Kapitel 73

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Ich schlief kaum die Nacht über und jedes mal wenn ich wach wurde, lag Henry mit geöffneten Augen neben mir und sah an die Decke.
Wir hatten nichts weiter klären können am Vorabend und Henry hatte mich entschieden ins Bett geschickt, bevor ich noch eine Pankattacke bekäme.
Er wirkte erstaunlich gefasst, doch wenn ich nachts zu ihm sah und mich an ihn ran schmiegte, erkannte ich auch in seinem Blick die Angst, die er versuchte mit einem Lächeln und einem frechen Zwinkern zu verbergen.
Als ich am Morgen in das zarte Licht der Sonne blinzelte, war Henry verschwunden.
Ich stand auf und fand ihn auf dem Balkon. Er lehnte rauchend an der Hauswand, auf dem Tisch stand eine Tasse Kaffee.
„Morgen", sagte ich leise, er sah zu mir. „Morgen", erwiderte er dann.
Aus Reflex griff ich nach seinem Drehzeug, hielt in der Bewegung inne und ließ die Hand sinken.
Falls ich schwanger war, dann hieß es Abschied nehmen vom Rauchen. Und von noch so vielem mehr.
Henry hatte mich beobachtet und drückte seine Zigarette aus. „Na komm, wir gehen rein".
Ich ließ die Schultern hängen und trottete in die Küche.

„Was wolltest du gestern erzählen?", fragte ich. Irgendwann würden wir dieses Gespräch zu Ende führen müssen, warum also nicht jetzt gleich.
„Wollen wir nicht erst einmal herausfinden ob... willst du nicht erst einmal einen Test machen?".
Ich versuchte mein rasendes Herz zu ignorieren und lehnte mich an die Küchenablage. Dann nickte ich.
„Ja du hast recht". Ich schluckte und folgte ihm in den Flur, wo wir uns unsere Schuhe anzogen und ich nach meiner Handtasche griff.
Wir gingen zu der Drogerie um die Ecke, kauften direkt zwei Tests und gingen auf direktem Weg wieder zurück nach Hause. Als Henry die Tür aufschloss, betete ich, dass Raphi nicht da sein würde. Seine Zimmertür stand offen, er war nirgendwo zu sehen. Ich kickte meine Schuhe von den Füßen und blieb vor der Badezimmertür beinahe wie angewurzelt stehen.
„Aber Henry", flüsterte ich und drehte mich zu ihm um. Er stand im Flur, scheinbar unschlüssig wohin er gehen sollte. Er sah so unschlüssig und hilflos aus, wie ich ihn lange nicht gesehen hatte. Und trotzdem, sobald sich unsere Blicke trafen, fühlte ich mich augenblicklich ruhiger. Er sah mich mit so viel Liebe an, dass Tränen in meine Augen traten.
„Was passiert, wenn es wirklich stimmt?".
„Was soll dann passieren?", fragte er zurück.
„Naja, was willst du denn dann, was passiert?", fragte ich und drehte die beiden blauen Pappschachteln nervös in meinen Händen.
Henry seufzte, trat einen Schritt auf mich zu und fuhr sich über das Gesicht. Er sah müde aus, erschöpft, doch wie immer war er so stark. Er strich mit dem Daumen zärtlich über meine Wange.

„Was möchtest du von mir hören?".
Keine Ahnung. Vielleicht wollte ich, dass er sagte, dass wir alles schaffen würden. Vielleicht wollte ich, dass er sagte, dass er niemals jetzt ein Kind haben wollen würde und, dass es ja noch rechtzeitig wäre, um das zu verhindern.
Vielleicht wollte ich, dass er sagte, dass wir unsere Beziehung schon nicht schafften, wie sollten wir dann ein Kind großziehen.
„Sei einfach ehrlich", antwortet ich ihm.
Er lehnte sich in den Türrahmen und seufzte erneut. Er zögerte, dann sagte er:
„Ich hatte nicht vor Vater zu werden, ehe ich nen Job habe. Und eigentlich auch nicht, ehe ich 30 bin".
Ich sah ihn ausdruckslos an.
„Aber wenn es nun doch der Fall sein sollte, dann ist das schon okay".
„Schon okay?", fragte ich zurück. Ich zog meine Augenbrauen hoch und kam nicht umhin meiner Stimme einen empörten Unterton zu verleihen. Sein Blick wurde genervt.
„Ja, schon okay. Skara, ich könnte mir 1000 passendere Momente für ein Baby vorstellen als ausgerechnet jetzt. Jetzt wo ich -", ich unterbrach ihn unwirsch: „Ich könnte mir auch 1000 passendere Momente vorstellen, Henry. Sicher ist auch alles gut, sicher ist es ein Fehlalarm. Und selbst wenn nicht, ich zwing dich ja nicht mich zu heiraten verdammte scheiße."
„So hab ich das nicht gemeint". Er schien seine aufkeimende Frustration zu unterdrücken, doch es gelang ihm schlecht.
„Egal", ich winkte ab und funkelte ihn an. Er funkelte zurück. Keiner sagte etwas, dann wurde mein Blick weich und Henrys ebenfalls.

„Falls es kein Fehlalarm ist, finden wir schon eine Lösung", sagte ich. Henry nickte.
„So oder so kannst du auf mich zählen", sagte Henry und ich nickte.
Ich ging auf ihn zu und schmiegte mich an seine Brust, dann küsste ich ihn. „Wird schon", flüsterte ich ihm grinsend ins Ohr und er lachte leise. „Wird schon", flüsterte er zurück und schob mich sanft von sich und weiter ins Badezimmer.
„Und jetzt pinkel endlich".
Er schloss die Tür und ich atmete ein mal tief durch.

Mit zitternden Fingern hielt ich den blau-weißen Plastikstab zwischen meine Beine und über die Kloschüssel.
Danach legte ich ihn auf dem Spülkasten ab.
Als ich meine Hose hochzog und meine Hände wusch, hörte ich die Wohnungstür aufgehen.
„Oh hey man", sagte Raphi überrascht. „Was stehst du denn hier im Flur?".
Henry antwortete irgendwas von Bad und Skara.
„Hier kamen zwei Briefe für dich", sagte Raphi dann. Ich hörte, wie er seine Schuhe neben das Regal stellte und seine Jacke aufhängte.
„Der eine ist von der Akademie in Wien. Was wollen die denn von dir?", fragte Raphi neugierig und mir fiel mit lautem Scheppern die Seifendose ins Waschbecken.
Henry stammelte irgendetwas vor sich hin, ich konnte ihn kaum durch die geschlossene Badtür verstehen - und da war es mir klar.

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