Kapitel 45

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Mel saß auf dem Barhocker neben mir und nippte an ihrem Gintonic. Ihre dezent geschminkten Augen fixierten den Barkeeper. Draußen war es dunkel, es regnete mal wieder und die Temperaturen waren für Dezember wohl angemessen. Ich seufzte, leerte mein Getränk und wandte mich dann meiner besten Freundin zu. „Ich glaube ich liebe ihn", sagte ich und Mel drehte sich zu mir um. Das dumpfe Licht in der verrauchten Bar ließ ihr rotbraunes Haar ein wenig schimmern, das sah schön aus. „Was?", fragte sie und zog irritiert die sorgsam gezupften Augenbrauen zusammen. „Ich sagte, ich glaube ich liebe ihn".
„Du bist betrunken", sagte sie dann, drehte sich wieder von mir weg und sah zu dem hübschen Barkeeper, der große Ähnlichkeiten mit Farid hatte, der sich seit einigen Tagen nicht mehr bei Mel meldete.
„Ich hatte einen Gintonic", sagte ich und sah sie zweifelnd an. „Außerdem weißt du ja gar nicht, wie ich das gemeint habe", ergänzte ich trotzig.
„Weiß nicht, was man daran nicht verstehen soll".
„Ich mein das so generell. So ich liebe ihn halt, wie man seine Familie liebt".
„Du liebst Henry, wie einen Bruder?", sie drehte sich wieder zu mir um. Und ich stöhnte auf.
„Nein natürlich nicht. Hey, du nimmst mich nicht ernst".
„Stimmt".
„Darf ich dirs erklären?".
„Wenns sein muss". Sie lächelte dabei aber und sah mich sanft an.
„Also. Ich habe darüber nachgedacht, was das ist, was ich für Henry empfinde", begann ich und Mel unterbracht mich: „Das ist ja schonmal ein guter Anfang. So vor dem Hintergrund, dass ihr seit fast 10 Jahren miteinander schlaft". Ich schlug ihr gegen die Schulter. „Hey, lass mich ausreden. Außerdem übertreib nicht! 10 Jahre!", ich schüttelte den Kopf. „Also ich habe darüber nachgedacht, was ich für Henry empfinde. Und habe festgestellt, dass ich mir nicht vorstellen kann, jemals nichts mehr für ihn zu empfinden und ich finde das ehrlich gesagt richtig gruselig".
Mel nickte plötzlich ernst und verständnisvoll. Sie merkte, dass jetzt kein Platz mehr für Scherze war.
„Aber ist das nicht ein schönes Gefühl?", fragte sie. Und ich dachte darüber kurz nach.
„Schon. Aber auch furchteinflößend. Und da war schon so viel Schmerz und so viel Chaos. Aber trotzdem fühlt sich es irgendwie noch so rein an". Ich stoppte. Es fühlte sich noch immer unglaublich ehrlich an, aber ganz und gar nicht nach verliebt sein und das war doch eigentlich ein so schönes Gefühl ...
„Und irgendwie", führte ich diesen Gedanken dann Mel gegenüber aus, „wäre ich gerne wieder verliebt in ihn, aber das werde ich ihm gegenüber nicht mehr fühlen glaube ich".
„Wirklich?", war Mels direkte Reaktion darauf. Sie bestellte uns noch zwei Gintonics. Ja, wirklich? Ich erinnerte mich daran wie verleibt ich in Henry gewesen war, so jung und naiv, aber über beide Ohren verschossen. Der Gedanke war schön, aber das war ja nicht das, was ich wollte. Also war die Antwort: Eigentlich nicht. Eigentlich fand ich es so wie es war schon ziemlich gut. Henry und ich waren nun einmal unglaublich weit von Verliebtsein entfernt. Wir waren so viel mehr als das und das war gut. Wir mussten es nur wieder hinbekommen miteinander. Ich wusste jetzt, dass ich das wollte. Denn ohne einander ging es nicht.
„Nein", antwortet ich also.
Wie anstrengend war es denn auch verliebt zu sein? Neben all der wundervollen aufregenden Herzklopfgefühle, waren da auch immer die unsicheren Gefühle, immer diese Angst den anderen zu verlieren und das Bedürfnis ihn besitzen wollen.
Scheiß auf Verliebtsein. Scheiß auf dieses ich gehör zu dir. Scheiß auf dieses du gehörst zu mir. Bei Henry und mir ging es nicht darum, einander zu gehören. Es ging darum, zu einander zu gehören.

Ich hörte Henrys Schlüssel im Schloss und dann die Wohnungstür auf und zu gehen. Ich hörte, wie er durch den Flur bis zu seinem Zimmer ging und auch da die Tür öffnete und hinter sich wieder schloss. Ich öffnete nun meine Zimmertür, irgendwie klopfte mein Herz plötzlich. Er hatte mir gefehlt in den letzte Tagen.
Ich eilte zu seinem Zimmer und riss einfach die Tür auf. „Hi", sagte ich fröhlich, er sah mich überrascht an und kam lächelnd auf mich zu. Ich umarmte ihn ganz fest. „Hab ich dir etwa gefehlt?", fragte er neckend, als ich ihn nicht loslassen wollte. Ich nickte, mein Gesicht immer noch an seinem Halsvergraben. Er schob mich sanft von sich weg und sah etwas besorgt aus. „Ist etwas passiert?", fragte er. Ich musste lachen, schüttelte dann den Kopf. „Nein, du hast mir wirklich einfach gefehlt".
Er grinste schief und sah dabei sehr zufrieden aus.
„Erzähl mir von deinen Feiertagen", sagte ich und ließ mich auf sein Bettfallen. Ich lehnte mich an die Wand und machte es mir gemütlich. Ich sah Henry dabei zu, wie er seine Sachen auspackte und dann fing er auch an von seinem Weihnachten zu berichten.
Irgendwie hätte ich mich gefreut, wenn wir gemeinsam gefeiert hätten.

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