Kapitel 46

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Als der Tag vor Silvester kam, war ich etwas enttäuscht. Ich hatte mir ausgemalt, dass Henry und ich viel Zeit miteinander verbringen würden und es nutzen könnten, dass wir die Wohnung für uns allein hatten, doch Henry war kaum zuhause. Er hing viel bei Leo oder in seinem kleinen Atelier in der Uni ab und war ständig beschäftigt. Raphi war am Morgen wiedergekommen und ich hatte mich natürlich sehr gefreut, ihn zu sehen.
Ich war im Supermarkt um die Ecke und zwängte mich zwischen all den anderen Menschen hindurch, die ebenfalls für ihre Silvesterpartys einkauften. Wir hatten geplant bei uns in der WG entspannt etwas Kleines zu essen und zu trinken und dann feiern zu gehen. Einfach Raphi, Henry, Ferdi, Mel und ich. Ich freute mich auf diese entspannte Runde. Ich lud einen Haufen Sektflaschen in den Einkaufskorb in meiner Hand, welcher mittlerweile bedrohlich schwer war. Ich hätte einen Einkaufswagen nehmen sollen.
Mein Handy klingelte und ich angelte es aus meiner Jackentasche.
Henrys Name war auf dem Bildschirm zu erkennen. Wenn man über den Teufel nachdachte ...
„Ja?", ich ging ran und merkte, dass ich genervt klang.
„Es gibt ne Planänderung für morgen", begann er direkt. „Ich geh doch zum Vortrinken woanders hin und wir treffen uns dann einfach auf der Party, ja?".
Was? Langsam bekam ich wirklich das Gefühl, dass er mir aus dem Weg ging.
Ich merkte wie sich eine unglaubliche Enttäuschung in mir ausbreitete. „Ok", sagte ich deshalb nur. Was sollte ich auch sonst sagen?
„Wir sehen uns nachher", und schon hatte er aufgelegt. Er hatte betont fröhlich und unbeschwert geklungen, aber ich nahm ihm das nicht ab.
Demonstrativ kramte ich die Tüte mit Henrys Lieblingschips aus dem Einkaufskorb und warf sie zurück ins Regal.

„Hat er gesagt, wo er hingeht?", fragte Raphi und half mir die Einkäufe zu verstauen. Ich hatte ihm direkt von Henrys Anruf erzählt. Raphi fand es überhaupt nicht schlimm, aber ich regte mich auf.
„Nein, natürlich nicht", antwortete ich und ließ mich auf einen der Stühle am Küchentisch fallen. „Sicher zu Pia", murmelte ich dann, doch Raphi hatte es genau gehört und drehte sich vom geöffneten Kühlschrank weg und zu mir um. Er sah mich streng an. Sein Gesicht sagte „Ich weiß in welche Richtung das geht, hör auf".
Ich zog trotzig die Stirn kraus und begann mit dem Wasserglas vor mir auf dem Tisch zu spielen. Dabei fragte ich mich, ob es mich mehr stören würde, wenn er wirklich zu Pia ging. Bevor ich mich in Gedanken dazu verstricken konnte, rief ich mich aber schnell zur Ordnung. Ich hatte keinen Grund zu glauben, dass er zu ihr gehen würde und hatte es einfach wahllos angenommen. Außerdem spielte es auch keine Rolle.
Die Wohnungstür ging auf und Henry kam nach Hause. Er hatte eine riesige Mappe unter dem Arm und zwei verschiedene Kameras um den Hals hängen. Er kam offensichtlich aus der Uni.
„Da bist du ja", rief Raphi. „Wollen wir gemeinsam was essen?".
Henry legte alle Sachen auf dem Regal im Flur ab, zog seine Schuhe aus und kam in die Küche. Er sah etwas gestresst aus. „Joa", er spielte kurz an dem kleinen Ohrring, den er an seinem linken Ohrläppchen hängen hatte und schien nachzudenken. „Könnte ich schaffen, ich muss nachher aber nochmal zurück in die Uni".
Raphi nickte und warf Henry eine Paprika zu.
„Dann fang an".
Ich grinste kurz in mich hinein.
Dann warf ich Henry einen bösen Blick zu. Er schien es gar nicht zu bemerken.

Raphi war in sein Zimmer verschwunden, um kurz mit Ferdi zu telefonieren. Ich stand am Herd und kochte, Henry deckte den Tisch.
Ich war ziemlich schweigsam. Weil ich das Gefühl hatte, dass er mir aus dem Weg ging, wollte ich warten, bis er mit mir sprach.
Das Essen war beinahe fertig, als er sich neben mich stellte.
„Bist du sauer?", fragte er und klang dabei ehrlich interessiert. Er strich mir eine Haarsträhne hinters Ohr, ich sah zu ihm.
„Nein", erwiderte ich. „Aber ich finde es schade". Er nahm einen Schluck von der Mate, die ich mir aufgemacht hatte.
„Gehst du mir aus dem Weg?", fragte ich dann direkt. Henry schüttelte direkt abwehrend den Kopf.
„Nein, natürlich nicht", sagte er. „Warum sollte ich?".
Ich zuckte mit den Schultern und schaltete den Herd aus. „Das frage ich mich auch".
„Skara", sagte er ernst und stellte Topf und Pfanne auf den Tisch. „Ich bin einfach nur sehr beschäftigt zur Zeit".
Ich glaubte ihm nicht.
Aber ich sagte auch nichts.
Raphi kam zurück und wir aßen gemeinsam.

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