Etwa eine Stunde später saß ich mit Gianna draußen auf der Bank neben der Eingangstür. Wir rauchten Marlboro Gold, so wie früher.
Wir schwiegen lange. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Was sagte man denn in so einer Lage?
„Ich weiß gar nicht genau, warum ich dich angerufen habe", sagte Gianna und schnippte ihre Zigarette auf die Straße, nahm sich direkt eine neue. „Aber ich bin froh, dass ichs getan hab".
„Ich bin auch froh, dass du mich angerufen hast", erwiderte ich. „Ich kann nicht glaube, dass ich so lange nicht hier war", meine Stimme brach. Mein Herz krampfte, wenn ich darüber nachdachte, dass ich Francesco nie mehr besuchen können würde. Ich hätte ihm so gerne danke gesagt, danke für all die Nachmittage im Sommer an denen wir Unmengen an Eis verdrückten und Wasserschlachten im Hinterhof machten. Er hatte immer gute Ideen uns zu beschäftigen gehabt und dazu auch noch eine Engelsgeduld.
„Ich hab ihm nie danke gesagt", brachte ich dann heraus und Tränen traten in meine Augen.
Gianna sah überrascht zu mir rüber. Ihr immer kontrolliertes, fast kaltes Gesicht wurde weich. „Oh Limone", sagte sie und zwinkerte. Francesco hatte mich immer so genannt, denn ich hatte anfangs nie etwas anderes als Zitroneneis gegessen.
„Papa wusste es. Er hat oft von dir gesprochen".
Das tat nur noch mehr weh, doch ich schüttelte das Selbstmitleid ab.
Ich würde gerne wissen, was in Giannas Leben so los war, doch mir schien nicht der richtige Zeitpunkt für solche Gespräche.
Also schwiegen wir.
Doch es war angenehm, wir schienen in ähnlichen Erinnerungen zu schwelgen.
Die Tür der Eisdiele ging auf und Tizian kam heraus. Er setzte sich neben seine Schwester und kramte eine verbeulte Zigarettenschachtel aus der Hosentasche.
Tizian stieg in unser Schweigen ein und wir teilten einen andächtigen Moment miteinander.
Zum Abschied hatte ich Gianna gesagt, sie könne sich immer melden, wenn sie etwas bräuchte. Ich hoffte, dass sie es tun würde, denn ich wollte für sie da sein.
Als ich in der U-Bahn saß wusste ich nicht wohin mit mir. Ich rief meinen Bruder an, doch er nahm nicht ab.
Ich wollte nicht nach Hause, also fuhr ich zum Skateplaza am Gleisdreieck, weil er direkt um die Ecke war und Henry sicher dort sein würde.
Ich sah ihn schon von weitem und bewunderte kurz mit welcher Sicherheit und welcher Freude er auf dem Board stand.
Henry skatete schon seit ich ihn kannte, seine Füße waren von Zeit zu Zeit beinahe untrennbar mit dem Deck verbunden gewesen. Alles was nicht notwendigerweise gelaufen oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurückgelegt werden musste, fuhr er.
Henry hüpfte lässig vom Board, kickte es mit dem Fuß hoch und ließ sich zu ein paar anderen Leuten abseits der befahrenen Wege auf den Boden fallen.
Er drehte sich eine Zigarette und fachsimpelte gerade mit dem Typ neben ihm, als er mich entdeckte.
„Hey", rief er und winkte mich zu sich. „Was machst du denn hier?".
Ich lächelte, als ich bei ihm und den anderen ankam und rieb fröstelnd die Hände aneinander. Außer mir schien allerdings niemand zu frieren. Sie saßen mit geröteten Wangen und Hoodies unbekümmert auf dem kalten Boden.
„Ich komm von Gianna", sagte ich und Henrys freches Grinsen verschwand und er stand eilig auf.
„Oh Misst, alles okay? Sollen wir irgendwo hingehen und reden?". Er wusste von Francescos Tod und ich liebte ihn dafür, wie empathisch er war, aber ich wollte nicht darüber reden, sondern einfach Gesellschaft.
Ich schüttelte den Kopf. „Nein, ich wollte einfach nicht allein sein".
Ich sah zu den anderen Leuten, die mit Henry zusammengesessen hatten. Ich kannte nur seinen Kumpel Cem.
Also stellte ich mich vor und setzte mich neben Cem, der mir direkt einen Zug von seinem Joint anbot. Ich lehnte dankend ab.
Es machte ein wenig nostalgisch. Ich hatte früher oft Zeit mit Henry und seinen Skaterfreunden am Plaza verbracht.
Heute fühlte es sich aber auch ein bisschen nach einem nächsten Schritt für uns an. Ich war Teil von etwas, das er sonst von mir getrennt hatte. War das gut?
Ich saß dabei und hörte zu, ich sagte nicht viel und ich wurde auch nicht gedrängt. Ich fühlte mich wohl.
DU LIEST GERADE
Trifolium
General FictionSkara sucht Abwechselung und findet Jelto. Die beiden verbringen einen gemeinsamen Sommer. Doch auch dieser Sommer endet irgendwann und mit ihm die gemeinsame Zeit. Schnell stellt Skara fest, dass sie eigentlich viel mehr braucht als einen Flirt, u...