66| Ein Akt der Gerechtigkeit

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Reid

Ich war gerade erst eingeschlafen, als mein Handy ringte. Schlaftrunken tastete ich nach dem Gerät, bis ich es, ohne nachzusehen wer da eigentlich mitten in der Nacht anrief, an mein Ohr hielt. „Hallo?", brummte ich, meine Wange immer noch vom Kissen zerquetscht.

Die Leitung war still, zu hören nur ein seltsames Rauschen. Es klang wie fließendes Wasser. Ich runzelte die Stirn. Ich schwöre, wenn das ein dummer Streich war... „Hallo?", brummte ich erneut, diesmal genervt.

Ich wollte gerade auflegen, als mich ein Flüstern davon abhielt. „Ich verstehe es nun, Reid." Ich setzte mich aufrecht hin, knipste die Nachtischlampe an, rieb mir den Schlaf aus den Augen. „Moe?" Stille. „Ich versteh nun, warum die Leute immer mehr davon wollen."

Ich runzelte die Stirn. Seine Stimme klang seltsam belegt. Ich hatte seit jenem Gespräch vor unserem Haus nicht mehr mit ihm geredet. Ja, ihn nicht mal gesehen. Ich war so oft davor gewesen, einfach vor seiner Wohnung aufzutauchen. Wollte einfach nur seine Stimme hören. Doch nun lief mir ein kalter Schauer über den Rücken.

„Bist du betrunken?", fragte ich und suchte auf dem Boden meines Zimmers bereits nach meinem Shirt. Es dauerte erneut eine Weile, bis er antwortete. „Die Sterne... Ich - Ich kann sie nicht sehen!" Das reichte mir als Antwort. Ich klemmte mir mein Handy zwischen Schulter und Wange, während ich in meine Hose hüpfte. „Wo bist du?"

Ein entferntes Lachen. „Ich kann von hier oben aus alles sehen! Alles! Nur nicht die Sterne. Weißt du, Lee hat es mir auch erzählt. Das mit eurer Mutter und den Sternen." Ich schnappte mir die Schlüssel vom Nachtisch. „Ich brauch die Adresse. Oder einen Ort."

Er schien mich gar nicht zu hören.

„Kannst du fliegen? Ich will so gerne fliegen können. Einfach... weg von allem!" Ich hörte ein Hupen durch die Leitung und zuckte zusammen. Ein weiteres Kichern. „Moe! Bist du etwa auf einer Straße? Shit, sag mir endlich wo du bist!"
„Ich ... Ich bin hier. Bei dir.", säuselte er und ich beschleunigte meine Schritte. Shit, shit shit.

„Ich höre dich ganz deutlich, du mich etwa nicht?" Ich hörte ihn, ja, ich hörte ihn ganz deutlich, nur... „Jetzt hör mir zu, okay? Geh zum nächsten Geschäft oder Restaurant, sag mir denn Namen und bleib da, ich bin so schnell ich kann bei dir." Ich wartete auf seine Antwort, als ich die Haustür hinter mir ins Schloss zog. „Ich will hier nicht weg.", gestand er. „Ich will für immer hier blieben. Es ist so friedlich. Dass Wasser und die Bäume. Es ist wie in einem Märchen."

Bäume? Wasser? War er etwa außerhalb der Stadt? Warte mal... „Bist du etwa bei der Rosemary-Bridge?", fluchte ich und schwang mich in den Wagen. Es war eine alte Eisenbrücke am Rande der Stadt. Sie grenzt an einen riesigen Wald, in dem sich ein betrunkener Volltrottel schnell verlaufen konnte. „Mhm.", bestätigte Moe und ich wusste nicht, ob ich erleichtert oder noch mehr besorgt werden sollte.

„Wie zur Hölle bist du dort hingekommen?", fragte ich und fuhr mit quietschenden Reifen aus der Einfahrt. „Ich bin gelaufen."
Gelaufen!?"
„Ich wollte sehen, wie sich die Sterne im Wasser spiegeln." Ich rieb mir über die Stirn, als ich das Gaspedal durchdrückte.

„Bleib einfach dort, okay? Bleib einfach- Moe?"
Die Stille sorgte dafür, dass sich meine Hände praktisch in das Lenkrad krallten. „Moe!" Fuck, dieser verdammte Typ! Ein leises Summen ließ mich aufatmen.

Zuerst waren es nur irgendwelche Töne, doch dann erkannte ich die Melodie. „Pretty Woman, won't you pardon me? Pretty Woman, I couldn't help but see..." summte er und ich hörte Schritte über den Asphalt schaben. Ich zog scharf um eine Kurve. „Kannst du dich noch an den Abend erinnern? An den Song?"

Bad Choices [BxB]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt