Kapitel 68

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Es war bereits taghell, als ich entschied nach Hause zu gehen. Mittlerweile saßen wir mehr draußen herum, als das wir tanzten. Es waren nur noch Leo, Henry, Malik und ich – wie so oft. Die anderen hatten sich schon vor einer ganzen Weile verabschiedet. Doch die Jungs kannten kein Ende, auch heute nicht.
Ich musste an die Nacht denken, in der wir vier es auch mal wieder ein wenig übertrieben hatten und ich am nächsten morgen neben Henry aufgewacht war. Was seitdem alles passiert war, hätte ich damals wohl nie vermutet.
„Ich muss schlafen gehen", sagte ich und gähnte. Ich packte meine Sachen und hätte viel dafür gegeben, wenn ich mich nach Hause hätte teleportieren können.
„Ich würde noch bleiben", sagte Henry, fast ein wenig unsicher. „Natürlich nur, wenn ich dich nicht heimbringen soll".
Ich grinste. „Süß, aber bleib ruhig".
Ich wünschte ihnen viel Spaß, gab allen einen Wangenkuss zum Abschied und machte mich dann auf den Heimweg.
Die Stadt war wach, und zwar nicht immer noch, sondern wieder.
Es war ein Sonntag und die Menschen genossen die Frühlingssonne. Die Cafés an denen ich vorbei lief waren voll besetzt, mir kamen Menschen zu Fuß und auf Fahrrädern entgegen und alles um mich herum strotze vor Energie und Tatendrang.
Zuhause angekommen, warf ich mich in mein Bett. Gerne hätte ich noch geduscht oder etwas gegessen, aber ich war eingeschlafen, bevor ich überhaupt weiter darüber nachdenken konnte.
Ein paar Stunden später wachte ich auf, weil meine Zimmertür aufging und wieder geschlossen wurde.
Henry war hereingekommen. Er zog sich aus und kuschelte sich an mich. „Sorry, ich wollte dich nicht wecken", flüsterte er, doch da schlief ich schon wieder ein.

„Es ist seine Tochter", sagte Mel und schob sich an mir vorbei in die Wohnung.
„Und verheiratet ist er auch".
Ich blinzelte sie verwirrt an. Ihr Klingeln hatte mich geweckt und ich stand nun ein wenig verständnislos im Flur herum, während Mel energisch in die Küche spazierte.
„Ich mach nen Kaffee", rief sie und ich schloss langsam die Wohnungstür und lief ihr nach.
Die Nachmittagssonne warf goldenes Licht durchs Fenster und ich gähnte herzhaft. Henry schlief noch, er hatte missgelaunt gestöhnt und kurz geflucht, als es drei Mal hintereinander an der Tür geklingelt hatte und ich war aufgestanden, damit es kein viertes Mal werden würde.
Ich hatte nur ein T-Shirt an und griff mir Raphis Sweatshirtjacke, die zufällig in der Küche lag und zog sie mir über.
Mel drückte mir eine Tasse Kaffee in die Hand, schloss die Küchentür und zündete sich eine Zigarette am Fenster an.
„Konntest du mir folgen oder schläfst du noch?", fragte sie, blies Rauch aus und zog direkt noch einmal an ihrer Kippe.
Ich schloss kurz die Augen, seufzte und lehnte mich neben sie an die Küchenablage.
„Nochmal bitte".

„Fiz ist Farids Tochter und er ist verheiratet".
„Oh".
Ich nahm einen Schluck Kaffee, Mel sah mich genervt an.
„Und weiß seine Frau von dir?", fragte ich dann.
„Hab ich nicht gefragt".
Ich sah sie verständnislos an. „Was? Aber das ist doch eigentlich das Wichtigste?".
Meine beste Freundin warf die Arme in die Luft und ließ sie resigniert fallen. „Ich weiß", murmelte sie. „Ich bin einfach gegangen, das wurde mir irgendwie zu krass. Er meinte ich könnte Fiz ja mal kennenlernen".
Ich nahm Mel die Zigarette aus der Hand, zog daran und gab sie ihr zurück.
„Aber das ist doch schön? Oder?".
„Was soll ich der denn sagen wer ich bin? Hey Fiz, ich fick deinen Papa, aber nur so auf freundschaftlicher Ebene?".
Ich lachte laut los.
„Glaube nicht, dass sie sich dafür interessiert, was genau du mit ihrem Papa machst".
„Skara", maulte sie.
Ich stellte die Kaffeetasse ab und sah Mel liebevoll an.

