40| Risiko

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Romeo

Der Weihnachtsmorgen im Hause Green war im Grunde wie jeder andere. Nur ungefähr tausend Mal chaotischer. „Socken!? Warum denn ausgerechnet Socken!" „Kann mir jemand mit dem Frühstück helfen." „Hey, warum hat Liz so viele Geschenke dieses Jahr?" „Eifersüchtig?"
„Weiß jemand wo meine Hose ist?"

Ich hatte die Nacht auf dem Sofa verbracht, offiziell um den Weihnachtsmann zu fangen, aber eigentlich sollte ich nur aufpassen, dass keiner von den beiden Kindern, oder Sadie, schon früher ihre Geschenke öffneten.

Silas war der Erste, der wach war und nach dem er vor Vorfreude auf dem Sofa, also praktisch auf mir, auf und abgesprungen war, hatte ich ihm geholfen den Rest der Familie zu Wecken.

Wir waren mit einem Topf und einem Kochlöffel durch das ganze Haus marschiert, bis alle auf dem Teppich im Wohnzimmer saßen und ihre Geschenke öffneten. Der Tag streckte sich dann so dahin. Jeder war mit den Dingen beschäftigt, die er geschenkt bekommen hatte. Silas und Reid waren den halben Tag verschwunden um Silas neues Fahrrad auszuprobieren. Liz hat Tennisschläger bekommen, mit denen sie beinahe eine Lampe zertrümmert hatte. Ich saß vergraben zwischen den Geschenkpapieren und beobachtet das ganze Chaos.

Nach einer Weile scheuchte Sadie uns alle in die Küche, um ihr mit den Vorbereitungen für das Abendessen zu helfen. Die Grahams würden nachher noch zu uns stoßen, genauso wie Misses Siventi. Wir hatten also mal wieder volles Haus.

Der Tag endete dann damit, dass die Kinder völlig fertig in ihren Betten lagen und die Erwachsenen sich in das Wohnzimmer begeben hatten. Henry erzählte Geschichten aus seiner Kindheit und Joey ließ es sich natürlich nicht entgehen ein paar Peinlichkeiten aus Ezras Kindheit zu verkünden. Dieser versteckte sich dann meistens hinter Lees Schutler mit einem hochrotem Kopf.

Ich hatte die Beiden schon den ganzen Abend beobachtet. Wie sie sich über Meter hin weg, verstohlene Blicke zugeworfen haben, oder wie Lee immer Ezra ein Stück näher zog, als hätte er Angst, er könne wieder verschwinden. Es war schön, dass die Beiden sich wieder gefunden haben, aber ich ertappte mich immer wieder dabei, wie ich den Blick abwenden musste.

Vielleicht lag es daran dass Weihnachten war, oder vielleicht war ich auch einfach nur erbärmlich. Aber selbst im ganzen Trubel, unter den Menschen die ich liebte, konnte ich nicht ignorieren, wie schrecklich allein ich mich seit kurzem fühlte.

Nein, nicht seit kurzem. Ich denke dieser Wunsch war schon länger da, eigentlich schon immer, ich schaffte es einfach nur nicht mehr ihn zu leugnen. Ich wollte mich auch hinter einer Schulter verstecken können, mich an jemanden lehnen, jemanden ... lieben. Und nicht auf die Art wie ich die Greens liebte. Ich glaube, ich sehnte mich nach einer anderen Art von Wärme. Etwas purem... etwas wo ich mich hineinfallen lassen konnte.

Etwas, das mich voll und ganz einnahm. Etwas, das mich zerstören kann. Und das machte mir schreckliche Angst.

Ich starrte auf den glühenden Stumpf meiner Zigarette, bevor ich sie austrat. Vor kurzem hatte ich mich aus dem Raum gestohlen und stand nun alleine vor der Tür. Ich hatte noch keinen Zug genommen. „Hörst du auf?", fragte Lee, während er zu mir nach draußen in die Winternacht trat. Ein Schwall der Gespräche schwappte zu uns hinaus, bevor die Tür sie wieder aussperrte.

Ich sah schweigend dabei zu, wie er sich auf die Stufen der Veranda setzte und abwartend zu mir aufsah. Nach ein paar Sekunden setzte ich mich neben ihn. „Ist alles okay bei dir?", fragte er ernst und ich lehnte mich grinsend nach hinten.

„Es könnte nicht besser sein.", säuselte ich. Er runzelte die Stirn und sah mich skeptisch an. „Moe.", ermahnte er mich und ich hörte auf zu grinsen. Ich hasste es, dass er mich so gut kannte. Wir schwiegen eine Weile, genoßen einfach die kühle Luft. „Bereust du es manchmal?", fragte ich leise.

