Kapitel 47

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„Vielleicht bleib ich hier", hatte ich leise zu Mel gesagt, als die anderen schon ihre Jacken und Schuhe angezogen hatten und bereit waren, um zur Party aufzubrechen. Mir war nicht nach Feiern zumute, doch Mel hatte streng den Kopf geschüttelt und mich einfach mitgeschleppt.
Jetzt stand ich seit geschlagenen fünfzehn Minuten vor der Toilettentür und wartete. Um mich herum ein Haufen an fröhlichen, betrunkenen Menschen, die sich selbst und das neue Jahr feierten.
Ich war nüchterner, als die meisten anderen und fühlte mich deswegen ein wenig fehl am Platz.
Zumindest redete ich mir ein, dass es daran lag und nicht daran, dass ich Henry noch immer nirgendwo entdeckt hatte und sich zusätzlich die alljährliche Silvesternostalgie einstellte.
Die Badezimmertür ging auf und Pia kam heraus. Sie hatte ein süßes Outfit an, ihr zartes Gesicht war toll geschminkt. Sie sah mich kurz überrascht an. „Oh", sagte sie und bekam schnell ihre Gesichtszüge wieder unter Kontrolle und blickte nun genervt. „Wie praktisch, wenn man vom Teufel spricht. Dann kümmere du dich". Ich blickte verständnislos zurück. Kümmern worum? Doch sie lief bereits an mir vorbei, ihre hohen Schuhe trugen sie graziös durch den Flur. Ich verzog das Gesicht kurz und ging dann ins Bad, nur um kurz darauf wie angewurzelt stehen zu bleiben.
Henry saß auf dem Boden vor der Toilette und sah nicht auf, als ich den Raum betrat. Er rührte sich nicht, blickte nur beinahe apathisch vor sich auf die Fliesen. Er trug kein Oberteil, es lag zusammengeknäult im Waschbecken.
„Henry?", sagte ich und schloss leise die Tür hinter mir. Die laute Musik wurde nun endlich gedämpft und ich konnte meine eigenen Worte verstehen. „Alles okay?".
Besorgt ging ich auf ihn zu.
Er sah zu mir hoch. Seine Augen waren gerötet, sein Blick glasig.
„Was ist los?", fragte ich erneut.
Er würgte kurz, kniff die Augen zusammen und atmete dann tief ein und aus.
„Weiß schon warum ich kein Schnaps mehr trinke", nuschelte er dann und ich musste genau hinhören, um ihn zu verstehen.
Belustigung gesellte sich zu meiner Besorgnis und ich ging vor ihm in die Hocke.
Ich strich ihm sanft übers Haar. „Nur Alkohol?", fragte ich um sicher zu gehen. Er verdrehte unglaublich genervt die Augen. Ich war beeindruckt, dass er das in seinem Zustand noch schaffte.
„Ja", hickste er dann und zeigte beinahe anklagend auf die leere Flasche Korn, die unters Waschbecken gerollte war.
„So dreckig geht's einem nur mit Hochprozentigem".
Ich runzelte zweifelnd die Stirn, fand es aber unnötig ihn jetzt an seinen letzten Pilztrip zu erinnern. Also nickte ich einfühlsam.
Ich trank meine Bierflasche aus, füllte sie mit Wasser und hielt sie Henry hin. Er nippte vorsichtig daran und übergab sich direkt darauf.
„Ich bring dich heim", sagte ich. Nicht anderes würde jetzt Sinn machen.
Er schüttelte energisch den Kopf. „Nein", jammerte er. „Nein, ich versau dir dein Silvester".
Ich hielt ihm meine Hand hin, um ihm beim Aufstehen zu helfen.
„Ich wollte eigentlich eh nicht kommen", murmelte ich und zog ihn auf die Füße. Er taumelte in meine Arme.
„Warum?", fragte er mit großen Augen und legte dann seinen Kopf in meiner Halsbeuge ab. Ich zuckte mit den Schultern und Henry schien trotz 2,5 Promille die Antwort zu kennen.

Henry fiel in sein Bett. Das Gesicht vergrub er im Kissen und stöhnte. Er hatte sich nicht mal die Schuhe oder Jacke ausgezogen.
Ich setzte mich erschöpft auf die Bettkante. Der Heimweg war eine Tortur gewesen und irgendwann hatte ich beschlossen ein Taxt zu rufen. Da Silvester war mussten wir ewig in der Kälte warten.
Ich war durchgefroren und müde. Nicht gerade das Silvester, das man sich wünschte, aber ich war so froh, dass ich es mit Henry verbrachte, dass mir alles andere egal war.
„Mir ist so schlecht. Wie kann mir immer noch so schlecht sein?", nuschelte Henry ins Kissen. Ich lachte leise.
Dann stand ich auf, zog mir meine Jacke und meine Schuhe aus, zog ihm seine Jacke und seine Schuhe aus und stellte einen Eimer neben sein Bett.
Ich streichelte ihm über den Kopf.
„Schlaf jetzt, wir sehen uns morgen", flüsterte ich. Dabei wollte ich nichts lieber, als bei ihm sitzen bleiben.
Ich stand auf und verließ das Zimmer, Henry schnarchte bereits leise.
In der Küche kochte ich mir einen Tee, ich fror noch immer. Dann stellte ich mich auf den Balkon. 

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