„Hey, du magst Farid und er dich anscheinend auch, sonst würde er dir ja nicht seine Tochter vorstellen wollen. Frag ihn, was er und seine Frau für eine Abmachung haben und wenn sie von dir weiß und sie damit einverstanden ist, dann lern Fiz kennen. Geht zusammen spazieren, Eis essen, ins Schwimmbad, keine Ahnung und lass es einfach auf dich zukommen".
Mel zögerte. Sie reichte mir ihre Zigarette und fuhr sich mit den Händen übers Gesicht. „Als ob seine Frau von mir weiß, Skara".
„Frag ihn".
„Und was wenn er nein sagt? Dann muss ich ihn abservieren. Das will ich nicht".
Ich sah sie plötzlich grinsend, Mel wich meinem Blick aus.
„Du bist verknallt!".
Mel stöhnte.
„Du bist echt verknallt", rief ich nochmal und klatschte in die Hände.

Die Tür ging auf, Henry kam herein geschlurft. „Wer ist verknallt?", fragte er, gab mir beiläufig einen Kuss aufs Haar und schenkte sich eine Tasse Kaffee ein.
Ich zeigte auf Mel, welche das Gesicht verzog, es aber nicht leugnete.
„Dieser Farid-Typ?", fragte Henry und drehte sich eine Zigarette. Ich nickte.
„Er hat aber ein Kind und ne Frau", erklärte Mel und Henry zuckte mit den Schultern während er sich die Zigarette zwischen die Lippen steckte und anzündete.
„Weiß sie von dir?", fragte er.
„Hab ich nicht gefragt".
„Was? Aber das solltest du schon wissen", sagte nun auch Henry und Mel verdrehte die Augen.
„Ihr nervt – beide!".
Ich schmunzelte.
Mel stieß sich von der Küchenablage ab und zog ihr Handy aus der Hosentasche. „Ich werde ihn anrufen und fragen. Falls er überhaupt ran geht, nachdem wie ich ihn vorhin hab stehen lassen".
Ich klopfte ihr aufmunternd auf die Schulter, als sie an mir vorbei lief, um die Küche zu verlassen.
Sie telefonierte im Flur, also hörten wir trotzdem was sie sagte.
„Ich bins", begann sie. „Sorry wegen eben. Ich war überfordert".
Ich lehnte mich an Henry, er legte einen Arm um mich und zog mich an sich währender rauchte.
„Hattest du noch Spaß?", fragte ich und er nickte.
„War das okay für dich gestern?", fragte er und ich wusste, dass er die Sache mit Pia meinte. Ich nickte.
„Ich bin ganz schön verliebt in dich", sagte ich dann und sah zu ihm rauf, er grinste schelmisch.
„Wie sehr denn?". Er drückte seine Zigarette aus und zog mich nun vor sich. Seine Hände lagen an meinen Hüften und ich legte meine Hände an seine Schultern. Dann reckte ich den Kopf nach oben und kam seinem Gesicht ganz nah. Meine Lippen berührten beinahe seine, es ließ mich noch immer und immer wieder erschaudern.
„Zeig ich dir, wenn Mel weg ist", flüsterte ich dann und küsste ihn.
Henry küsste zurück und raubte mir den Atem.

„Boah Leute!", rief Mel und ließ uns wiederwillig auseinander fahren.
Henry verdrehte die Augen. „Wann hast du vor zu gehen?", fragte er frech in Mels Richtung und ich schlug ihm lachend gegen den Oberarm.
Mel stemmte erbost die Hände in die Hüften. „Verspaß es dir nicht mit mir, Mister!", drohte sie spielerisch und sah uns dann plötzlich ernst an.
„Seine Frau weiß nichts von mir", begann sie. „Aber sie führen eine offene Ehe".
„Was hat er noch gesagt?", fragte ich sanft.
„Er hat gesagt, dass er ihr von mir erzählt bevor wir gemeinsam etwas mit Fiz unternehmen. Das wäre neu, sonst würden die beiden nur mit anderen schlafen, sie aber nicht daten. Er weiß nicht wie seine Frau das finden wird, aber ihre Meinung wäre am Ende ausschlaggebend. Er sagt sie sind glücklich", erklärte sie und Henry und ich hörten ihr aufmerksam zu.
„Wie geht es dir damit? Wäre es für dich unter diesen Bedingungen weiterhin cool mit Farid?", fragte Henry und Mel zuckte mit den Schultern.
„Ich wär wenns hoch kommt Nummer drei für ihn. Keine Ahnung, ob mir das reicht".
Wir schwiegen.
Das stimmte, irgendwie.
Verliebt in jemanden der eine funktionierende Ehe führt, geht das?
Ich dachte an meine Gedanken des gestrigen Abends. An das was Charlie gesagt hatte. Offene Beziehungen, monogame Beziehungen, Verliebt, Verlobt, Verheiratet, Geschieden. Scheiße, war das kompliziert.
„Und jetzt?", fragte ich.
„Ich glaube ich möchte es versuchen", sagte sie. „Ich steh viel zu sehr auf ihn, um es nicht zu tun".
Okay.

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