Kapitel 65

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 „Hast du Lust ein paar Tage weg zu fahren?", fragte Mel und legte ihre Füße auf dem Balkongeländer ab.
„Wohin denn?", fragte ich und blies gedankenverloren den Rauch meiner Zigarette in den babyblauen Himmel.
„Keine Ahnung, es muss nicht weit weg sein", murmelte sie.
„Wegfahren wäre schön", antwortete ich ihr nachdenklich. „Ich muss das aber mit der Arbeit klären".
Ich sah zu Mel herüber und sie nickte, nahm einen Schluck von ihrem Kaffee. „Nur wir zwei dann?".
„Klar nur wir zwei", bestätigte ich.
„Gut, ich hab nämlich das Gefühl du hast keine Zeit mehr für mich". Sie klang dabei betont neutral.
Überrascht ließ ich die Zigarette sinken. „Was?".

Mel zuckte mit den Schultern. „Du bist so beschäftigt zurzeit und wenn du Zeit hast, dann verbringst du sie mit Henry".
Ich hatte Mel in den letzten Wochen wirklich wenig gesehen. Irgendwie war ich ständig eingespannt und sie war zu kurz gekommen. Meine freie Zeit verbrachte ich aber nicht unbedingt mit Henry. Wir lebten zusammen, klar. Aber ich sah ihn auch nicht viel häufiger als Raphi, denn mein Freund schien momentan sein Atelier zu seinem Zuhause gemacht zu haben.
Die zarte Frühlingssonne schien mir ins Gesicht und blendete mich. Ich rückte die Sonnenbrille auf meiner Nasenspitze zurecht und drückte meine Zigarette aus.
„Tut mir leid, dass es dir so damit geht", sagte ich. „Ich möchte auch wieder mehr Zeit mit dir verbringen".
Mel nickte, damit war das Thema beendet.

Wir schwiegen eine Weile. Ich trank meinen Kaffee aus und bekam Hunger.
Wir entschieden uns einen Falafel-Wrap beim Döner um die Ecke zu holen. Wir bestellten drinnen und setzten uns dann draußen in die Sonne, um zu warten. Mel rauchte, ich trank einen Ayran, da entdeckte ich einen groß gewachsenen Mann mit dunklem Haar und langem grünen Parker, welcher mir irgendwie bekannt vorkam und auf dem Bürgersteig in unsere Richtung lief. Er hatte ein junges Mädchen von etwa drei, vier Jahren an der Hand, was geschäftig auf ihn einredete und offensichtlich versuchte ihren Papi davon zu überzeugen, dass ein Eis ihr nicht den Appetit aufs Abendessen verderben würde.
Woher kannte ich den Typ?
Meine Frage wurde umgehend beantwortet. „Farid?", fragte Mel, die bis eben noch ihr Gesicht der Sonne zugewandt hatte und jetzt verwirrt blinzelte.
Oh. Daher.

„Oh", machte auch Farid. Für einen kurzen Moment schien er unangenehm berührt, dann lächelte er. „Hey Mel", sagte er und sah mich kurz nachdenklich an. „Ich bin Farid", stellte er sich schließlich vor und ich nickte höflich. „Skara", sagte ich und sah dann zu seiner Tochter. „Und wer bist du?".
„Ich bin Fiz", sagte sie und lächelte stolz. Ich lächelte zurück, Mel drückte ihre nicht einmal zur Hälfte gerauchte Zigarette schnell aus und lächelte dann ebenfalls. „Freut mich", sagte sie locker, schenkte dem kleinen Mädchen ein fröhliches Lächeln und wer sie nicht so kannte, wie ich, würde niemals die 100 Fragen sehen, die sich bereits in ihrem Kopf ausformulierten.

Wir hatten unsere Wraps gegessen, uns ein Bier beim Späti geholt und uns wieder auf ihren Balkon gesetzt bis sie endlich etwas dazu sagte: „Glaubst du er ist verheiratet?".
Ich zuckte mit den Schultern. „Und selbst wenn", antwortet ich. Mel verpasste mir einen leichten Schlag gegen den Oberarm.
„Skara. Was ist, wenn ich seine Affäre bin. Die zwei haben ein Kind. Ich will nicht die Ehe von Leuten kaputt machen, die ein Kind haben". Mel schaute mich ganz bedrückt an. Sie und Farid hatten immer noch immer mal wieder was am Laufen. Sie waren nicht zusammen. Sie waren nicht mal irgendwas in die Richtung davon, aber Mel schien sich nun Gedanken zu machen. Jetzt wo sie gesehen hatte, dass es offensichtlich Fiz in seinem Leben gab.
„Ohne Kind wäre aber okay?", fragte ich und Mel schlug mir erneut gegen den Oberarm. „Au. Hey! Das war ne Verständnisfrage".
„Ich bin meine das Ernst. Sie war so süß! Sie verdient keine geschiedenen Eltern und nen Vater, der ihre Mutter nach Strich und Faden betrügt", redete sie sich in Rage, nahm einen Schluck Bier und redete weiter: „Er hat nie was gesagt von einem Kind. Das spricht doch dafür, dass er mit der Mutter von Fiz noch zusammen ist, oder? Denkst du nicht auch? Ich bin eine Affäre und zerstöre eine Familie. Oh Gott. Scheiß Farid, er zerstört das Vertrauen seiner unschuldigen Tochter".

„Du wirst mir gerade ein wenig zu autobiografisch, Liebes", sagte ich gelassen und unterbrach Mels Redeschwall. Sie sah mich kurz verdutzt an und lachte dann schallend. „Scheiße, du hast Recht".
Mels Vater hatte, man ahnt es wohl bereits, eine Affäre als Mel gerade in die Grundschule kam und betrog ihre Mutter ab da für etwa weitere 10 Jahre, bis sie sich endlich von ihm trennte.
Mel und ihr Vater hatten ein schlechtes Verhältnis, aber auch mit ihrer Mutter kam sie lange nicht gut klar. Gerade als Teenager war sie der langen Toleranz seitens ihrer Mom mit absoluter Ablehnung begegnet. Heute verstand sie sie. Ihre Mutter war wohl kaum Schuld an dem, was ihr Vater ihr antat. Beziehungen waren kompliziert – auch die der eigenen Eltern.
„Vielleicht fragst du ihn einfach bevor du Vermutungen anstellst", schlug ich vor und zog mir fröstelnd einen Hoodie über. Sobald die Sonne sich verabschiedete, wurde es kalt.
Mel verzog das Gesicht, stimme mir aber zu.
„Ja. Ich ruf ihn die Tage wohl besser mal an".

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