Kapitel 80

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„Pizza oder Indisch?", fragte Mel und ließ sich mit ihrem Handy in der Hand neben mich aufs Sofa fallen. Ich verzog das Gesicht. Mel gab mit einen empörten Klaps auf den Oberschenkel. „Wenn ich dich noch einmal nach dem Vorschlag Pizza zu bestellen so ein Gesicht machen sehe kündige ich dir die Freundschaft".  Ich verdrehte die Augen.
„Ich hab keinen Hunger".
Mel ließ ihr Handy in den Schoß sinken und sah mich seufzend an.
"Wir sind zum Mittagessen verabredet, Skara", erklärte sie mir dann, als wüsste ich nicht, warum ich in ihrer Wohnküche saß. "Können wir nachher im Zoo nicht einfach eine Pommes essen?", fragte ich und bei dem Gedanken an Pommes mit einer riesigen Portion Ketchup zog sich mein Magen ausnahmsweise einmal nicht zusammen. Der emotionale Stress machte mich fertig, mein schlechtes Gewissen fraß mich auf und raubte mir sowohl Schlaf wie auch Appetit.
Dass ich Mel versprochen hatte mit ihr, Farid und seiner Tochter Fiz heute Nachmittag in den Zoo zu gehen, bereute ich mit jeder Faser meines Körpers. Doch Versprochen war Versprochen und außerdem wusste ich, wie wichtig es für meine beste Freundin war.
"Bist du denn schon ein bisschen nervös?", fragte ich sie und legte den Kopf auf der Sofalehne ab während ich sie neugierig musterte.
Mel kräuselte ihre Nase und grinste dann schief. "Sowas von! Ich hoffe Fiz mag mich. Ich kann doch einfach nicht so gut mit Kindern". Dann verzog sie ihr Gesicht erneut.
"Du wirst das toll machen", redete ich ihr gut zu.

Drei Stunden später latschte ich mit Mel, Fiz und Farid zum bestimmt dritten mal am Erdmännchengehege vorbei. Fiz fand die kleinen, flinken Zoobewohner klasse und freute sich voller Enthusiasmus. Ich hatte schon einige Male fast angefangen zu weinen, als ich die unterschiedlichen Tiere in den kleinen, eingezäunten Bereichen beobachtet hatte. Fiz entzücktes Gekicher ließ mich das Unrecht allerdings beinahe vergessen und ich lächelte automatisch mit ihr mit. Ihrem Papa schien es genauso zu gehen. Er lachte und alberte mit ihr herum. Mel stellte sich neben mich und nickte in die Richtung von Farid.
"Irgendwie sexy", flüsterte sie.
"Wenn ich ihn mit Fiz sehe, dann bekomm ich manchmal richtig Bock auf ihn". Sie lachte. Typisch Mel, direkter gings nicht.
Ich schaffte es aber nicht mit zu lachen, rang mir nur ein gequältes Lächeln ab.
Henry wäre sicher auch unglaublich sexy mit unserem Kind im Arm, dachte ich und schluckte. Beinahe konnte ich ihn vor mir sehen und das Bild ließ mich den Rest des Tages nicht mehr los.

 Als ich heim kam, stand Henry in der Küche und kochte.
Es roch lecker nach Linsensuppe und ich spähte ihm über die Schulter in den riesigen Topf.
"Wie wars im Zoo?", fragte er und ich zog eine Schnute. Er lächelte und schloss den Top mit dem dazugehörigen Deckel.
"Meine Eltern und Leo kommen zum Essen vorbei. Du bist hier, oder?", fragte er dann und ich nickte. Evy und Lothar mal wieder zu sehen, freute mich, aber ich wollte eigentlich nur in mein Bett. Ich war unglaublich müde. So wie andauernd in letzter Zeit. Außerdem wollte ich mir Gedanken machen. Langsam mussten Entscheidungen getroffen werden und ich schob es andauernd vor mir her. Fiz und Farid hatten es mir heute nicht unbedingt leichter gemacht und allein der Gedanke an einen Abbruch schien plötzlich wesentlich weiter weg, als vorher. Innerlich verfluchte ich Mel und fragte mich, ob sie das eventuell damit bezwecken wollte.
"Ich bin ganz schön müde. Ich würde mich nochmal hinlegen bis sie kommen, okay?", sagte ich zu Henry und legte erschöpft meinen Kopf auf seiner Schulter ab. Er legte einen Arm um mich. "Natürlich. Ist alles okay? Du bist ganz schön oft müde in letzter Zeit". Besorgt musterte er mich und ich musste seinem Blick ausweichen.
Ich nickte nur knapp. "Ja, alles gut".
Dann verschwand ich in meinem Zimmer, wo ich mich unter die Decke kuschelte und versuchte, so schnell wie möglich einzuschlafen. Meine Gedanken rasten, aber erstaunlicherweise war ich doch schnell eingedöst und wachte erst von der Klingel wieder auf.

