10| Sherlock Homes

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Romeo

Mit ächzenden Muskeln wischte ich die Kondensation vom Spiegel und betrachtete den Jungen gegenüber. Blaue Strähnen klebten mir in der Stirn, während mir ein stumpfer Blick entgegen starrte. Ich versuchte das Nest mit meinen Händen zu bändigen, zerrte und glättete, aber am Ende sah es schlimmer aus als vorher. Ich brauchte dringend einen Haarschnitt.

Mit einem seufzen, sah ich auf die Uhr. Noch 10 Minuten. Ich schnappte mir mein Handy und drehte die Musik so laut auf, dass sie von den gefliesten Wänden widerhallte. Ich musste vorsichtig sein, was Lautstärke anging, aber ich hatte einen beschissenen Morgen und da half nur eins.

Ich machte mich fertig und stöpselte meine Kopfhörer ein, die die ohrenbetäubende Musik direkt auf meine Ohren weiterleitete. Ich verließ die Duschen und ging zurück in die Halle. An den Geruch nach Gummi und Schweiß würde ich mich nie ganz gewöhnen.

Ich ging hinter die Tribüne wo ich unbemerkt mein kleines Lager aufgeschlagen hatte. Ein paar Turnmatten, meine Klamotten, zusammengestopft in einer Sporttasche, und den Rest meiner Besitztümer. Vor ein paar Wochen hatte man in der Turnhalle der Harrington Schimmel im Keller gefunden. Sie wurde geschlossen und wird nun bald renoviert. Was so viel hieß wie, in einem halben Jahr. So lange war ich ein ungebetener Hausgast. Man könnte auch Einbrecher sagen.

Aber war es wirklich Einbruch, wenn man den Schlüssel hatte?

Ich wollte den Gefallen, den mir der Hausmeister schuldete, eigentlich für was anderes einlösen, aber manchmal musste man einfach Prioritäten setzten. Gott sei Dank, hatte er keine Fragen gestellt. Ich hatte wirklich keine Lust, das zu erklären. Vor mich hin summend, schwang ich mir meinen Rucksack über die Schulter und schlich mich aus der Halle durch die Gänge.

Wenn ich eins aus meiner Unsichtbarkeit gelernt habe, dann, wie man unbemerkt in Mengen verschwindet. Deswegen war es nun auch nicht wirklich schwer, in einer aufzutauchen, als wäre man mit ihr gekommen.

Die Musik erreichte den Chorus, als ich mit einem erfolgreichem Grinsen in einer Menge von Schüllern den Gang entlang geschwemmt wurde. Eine Hand stieß mir von hinten die Kopfhörer vom Kopf und hängte sich bei mir ein. „O Romeo, Romeo, warum bist du Romeo?"

Mit einem Augenrollen sah ich zu Sadie, die mich frech angrinste. „Wie originell, Green. Diese Anspielung habe ich ja noch nie gehört!", begrüßte ich sie und stoppte meine Musik, die bis vorhin, einfach weiter aus meinen Kopfhörern gedröhnt war. Sadie boxte mir in die Seite, „Mann, da ist einer grummelig drauf! Ist es wegen Mathe?", sie hielt an und ich sah fragend zu ihr zurück. „Brauchst du Schokolade?"

Ich hielt ihr triumphierend den Schokoriegel, den ich sicher in meine Jackentasche verwahrte, unter die Nase. „Für wenn hältst du mich? Ich bin vorbereitet. Hab aber erst in der dritten." Sadie nahm sanft meinen Arm und zog mich aus dem Strom, so dass wir den andern nicht im Weg standen. An der Art wie sie sich umsah, wusste ich, dass sie gleich wieder ihre Besorgte-Seite raushängen ließ. Das erkannte man immer, wenn sie leicht den Kopf schief legte und die Augen zusammenkniff.

Diese Mimik hatte ich auch schon oft bei Lee beobachtet. Doch satt wie bei Sadie Fürsorge und Besorgnis auszudrücken, hieß es bei ihm, dass man sehr schnell und sehr weit rennen sollte.

Ich tippte ihr gegen die Stirn. „Untersteh dich."
Sie verzog ihr Gesicht noch mehr. „Ich mach doch gar nichts." Wenn Sadie das sagte, konnte man schon davon ausgehen, dass sie bereits alles durchgeplant hatte. Sei es ein Mord, Reha, oder eine Hochzeit. Sadie machte nie einfach nur nichts.

