Henry klopfte schon zum zweiten mal ans Bad, doch ich öffnete nicht.
Der Test lag noch immer auf dem Spülkasten. Meine Gedanken rasten.
Das war es wohl, was er mir sagen wollte. Er würde weg gehen. An die Akademie nach Wien. Da wollte er schon immer hin.
Ich ließ mich auf die Badfliesen sinken und lehnte mit dem Rücken an der Tür. Panik machte sich breit, Sorge und seltsamerweise ein schlechtes Gewissen.
Er würde nicht gehen, wenn ich schwanger war. Deswegen wollte er erst nach dem Test darüber reden.
Ich spürte, wie sich meine Kehle zuschnürte.
„Skara mach bitte auf", versuchte Henry mich eindringlich von der anderen Seite der Holztür zu überzeugen.
„Nein", sagte ich. Mittlerweile weinte ich.
„Skara, bitte".
„Nein".
Ich rappelte mich auf und ging zum Spülkasten. Den Test steckte ich in meine Hosentasche.
Henry würde nach Wien gehen. Zum ersten mal seit wir sechzehn Jahre alt waren, würde er mich verlassen.
Eine Fernbeziehung zwischen Berlin und Wien? Das ging nicht. Wie viele Stunden waren das wohl?
Warum hatte er mir nicht erzählt, dass er sich dort beworben hatte? Wollte er einfach für uns entscheiden, ohne mich?
Ich wurde wütend. Wütend, traurig, panisch, ängstlich. Und schlecht. Mir wurde schlecht. Mal wieder.
„Können wir bitte reden?".
„Nein".
Er stöhnte.
Ich warf ein „Verpiss dich" hinterher.
Aber das war eigentlich das letzte, das ich wollte. So generell.
„Nein", sagte jetzt er.
Ich wischte meine Tränen weg. Sah in den Spiegel und schüttelte über mich selbst den Kopf.
„Skara bitte. Was sagt der Test? Schließ mich nicht aus". Er klang traurig, verletzt und fast enttäuscht. Das war unfair, denn das war genau das, was ich fühlte.
Ich riss die Badtür auf, Henry sah mich überrascht an.
„Negativ, keine Angst. Du kannst gehen", spuckte ich ihm vor die Füße und eilte in mein Zimmer, um nun diese Tür kräftig hinter mir zu schließen.
Ich hatte keine Ahnung, ob er negativ war. Ich hatte mich nicht getraut drauf zu schauen. Doch ich würde mir nie verzeihen, wenn Henrys Traum nicht wahr werden würde. Nie.
Ich hatte die Tür zwar geknallt, aber nicht abgeschlossen, also kam Henry kurz später herein.
Er sah erleichtert aus, aber auch sehr sehr traurig.
„Skara es tut mir leid. Ich wollte mit dir über Wien sprechen, aber" – „Aber du bist leider ein egoistisches Arschloch?".
Er schnaubte kurz amüsiert, wurde aber direkt wieder ernst. Er setzte sich auf meine Bettkante, ich saß mit angezogenen Knien am Kopfende und hatte die Decke bis zum Kinn gezogen. Als könnte sie mich schützen.
„Ich wusste nicht wie. Ich habe das Angebot vor ein paar Wochen bekommen samt Stipendium für das erste Jahr. Ich musste mich schnell entscheiden und konnte es einfach nicht ablehnen. Ich wollte immer nach Wien, du weißt das. Und du findest Fernbeziehungen sind zum Scheitern verurteilt, das weiß ich".
„Du hättest es mir sagen müssen".
Er nickte.
„Du hast mich ausgeschlossen".
Er nickte erneut.
„Ich wollte es dir gestern sagen, aber dann ... Es wäre unwichtig gewesen, wenn der Test anders ausgefallen wäre".
Ich sah auf meine Hände.
„Ich will wirklich gerne nach Wien, aber ich will dich nicht verlieren".
Der Test in meiner Tasche fühlte sich an, als würde er ein Loch durch meine Jogginghose fressen.
„Ich kann da gerade nicht drüber reden, Henry. Das ist mir zu viel".
Er ließ den Kopf in den Nacken rollen und atmete tief ein und aus. Als er wieder zu mir sah, blitzten Tränen in seinen Augen.
„Ich hab Scheiße gebaut, ich weiß das". Er griff nach meiner Hand, ich entzog sie ihm blitzschnell.
„Ich weiß nicht, was das für uns bedeutet", sagte ich. Dabei konnte ich Henry nicht in die Augen sehen.
Ich konnte nicht ohne ihn sein. Das ging nicht. Aber ich würde ihn auch nicht hier halten.
„Wie meinst du das?".
„Du solltest gehen. So eine Chance bekommt man nicht zwei Mal im Leben".
„Skara –"
„Bitte lass mich allein".Henry ging widerwillig und mit hängenden Schultern. Es zerriss mir das Herz.
Ich zog den Test aus der Hosentasche. Egal, was er zeigte, Henry würde gehen, das schwor ich mir.
Ich drehte ihn um und eilte kurz danach ins Bad, um auf das zweite Stäbchen zu pinkeln.
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Trifolium
General FictionSkara sucht Abwechselung und findet Jelto. Die beiden verbringen einen gemeinsamen Sommer. Doch auch dieser Sommer endet irgendwann und mit ihm die gemeinsame Zeit. Schnell stellt Skara fest, dass sie eigentlich viel mehr braucht als einen Flirt, u...