Skara, setz dich. Wir trinken und gehen dann tanzen", sagte Leo und klopfte auf den freien Stuhl neben sich. Ich zögerte. Eigentlich wollte ich doch schlafen gehen und davor Mel anrufen. Aber ersteres konnte ich mir in Anbetracht der Lautstärke eh abschminken und zweiteres ... um ehrlich zu sein, ich hatte Schiss.
Also setzte ich mich neben Leo, ließ mir von Raphi ein Bier aus dem Kühlschrank reichen und drehte mir eine Zigarette.
„Und, wie war der erste Arbeitstag?", fragte Leo und zwinkerte. Ich erzählte ihm von allem und vor allem wie begeistert ich war, dass ich die Stücke immer ansehen durfte, wenn gerade nichts anderes zu tun war.
„Skara arbeitet jetzt für meinen Paps", erklärte Henry den beiden Damen, die mir immer noch niemand vorgestellt hatte.
Ich beäugte sie skeptisch und ertappte mich dabei, wie ich mich fragte, ob eine davon Henrys Date von vor ein paar Tagen war und wenn nicht, ob trotzdem eine von ihnen Henrys Date war.
Ich setzte ein freundliches Lächeln auf und wendete mich an die beiden. „Ich bin übrigens Skara. Ich glaube wir kennen uns noch nicht".
Die zwei sahen mich an und lächelten. Eine hatte kurze rotgefärbte Haare und einen goldenen Nasenpiercing. Sie saß fast neben mir, sagte kaum etwas und wirkte eigentlich ziemlich sympathisch. Die andere hatte schulterlanges braunes Haar, ein zartes Gesicht und ging mir mit ihrem ständigen, dämlichen Gekicher seit Minute 1 auf die Nerven.
„Ich bin Dana und das ist Pia", sagte die mit dem Nasenpiercing. Die andere, Pia, nickte und wendete sich dann schnell wieder Henry zu. Sie hing förmlich an seinen Lippen und ich verkniff mir ein genervtes Augenverdrehen. „Was verschlägt euch in meine Küche?", fragte ich Dana und bewunderte kurz ihre vollen, perfekt geschminkten Lippen. Ich sah sicherlich furchtbar aus, fiel mir dann plötzlich ein.
Dana lächelte wieder. „Henry hat uns eingeladen. Wir haben ein Fotografie Seminar mit ihm an der Uni".
War ja klar.
„Sag mal", ich drehte mich zu Leo um und senkte meine Stimme, „auf ner Skala von 1 bis 10, wie durch seh ich aus?".
Leo lachte. „Wer wird denn hier gerade unsicher? Das steht dir nicht". Ich blickte ihn bitterböse an. Aber er hatte recht. Das war gar nicht mein Stil, rief ich mir in Erinnerung. Ich verglich mich nicht mit anderen Frauen oder sonst wem.
„Vergiss es". Ich schüttelte den Kopf und nahm einen Schluck aus meiner Bierflasche.

Malik fragte mich dann, ob ich später auch mit in den Club kommen würde und Leo sagte, dass sie in die Panorama Bar wollten. Ich sagte, dass ich dann aber noch was zum wach werden bräuchte und Leo wäre nicht Leo, wenn er mir nicht direkt ausgeholfen hätte.
Ich fragte Malik und Leo dann auch, wie sie denn auf die Panorama Bar kämen, normalerweise gingen wir da fast nie hin. Zu hip, zu voll, zu viele „Neo Berliner" – wie wir immer sagten und uns dann mächtig etwas darauf einbildeten von hier zu sein.
Dana erzählte mir, dass sie und Pia beide neu in Berlin seien und unbedingt mal ins Berghain wollten und die Panorama Bar der Kompromiss wurde.
„He Skara", rief Ferdi dann plötzlich über den Tisch, „Mel fragt was heute so geht. Is cool wenn sie mit kommt?".
Ich versuchte mir nichts anmerken zu lassen. „Klar", sagte ich und schluckte. Mein Blick traf Raphis und ohne etwas sagen zu müssen, gingen wir zusammen eine auf dem Balkon rauchen.
„Du weißt, dass du auch nein hättest sagen können, oder?", sagte er direkt als wir in der kalten Nachtluft neben einander standen und der Lärm von drinnen nur noch gedämpft durch die Balkontür drang.
„Ja", antwortete ich. „Das wäre aber albern. Ich habe nur Angst, dass ich heute mehr kaputt mache, als kaputt ist, weil wir uns noch nicht ausgesprochen haben. Du weißt wie ich bin, wenn ich zu viel getrunken hab". Ich lachte kurz und Raphi grinste.
„Versprich einfach, dass du mich von Dummheiten abhältst".
„Versprochen".

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