03| Stille Söhne

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Changes
Hayd

Romeo

Der Schlüssel passte noch. Ich hörte das altbekannte klacken, als ich die hölzerne Tür zu dem kleinen Bungalow am Rande der Stadt aufschloss. Sie haben das Schloss noch nicht ausgewechselt.

Mit einem Quietschen ließ ich das Fliegengitter hinter mir ins Schloss fallen. „Mamma?", fragte ich in die stille Wohnung. Es roch immer noch nach kaltem Rauch und Staub, sowie einem penetranten Raumspray, der versuchte genau das zu überdecken.

Ich stellte den Rucksack mit meinen Habseligkeiten neben die Tür. Es sah aus wie immer. Ein kleiner Raum, der zugleich Wohnzimmer, Esszimmer und Küche zugleich war. Ich erwartete irgendwie immer, wenn ich nach Hause kam, dass es anders aussah. Aber es blieb immer gleich.

Sie sah auf, als ich sie in der Küche fand. Meine Mutter saß am Küchentisch und füllte gerade ein Kreuzworträtsel aus. Vorsichtig klopfte ich gegen den Türrahmen. „Bin wieder Zuhause."
„Warst du weg?", fragte sie, ohne aufzusehen.

Ich wandte den Blick ab und starrte stattdessen auf die Wand an dem verschiedene Marienbilder so wie eine Reihe von Kreuzen hingen. Ich wusste, dass es ihr aufgefallen war. Schließlich war ich ganze 4 Tage nicht hier gewesen. Sie legte den Kugelschreiber mit einem Klacken auf den Tisch. Aber ich verschwand oft für mehrere Tage spurlos, deswegen konnte ich es ihr nicht vorwerfen.

Ich war kein guter Sohn.

„Wo ist Papà?", sagte ich, als ich ihre Blicke nicht mehr aushielt und den Kopf wieder zu ihr wandte. Sie presste ihre Lippen zu einem dünnen Strich. „Dovrebbe essere all'inferno, al suo posto.", schimpfte sie grummelt und erhob sich von dem knarzenden Stuhl. „Mamma!", ermahnte ich sie, aber sie winkte nur ab. (Übersetzung: Er sollte in der Hölle sein, da wo er hingehört)

„Wenn du Zuhause bist, dann mach dich nützlich.", sie zog einen Topf aus dem Schrank und deutete auf den Kühlschrank. Ich gehorchte.

Es herrschte angespannte Stille zwischen uns, während wir zusammen das Abendessen kochten. So war das immer. Still. Ich kam nach Hause und es war ihnen anzusehen, was sie sagen wollten, was sie von mir hielten. Aber sie schwiegen. Überließen ihren Blicken das reden.

Wir taten so, als wären wir immer noch die kleine Familie, wie wir es früher einmal waren. Wir redeten nicht darüber, sondern ließen die unausgesprochenen Worte einfach über uns schweben. Wie dunkle Wolken kauerten sie über uns.

Manchmal fragte ich mich, was passieren würde, wenn ich einfach schrie. Wenn ich einfach mal die Stille durchbrach, satt zu fliehen.

Aber ich schien nie den Mut zu finden. Oder die Stimme. Und so reichte ich meiner Mutter auch an diesem Abend schweigend die Tomaten, schnitt die Zwiebeln, kochte die Nudeln. Tat so als wäre alles gut.

Auch an diesem Abend schrie ich nicht.

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„Das riecht köstlich!", flötete mein Vater, als sein Rollstuhl seinen Platz am Tisch fand. Ich setzte gerade die Nudeln auf den Tisch, als sein Blick auf mich viel. „Schön, dass du zu Hause bist, Romeo.", sagte er und ich lächelte schwach zurück. Ich drückte ihm einen kurzen Kuss auf die Glatze. „Wie gehts dir, papà?", fragte ich auf Italienisch und setzte mich neben ihn.

Er vermied meinen Blick und breitete stattdessen die Serviette über seinen Schoß aus. „Gut.", antwortete er dann doch schließlich und ich nickte, hinterfragte die offensichtliche Lüge nicht weiter.

Meinem Vater ging es seit ein paar Jahren nicht mehr gut. Früher war er ein stolzer Mann gewesen. Niemals, wirklich niemals, habe ich ihn mit gesenktem Kopf gesehen. Er hat schwer gearbeitet und war stolz darauf gewesen. Er hat mit den Händen gearbeitet, Blut und Schweiß dafür geopfert, unsere Rechnungen zu bezahlen.

Bad Choices [BxB]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt