Kapitel 1

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Als ich auf der Feier ankam, war es schon ziemlich voll. Ich zwängte mich zwischen verschiedenen Grüppchen hindurch, die ausgelassen miteinander lachten und lief in die Küche. Es war Hochsommer und obwohl es bereits elf Uhr war, noch unfassbar warm. Den Gästen um mich herum glänzte der Schweiß im Gesicht und ich wusste, dass es um mich nicht besser stand. Ungeduldig passierte ich die letzte Traube an plaudernden Studenten und öffnete den Kühlschrank, um mir ein Bier herauszuholen.
„Skara, da bist du ja endlich". Mel tauchte neben mir auf und umarmte mich fest. Wir feierten den Einzug in ihre erste eigene Wohnung. Eine wunderschöne kleine Altbauwohnung, mit hohen Decken und einem romantischen Balkon. Ich war schon ein paar mal hier gewesen, doch nie war es so voll gewesen wie jetzt. Beinahe war ich erstaunt wie viele Menschen in dem zwei Zimmer Apartment Platz fanden. Ich öffnete mein Bier und hielt es ihr hin. „Auf deine Wohnung!", sagte ich und grinste. Mel stieß mit ihrem halbleeren Weinglas an. Während ich einen kräftigen Schluck aus der Flasche nahm, erwischte ich mich dabei, wie ich bereits daran dachte, wann es in Ordnung wäre, wieder zu verschwinden. So sehr ich mich für Mel freute, so wenig wollte ich gerade hier sein. Die schwüle Nachtluft machte mich träge. Die Menschen um mich herum waren mir zu laut, zu fröhlich. Ich fühlte mich mehr als fehl am Platz. Die letzten Tage und Wochen hatten mich müde gemacht. Früher war ich das fröhliche Gesicht auf jeder Feier gewesen. Immer angeschwipst, bevor alle da waren, hatte gute Laune versprüht und ausgelassen getanzt und geplaudert. Gerade fühlte ich mich weiter von dieser Person entfernt, wie nie zuvor.
Ein Arm wurde mir um die Schulter gelegt und ich sah neben mich. Ferdi, eigentlich Ferdinand und Mels immer-mal-wieder-Freund, hatte sich neben mich gesellt und lächelte fröhlich.
„Na du, hast du es auch endlich hergeschafft?", fragte er mich und ich verdrehte die Augen. „Ich hatte zu tun", wich ich ihm aus und versuchte das Thema zu wechseln, sodass ich nicht zugeben musste, dass ich gar nicht erst auftauchen wollte. Ferdi zog skeptisch eine Augenbraue hoch, da hatte ich schon angefangen belangloses Zeug zu plappern.
Ich fühlte mich schlecht. Ich war eine schlechte Freundin, dachte ich. Es war die Feier von Mel, meiner besten Freundin und ich hasste es hier. Alle Leute um mich herum kannte ich gut und lange, ich mochte sie und trotzdem fühlte ich mich seltsam fremd. Meine träge und gedrückte Stimmung zog sicher alle herunter und das machte mein Gefühl nicht hier sein zu wollen und zu sollen, nicht gerade besser. Sicherlich fragten sich die Leute, was ich hier wollte. Als ich selbst noch der Mittelpunkt jeder Party gewesen war, wäre ich mir heute auf die Nerven gegangen. Ich zündete mir eine Zigarette an und sah Ferdi hinterher, der sich ein neues Bier holen wollte. Ich hatte aufgehört zu plappern. Raphael und Henry tauchten in der Menschenmenge auf und ich winkte sie heran. Beide sahen aus, als hätten sie bereits das ein oder andere Bier getrunken und ich musste grinsen. Raphael, Henry und ich kannten uns schon seit wir angefangen hatten Bier zu trinken. Beide waren, so wie ich, in Berlin aufgewachsen und als wir anfingen zu studieren, zogen wir drei zusammen in eine WG. „Na ihr zwei Süßen, wie lange seid ihr denn schon hier?", fragte ich als sie sich endlich zu mir durchgekämpft hatten. Sie erzählten mir von ihrem Tag der mit Bier im Skatepark angefangen hatte, mit Bier an der Spree weitergegangen war und hier mit Bier nun endete. Kein Wunder, dass alle beide mir heute noch nicht über den Weg gelaufen waren. Ich wollte gerade gespielt empört fragen, warum sie mich nicht mitgenommen hatten, als Mel auftauchte und die beiden wegscheuchte. Sie zog außerdem jemanden am Arm hinter sich her. „Skara, das ist Jelto", sagte sie hastig, als sie vor mir zum stehen kam. Jelto, ein groß gewachsener Typ mit dunkelbraunem, schulterlangem Haar, sah mich an und grinste. „Hi", sagte er und ich sagte das auch. Dann war Mel auch schon wieder verschwunden und Jelto und ich allein.

Die Sonne ging auf und tauchte den Himmel in wunderschöne Farben. Ich sah aus dem offenen Fenster, Jelto schlief neben mir. Ich war ruhig, ruhig wie lange nicht. Die Nachtluft strich über unsere nackten Körper, ließ mich tatsächlich kurz frösteln. Ich drehte mich auf die Seite, schloss die Augen und schlief. Ich schlief bis mich die Kehrmaschine vor meinem Fenster weckte, schloss das Fenster und schlief weiter. Als ich das nächste Mal aufwachte, war es halb zwölf. Alles war herrlich normal, es war einfach. Jelto zog mich im Halbschlaf dicht zu sich heran. Ich musterte sein entspanntes Gesicht. Die hohen Wangenknochen, der ordentlich gestutzte Schnurrbart, die langen Wimpern. Er sah wunderschön aus und ich hatte das Gefühl, als hätte ich sein Gesicht schon oft studiert. Seine Augenlider begannen zu zucken und er wurde wach. „Guten Morgen", sagte er mit rauer Stimme und sah mich aus seinen blauen Augen an. Ich setzte mich auf und versucht meine wild vom Kopf abstehenden Locken zu ordnen. „Guten Morgen, soll ich uns Kaffee machen?". „Nein", sagte er „ich möchte einfach mit dir hier liegen". Und genau das taten wir dann.

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