Kapitel 71

41 4 4
                                    


  „Glaubst du er fühlt sich nicht wohl in unserer Beziehung?", stellte ich eine meiner 100 Fragen kurze Zeit später an Mel. Sie schenkte uns jeweils ein Glas Rotwein ein und lehnte sich dann mit dem Rücken an das Geländer meines Balkons.
Sie sagte nichts.
Hieß das ja?
„Also glaubst du es? Er fühlt sich sicher eingeengt".
Mel seufzte und warf mir einen genervten Blick zu.
„Nein, ich glaube du drehst durch", antwortete sie mir dann und ich zog verstimmt meine Augenbrauen zusammen.
„Henry liebt dich", sagte sie dann noch mit Nachdruck.
Ich nahm einen Schluck Rotwein und hielt kurz inne.
„Das bezweifle ich nicht, wirklich nicht. Ich sorge mich eher um die Artunserer Beziehung. Ich glaube es genügt ihm nicht", erklärte ich.
Ich wusste, dass Henry mich liebte. Und ich liebte ihn. Aber das hatten wir doch irgendwie immer schon getan und es hatte nie gereicht.
Mel setzte sich auf den Stuhl neben mich und legte ihre Hand auf meine. Mir war gar nicht aufgefallen, wie ich aus Nervosität mit den Fingern auf den Holztischgetrommelt hatte.
„Skara, ich bin ehrlich mit dir. Du übertreibst, eine seltsame Reaktion von ihm heißt doch gar nichts".
„Ja aber was ist mit seiner Geheimnistuerei?", warf ich ihr entgegen.
Plötzlich fühlte ich mich, als müsste ich heulen. Eben war ich doch noch wütend gewesen oder frustriert?
Meine Gefühle spielten verrückt. Nur wegen dieser einen Reaktion?

„Seit wann willst du denn alles wissen, was er macht?", fragte sie und drehte sich eine Zigarette.
Die Kerze zwischen uns, die den Balkon in zartes Licht tauchte, flackerte kurz.
Mel zündete sich ihre Zigarette an.
Mir wurde schlecht.
„Seit ich so unsicher bin", gab ich zu.
Mel blies langsam den Rauch aus. Als müsste sie sich alle Mühe geben, mich nicht anzuschreien.
Dann erklärte sie langsam, beinahe als würde sie mit einem Kind sprechen: „Skara, wenn du so unsicher bist, dann sprich mit ihm. Ich weiß wirklich nicht, warum du glaubst es würde ihm nicht genügen. Himmel, warum sollte er sich denn eingeengt fühlen?".
Ich sah zu ihr, sie schenkte mir ein Lächeln. Ich griff nach meinem Drehzeug, legte es wieder hin.
„Du kanntest ihn nicht, als wir jünger waren", sagte ich leise. „Henry war ... er wollte immer mehr. Er wollte alles. Er wollte nicht nur ein Hobby, nicht nur ein Buch lesen, nicht nur einen Freundeskreis, nicht nur ein Mädchen".
Mel sagte nichts. Ich seufzte.
„Ich habe Angst, dass ich ihm das nehme, was er braucht, um Henry zu sein".
Mittlerweile war meine Stimme so leise, dass ich unsicher war, ob Mel mich überhaupt verstehen konnte.
Mir war es fast peinlich, was ich da vor mich hinmurmelte.

„Und ich wollte früher unbedingt lesbisch sein, weil ich es edgy fand. Naja, heute weiß ich halt, dass sexuelle Orientierungen kein Trend sind und ich leider zu sehr auf Pimmel stehe", meinte Mel trocken und ich verschluckte mich an meinem Rotwein.
„Was willst du mir denn damit sagen?", fragte ich hustend. Und war frohdarüber, dass Mel die Stimmung wieder ein wenig aufgeheitert hatte.
„Wir werden erwachsen. Wir werden reifer. Wir finden heraus, was wir wollen. Auch Henry", sagte sie dann und drückte energisch ihre Zigarette im Aschenbecher aus.
Vielleicht stimmte das. Ziemlich sicher sogar. Aber, wer sagte mir, dass wir soweit waren. Wer sagte mir, dass es mir gefiel. Wer sagte mir, dass Henry eine Beziehung mit mir wollte. Und zwar eine richtige, etwas, dass ernster war, als das, was wir bisher geteilt hatten.
„Du hast da schon recht. Und das Problem ist, dass ich herausgefunden habe, dass ich was ernstes will".
Mel warf frustriert die Hände in die Luft. Als hätte ich das Offensichtlichste der Welt gesagt.
„Natürlich! Skara! Aber scheiße, Henry und du, ihr steht aufeinander seit ihr sechzehn seid und noch nie ward ihr seitdem nicht Teil von dem Leben des jeweils anderen. Das ist so ernst, richtig ernst", sie stoppte, sah mich ernst an und fuhr mit ruhigerer Stimme fort: „Ihr seid Skara und Henry, ihr" – ich unterbrach sie unwirsch. „Aber ich will ne monogame Beziehung. Ich will nur ihn, ich will, dass er nur mich will und ich hab satt zu teilen! Mir ist das so peinlich, ich dachte nie, dass ich mal so denken würde, aber ich scheiß auf offene Beziehungen und ich glaube er halt nicht!".

Es war raus. Bis ich es ausgesprochen hatte, war es mir selbst nicht klar gewesen.
Ich wollte monogam leben und das tat mir in der Seele weh, denn ich wollte romantische Beziehung doch unbedingt anders leben.
„Das hab ich doch nie gesagt". Eine Stimme ließ mich herumfahren, Mel fasste sich erschrocken an die Brust. Henry.
Er stand in der geöffneten Balkontür, ich hatte ihn nicht hereinkommen hören. Er spielte mit dem Wohnungsschlüssel in der Hand und sah mich beinahe enttäuscht an.
Ich schluckte, konnte irgendwie nichts sagen.
„Ich glaub ich geh mal heim", sagte Mel und stand auf. Sie beugte sich zu mir, drückte mir einen Kuss auf die Wange und knuffte Henry beim Gehen liebevoll in die Schulter.
Ich sagte noch immer nichts. Mir wurde erneut übel.
Ich versuchte es mit einem Schluck Rotwein zu bekämpfen, doch das machte es nur schlimmer.
„Ich glaube wir sollten mal reden", sagte Henry dann, ich stand ruckartig auf und drängte mich eilig an ihm vorbei in die Wohnung.
Im Bad entließ ich dann meinen Mageninhalt in die Toilette.

TrifoliumWo Geschichten leben. Entdecke jetzt