Kapitel 84

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Nachdem wir erstmal nur belanglosen Smalltalk geführt hatten, spürte ich, dass es an der Zeit war, das eigentliche Thema anzuschneiden.
Henry schien es ähnlich zu gehen, denn er stellte seine Kaffeetasse ab und setzte sich etwas aufrechter im Bett hin.
„In welcher Woche bist du denn eigentlich ?", fragte er plötzlich. Seine Stimme war ziemlich trocken, doch ich hörte seine Nervosität heraus.
„Knapp in der sechsten", antwortete ich.
Er nickte.
„Hast du schon mit jemandem gesprochen?", fragte er weiter.
„Mit Mel", flüsterte ich.
Mel hatte ich es gesagt, aber nicht ihm. Ich hätte das an seiner Stelle zum Thema gemacht, aber Henry nickte lediglich erneut.
„Was hat dein Gyn gesagt?".
„Nicht viel. Anfang nächster Woche habe ich einen Kontrolltermin", ich stockte und fügte dann noch leiser hinzu: „Dann kann man schon das Herz schlagen hören".

Henrys Blick veränderte sich und er schaute mich auf einmal fast erschrocken an. Als sei das alles gerade noch ein bisschen realer geworden.
Ich entschied mich, alle Karten auf den Tisch zu legen.
„Davor möchte ich entschieden haben, ob ich es ... ob wir es behalten. Ich glaube ... ich glaube, danach kann ich das nicht mehr".
Ich schluckte und kämpfte mit den Tränen.
Mein Kopf füllte sich abermals mit all den Fragen, die weder zielführend noch beruhigend waren.
Warum ausgerechnet jetzt? Warum nicht in ein paar Jahren? Warum wir? Kann ich überhaupt für ein Kind sorgen, wenn ich mich nicht einmal um mich selbst kümmern kann? Könnte ich alleine für ein Kind sorgen? Was werden meine Eltern sagen? Kann ich mir ein Kind leisten? Will ich überhaupt ein Kind? Will ich mich ab jetzt für immer einschränken? Aber könnte ich mit einer Abtreibung leben? Könnte ich es zur Adoption freigeben?
All diese Fragen überrollten mich und ich wurde panisch.
Henry zog mich an sich.
Das tat gut, das beruhigte.

„Was würdest du wollen?", fragte ich an seiner Brust.
Er streichelte mir übers Haar.
„Ich hab das Gefühl, das ist eine Fangfrage." Henry lachte leise und ich musste tatsächlich mit lachen.
„Ich mein es ernst. Was würdest du wollen? Du kannst nichts falsches sagen", verdeutlichte ich dann und rückte wieder ein Stück von ihm ab, um ihm ins Gesicht sehen zu können.
Henry atmete tief ein und aus.
Er sammelte sich kurz und schien seine folgenden Worte mit Bedacht zu wählen.
„Der Zeitpunkt ist zwar denkbar schlecht, aber ich würde nicht wollen, dass du es abtreibst. Falls das aber das ist, was du willst, dann unterstütze ich dich natürlich".
Meine Unterlippe zitterte. Ich war so verliebt in ihn.
Ich strich mir die Haare aus dem Gesicht und band sie locker zu einem Knoten zusammen. Dann atmete auch ich tief durch.
„Ich glaube nicht, dass ich es abtreiben kann. Egal was mit dir und mir passiert ...  Es ist doch unsers. Du bist der Vater und deswegen lieb ich diesen winzigen Zellhaufen jetzt schon". Und als ich das gesagt hatte, fiel mir auf, das ich bisher keinen Gedanken daran zugelassen hatte. Keinen Gedanken an die Gefühle, die ich bereits gegenüber dem Embryo in meinem Körper empfand.
Ich hatte alles von mir gestoßen, was meine Entscheidung erschweren würde.

Henrys Augen füllten sich mit Tränen. „Gott Skara", er lachte kurz heiser auf. „Ich glaube, das war mit das Süßeste, was du je zu mir gesagt hast".
Ich lächelte amüsiert und auch ein bisschen verlegen. Dann legte ich vorsichtig eine Hand an seine Wange.
Er beugte sich vor, schlang einen Arm um mich und drückte mir einen zärtlichen Kuss auf die Lippen.
Dann schwiegen wir kurz.
„Das heißt wir bekommen ein Kind", murmelte Henry nach einer Weile. Wohl mehr zu sich selbst, als zu mir.
Ich nickte trotzdem.
„Ich will aber, dass du trotzdem nach Wien gehst", sagte ich bestimmt und Henry schüttelte vehement den Kopf.
„Auf keinen Fall".
Ich sah ihn ernst an.
„Du gehst", sagte ich. „Bitte".
Henry musterte mich zerrissen. „Skara", begann er, doch ich unterbrach ihn: „Du wirst es sonst bereuen und ich mir das nie verzeihen".
Henry sah an die Zimmerdecke und atmete hörbar aus.
„Ich will nicht so ein Vater sein, der nicht da war", erklärte er dann. „Und ich will auch nicht so ein Freund sein, der abhaut, sobald es ernst wird".
Ich schüttelte schmunzelnd den Kopf.
„Wirklich niemand würde sich für so jemanden halten".
„Darum gehts ja nicht. Es geht darum, was ich sein will, nicht als was mich andere sehen", erklärte er und sah mich dabei beinahe genervt an.
Ich hob beschwichtigend die Hände, schmunzelte aber noch immer amüsiert.
Doch dann wurde ich ernst.
„Vielleicht können wir ja einen Kompromiss finden", begann ich und Henry zog aufmerksam die Augenbrauen hoch.
„Ich weiß noch nicht welchen. Aber das können wir ja noch herausfinden. Es ist ja noch Zeit".
Es waren noch drei Monate bis er gehen würde. Fast 8 bis das Baby kam.
Uns würde etwas einfallen. Oder?
„Heißt das, dass für dich nun doch eine Fernbeziehung in Frage kommen würde?", fragte er und sein Blick hatte etwas herausforderndes. Es blitzte in seinen schönen Augen und ich verdrehte meine.
„Keine Ahnung, Henry", stöhnte ich. „Besser als alleinerziehend mit gebrochenem Herz".
Er schnalzte mit der Zunge und erklärte dann sachlich: „Du wärst nie alleinerziehend. Wenn dann wären wir getrennterziehend".

Ich sah ihn nachdenkliche an.
„Wie tragen diese Verantwortung gemeinsam, mein Schatz. Wie du gesagt hast: Egal, was mit uns passiert. Es ist unser Kind", ergänzte er dann und meinte es ernst.
Mein Herz klopfte plötzlich und mir wurde etwas schwindelig.
„Ich möchte aber lieber, dass wir mit einander sind", sagte ich dann kleinlaut.
Henry lächelte amüsiert, wurde aber schnell wieder ernst.
„Ich doch auch", sagte er. „Scheisse, ich doch auch! Aber wir haben beide ziemlich Mist gebaut und wir müssen daran echt arbeiten".
Ich nickte.
Er hatte Recht.
Ich kuschelte mich an ihn und wurde plötzlich wieder unglaublich müde.
Henry trank seinen Kaffee und streichelte mir übers Haar.
"Ich liebe dich und ich bin noch sauer auf dich, nur damit du's weißt", murmelte er liebevoll.
"Du hast jedes Recht dazu", murmelte ich zurück. "Ich liebe dich".
Dann war ich wieder eingeschlafen.

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