Ich blieb liegen - hörte Henry an der Sprechanlage, kurz darauf Gepolter im Treppenhaus und im Flur. Evy begrüßte ihren Sohn liebevoll und fröhlich. Allein ihre Stimme machte mir klar, dass ich dringend eins von ihren liebevollen und bestimmten, ehrlichen und wertschätzenden Gesprächen brauchte. Einen von ihren Ratschlägen. Sie gab die besten!
Aber ich konnte nicht.
Es klopfte zaghaft an meiner Tür, Henry kam herein. "Magst du aufstehen?", fragte er leise und setzte sich auf meine Bettkante. Er strich zärtlich über meine Wange und ich robbte an ihn heran. Dann nickte ich. "Gleich".
Ich reckte kurz mein Gesicht in seine Richtung und spitzte die Lippen, um ihm zu signalisieren, dass ich gerne einen Kuss hätte.
Er lächelte amüsiert, beugte sich zu mir runter, gab mir den eingeforderten Kuss und stand wieder auf.
Ich streckte mich und schaffte es dann auch unter der Decke hervor zu kommen und mich anzuziehen.
Lothar, Evy und Leo saßen bereits am Küchentisch, als ich herein kam. Ich begrüßte sie freundlich lächelnd und Evy stand sofort nochmal auf, um mich fest in den Arm zu nehmen. Ich schmiegte mich an sie und wollte sie gar nicht mehr loslassen. Überrascht drückte Evy mich noch etwas fester an sich. "Alles okay, Liebes?", fragte sie leise und ich nickte, doch merkte, wie sich dabei ein Kloß in meinem Hals bildete und Tränen in meine Augen traten.
Ich fühlte mich bei ihr so geborgen, so sicher und ich wollte einfach, dass sie mich fest hielt.
Ich blinzelte schnell die Tränen weg und löste mich von ihr. Evy sah mich besorgt an, doch ich versuchte ein unbekümmertes Gesicht aufzusetzen.
 "Es ist so schön dich zu sehen", sagte ich und lächelte. Keiner sagte etwas, Henry stand am Herd und musterte mich nachdenklich.
"So begrüßt du mich nie", meinte Leo und ich war ihm dankbar, dass er die seltsame Stille füllte. Ich ließ mich neben ihn auf das Sofa am Küchentisch fallen.
"Tu ich wohl", dann drückte ich ihm einen Schmatzer auf die Wange. Leo legte mir einen Arm um die Schultern und erzählte dann eine Geschichte, die alle zum Lachen brachte.
Henry stellte die Suppe auf den Tisch, dazu frisches Fladenbrot.
Während des Essens redeten wir über eher belangloses, doch als sich die Teller langsam leerten, schnitt Lothar das Thema Wien an.

"Suchst du bereits nach einer Wohnung in Wien?", fragte er seinen Sohn neugierig. Ich spürte einen fiesen Stich im Herz.
Henry hatte, wie versprochen, seine Eltern einen Tag nach meinem Verplapperer angerufen und sich auch brav seine Rüge abgeholt. Doch Evy und Lothar freuten sich natürlich und zeigten Interesse an dieser großen Veränderung in seinem Leben. Henry warf mir einen Seitenblick zu. Ganz schnell, doch mir entging er nicht. "Nein, noch nicht", antwortete er. "Ist ja auch noch Zeit". "Die geht schneller rum, als du denkst", gab Evy zu Bedenken. "Drei Monate sind ja quasi nichts". Ich schluckte.
Drei Monate und dann würden wir getrennte Wege gehen. Drei Monate und dann würde ich meinen Henry verlieren. Er würde ein neues Leben anfangen. Plötzlich dachte ich, dass wir vielleicht doch eine Fernbeziehung ausprobieren sollten, doch das würde mir das Herz brechen. Langsam und qualvoll. Dann doch lieber schnell. Wie ein Pflaster. Au und weg.
Ich hatte aufgehört dem Gespräch zu folgen, doch Henry sah mittlerweile genervt aus. "Ich geh eine rauchen", sagte er dann und stand energisch auf. "Skara? Leo?", fragte er in Richtung Sofa. "Skara hat doch aufgehört", meinte Lothar und Henrys Blick schien mich beinahe zu durchbohren. "Was? Seit wann denn das?", fragte er. Doch es schien mehr aus seinem Mund heraus gepurzelt zu sein, denn irgendwas sagte mir, dass er die Antwort bereits kannte.

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