„Hör einfach auf damit.", forderte ich und spürte, wie es in meiner Brust enger wurde. Ich hasste es, vor ihr Sachen geheim zu halten, es war schon schlimm genug mit Lee, aber Sadie... Ihr besorgter Blick, war wie eine Strafe vom Teufel höchstpersönlich. „Mir geht es gut.", atmete ich die Lüge aus. „Also kein Grund-"
Sie zog an meinen Haaren.

Empört schlug ich ihre Hand weg. „Hey? Gehts noch?" Wie als hätte sie gerade alle Beweise gesammelt, sah sie hinab auf ihre Fingerspitzen, die mir bestimmt ein paar Haare ausgerissen haben. „Deine Haare sind noch Nass."
„Meine Fresse! Und deswegen musst du sie mir ausreißen? Sie haben dir nichts getan!", schimpfte ich und tätschelte die restlichen Strähnen.

„Moe, warum sind deine Haare nass?", fragte sie und ich warf meine Hände in die Luft. Was war nur heute los mit ihr? „Ich weiß, ihr Greens seid manchmal nicht ganz auf dem aktuellsten Stand was menschliches Verhalten angeht, aber ihr müsst doch schon mal was von einer Dusche gehört haben, oder täusche ich mich?"

Sadie nickte, als hätte ich gerade gestanden. War das hier ein Verhör, oder was? Sie trat einen Schritt auf mich zu und ich ahnte Böses. „Wie können deine Haare nass sein, Moretti? Hm? Von der Eastside bis hier sollten die Haare schon längst getrocknet sein, es sei denn..." Ich war tot. Aufgeflogen. Sie hat es heraus gefunden, als wäre sie fucking Sherlock Holmes. Ich wusste, ich hätte meine Haare besser trocken sollen. Ich kniff die Augen zusammen.

„Shit! Wen von der Harrington hast du aufgerissen?", lachte sie und ich blinzelte sie verwirrt an. Hm? Was?

Sie hackte sich wieder bei mir unter und wir begannen uns auf dem Weg zum Unterricht zu machen. „Einer von den Reichen also? Gut für dich! Also wer ist es? Ist es wieder ein One Night Stand?" Sie dachte, ich hatte die Nacht bei jemanden verbracht, der auf der Westside wohnt? Erleichtert lachte ich auf.

Es war auch viel wahrscheinlicher, das meine Haare noch nass waren, weil ich bei jemanden von der Westside geduscht hatte, als das ich ein Obdachloser Teenager war, der die Gemeinschaftsduschen zu seinem persönlichen Spa-Erlebnis umfunktioniert hatte.

Natürlich war es nicht verwunderlich, dass sie so denkt, wenn man bedachte, wie oft ich in Begleitung am Ende des Abends verschwand. Was sie nicht wusste, was keiner wusste, war, dass es mir nicht um den Sex ging. Sondern um das Bett, in dem ich für eine Nacht schlafen durfte.

„Oh bitte sag mir, du angelst dir irgendeinen reichen Schnösel!", rief sie und ich sah sie schief an. „Ihr müsst dann in eine riesige Villa ziehen und ganz viele Kinder adoptieren! Und-"
„Der Tag an dem ich mich verliebe, ist derselbe, an dem Lee einen Therapeuten aufsucht! Und jemanden von der Harringtin? Ich hab auch noch so etwas wie Selbstwertgefühl, weißt du?"

Sie legte den Kopf auf meine Schulter. Lächelte in sich hinein. „Ach wirklich?" Ich schubste ihren Kopf herunter. „Schnauze."

Der Gong ließ die Schüller auseinander fließen.

„Bibliothek! Freistunde! Versetzt mich ja nicht, Moretti!" Kichernd bog sie in ihren Englischkurs und ich konnte nicht anders, als erleichtert den Kopf in den Nacken zu legen.

Für einen Moment dachte ich wirklich...
Shit. Ich lehnte mich an die Spinde und fuhr mir durch die Haare.

Ich wollte nicht, dass sie es wusste. Oder irgendjemand sonst. Ihre Sorgen würden ihnen nur noch mehr zu schaffen machen und das hatten sie nicht verdient.

Außerdem war ich Romeo Moretti.

Niemals, wirklich niemals, würde ich zu lassen, dass ich zu dem armen obdachlosen Jungen wurde. Der, der kein Zuhause mehr hatte.

Seufzend stieß ich mich von den Spinden ab.
Es war Zeit zu gehen.

Bad Choices [BxB]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt