Kapitel 18

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Es war Herbst geworden in Berlin. Der Regen fiel unaufhörlich vom Himmel und buntes Laub zierte die Straßen. Der Wind zerrte an den letzten paar Blättern, die sich noch an den Ästen hatten halten können, Menschen eilten fröstelnd ins Trockene und die ersten Kamine wurden angefeuert. Rauch stieg von den Dächern empor und machten den tristen Himmel noch grauer. Ich war nass bis auf die Haut. Mein langes, blondes Haar klebte strähnig am Gesicht fest und ich versuchte vergeblich meine Bücher, welche ich gerade bei meinen Eltern abgeholt hatte, vor dem hinab stürzenden Schutt zu retten. Mein Schal wehte mir immer wieder von der Schulter und meine klitschnassen Schuhe quietschten bei jedem Schritt. Ich war genervt.

Es war Herbst geworden und Jelto war weg. Er hinterließ eine Leere, die ich nie zugeben wollen würde. Bei meinen Eltern hatte ich einige Bücher für das neue Semester und die Hausarbeit abgeholt, die ich noch immer schreiben musste. Ich hatte Kopfhörer in den Ohren, doch Musik spielte keine. Mein Magen rumorte. Ich war nicht bereit. Nicht bereit für ein neues Semester, nicht bereit für das Ende des Sommers und schon gar nicht bereit für eine Zeit ohne Jelto. Ich rettete mich vor dem Regen in die nächste Ubahn-Station und machte mich von Zehlendorf auf den Weg nach Kreuzberg. Die Fahrt über begann ich in den Büchern zu blättern, die nun auf meinem Schoß lagen. Meine Mutter, eine Architektin mit großer Leidenschaft für präkolumbische Kunst, hatte in ihrem vollen Bücherregal einige spannende Werke liegen gehabt, die ich für meine Hausarbeit brauch konnte. Mein Vater, Bauingenieur im Sabbatjahr, der seine freie Zeit damit verbrachte die Altbauvilla meiner Eltern samt Garten in Schuss zu halten und die nächste große Reise zu planen, hatte sich sofort angeboten mir bei meinen Recherchen zu helfen. Er schien gespürt zu haben, dass etwas mit mir nicht stimmte. „Und wenn was ist, Skara, du weißt ja, komm einfach vorbei", hatte er eindringlich zum Abschied gesagt. Ich stieg am Kottbusser Tor aus, wo Mel bereits auf mich wartete. Ich nahm meine Kopfhörer raus, als ich sie sah und kam mir komisch dabei vor. Mel musterte mich nachdem sie mich mit einem Kuss auf die Wange begrüßt hatte. „Du hast ja immer noch dein Ich-vermisse-Jelto-Gesicht aufgesetzt. Man verliebt sich halt einfach nicht in so Typen", sagte sie wenig einfühlsam und ich schnaubte. „Ich hab' mich nicht verliebt". Verlieben, verliebt sein. Das war nicht das, was Jelto und ich geteilt hatten. Da war ich mir eigentlich ziemlich sicher. Wir hatten eine gute Zeit zusammen. Wir hatten den langen, heißen Sommer genossen. Gemeinsam – emotional und physisch. Das war es dann auch wieder. Und war ja auch klar, dass ich traurig war. Er war weg, hatte sicher schon das nächste Abenteuer gefunden und ich wusste echt nicht viel mit mir anzufangen. Ich verstrickte mich kurzzeitig wieder in halbgare Erklärungen, warum meine verrücktspielenden Gefühle absolut gerechtfertigt waren, aber deswegen noch lange nicht irgendetwas mit Liebe zu tun haben mussten. Mel dreht sich eine Zigarette, als wir uns auf den Weg zu meinem Lieblingsvietnamesen machten. Es hatte aufgehört zu regnen, doch der Himmel versprach, dass die Pause nicht von Dauer war. „Rauchste keine mit?", fragte sie dann nuschelnd, die Zigarette zwischen den Lippen eingeklemmt und ich schüttelte den Kopf. Sie zuckte mit den Schultern und blies mir frech den Rauch ins Gesicht. Ich rümpfte die Nase und grinst dann, unterdrückte aber das Würgen, das sich unangenehm ankündigte. Als wir die Tür zum Restaurant öffneten, saßen Ferdi und Raphael bereits an einem 4er-Tisch und winkten uns heran. Ich zwang mich zu einem fröhlichen Lächeln, als wir die zwei begrüßtenund setzte mich dann neben Raphael und Mel setzte sich neben Ferdi. Ich warfroh, dass die beiden sich wieder gut verstanden und es keine unangenehmeStimmung mehr gab.

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