Lee stützte seinen Kopf auf seine Hand, drehte seinen Kopf zu mir. „Was?" Ich fiedelte an dem Saum meines Sweatshirts. „Dich verliebt zu haben."

Lee lächelte, als hätte er mit der Frage bereits gerechnet. Als hätte er genau gesehen, was in den letzten Tagen in mir vorging. „Ich habe es.", gestand er und ich hielt die Luft an. „Damals, als ich die Schlagzeile sah, wünschte ich, ich hätte ihn nie kennengelernt.", er fuhr sich über sein Kinn, als wäre es eine entfernte Erinnerung.

Ich hingegen hatte noch genau vor Augen wie es war. Denn Blick in seinen Augen. Den Schmerz. Er drückte den Rücken durch. „Aber jetzt? Kein Stück. Ich glaube, es ist das Beste was mir hätte passieren können."

„Meinst du das ernst?" Er nickte ohne zögern. Tatsächlich hatte sich Killian in den letzten Wochen verändert. Er lächelte mehr, viel mehr, und er schien entspannter. Als hätte er Frieden gefunden. Als ich ihn kennenlernte schien er immer etwas nachzujagen. Ich dachte, es wäre das Adrenalin, die Aufregung, die Gefahr, aber ich lag falsch.

Er hatte es gefunden. Und zwar nicht auf seinem Motorrad oder einem Rennen. Ich zögerte. „Und was... wenn er nicht wieder gekommen wäre? Was wenn dort nichts mehr wäre, außer der Schmerz?" Würde er es dann bereuen? Ohne sein Happy End?

Lee sah mich skeptisch an. Wie ein Lehrer, der mich zu ermahnen schien. „Zu Lieben ist ein Risiko, Moe. Wahrscheinlich das Größte von allen! Ich hatte immer angenommen, du wärst die Art von Person, die es liebt sich Hals über Kopf in Situationen zu stürzen."

Tatsächlich war ich das. Ich plante nicht. Ich tat es einfach. Ohne über die Konsequenzen nachzudenken. Und das hatte mich schon in so viele dumme Situationen gebracht. Aber in diesem Aspekt, schien es, als wäre ich ein Feigling. „Nicht hier.", murmelte ich. Nicht wenn es um mein Herz geht.

Nicht wenn die Gefahr besteht, dass ich so endete wie meine Eltern. „Hast du jemals wahrlich geliebt?" Ich erstarrte. Hatte ich? Ich hatte ja nicht mal eine Ahnung wie sich der ganze Quatsch überhaupt anfühlte. Ich war viel zu sehr darauf fokussiert gewesen, niemals länger als eine Nacht zu bleiben.

Aber war es jemals Liebe? Die Antwort war, ich hatte keine Ahnung. Ich schüttelte den Kopf und er seufzte, als hätte er diese Antwort geahnt. „Woher willst du dann wissen, ob es den Schmerz nicht wert ist?"

Lee lehnte sich zurück, sah nach oben in die Sterne.

„Auch wenn Ezra mich irgendwann verlässt, oder  auch, wenn er nie zurück gekommen wäre. Ich bereue keine einzige Sekunde, die ich damit verbracht habe ihn zu lieben. Ich würde alles genauso wieder machen, jede kleinste beschissene Situation nochmal durchleben, nur um jetzt hier zu stizen und zu wissen dass ich ihn jederzeit küssen kann."

Ich atmete stockend aus. Er liebte ihn wirklich. „Wusste nicht das du so ein Romantiker bist.", zog ich ihn auf und erntete einen finsteren Blick. Ich hielt die Klappe.

„Natürlich kann es weh tun, Moe. Scheiße man, es tut verdammt weh. Aber wenn du jemanden wahrlich liebst, ist es das Risiko wert." Ich runzelte die Stirn. Lee war am Ende gewesen. Ihn das jetzt sagen zu hören, ließ mich nachdenken. Er boxte mir aufmunternd gegen die Schulter und ich sah wieder zu ihm.

„Es ist okay, wenn du dich niemals verliebst, oder wenn du niemals eine Beziehung führen wirst. Man braucht es nicht wirklich um erfüllt zu leben. Aber wenn du jemals das Glück hast jemanden zu finden, denn du wirklich liebst, hab keine Angst davor." er lächelte mich aufmunternd an.

Das sagte er so leicht. Keine Angst zu haben. Ich fühlte mich, als würde ich an einer Klippe stehen. Wie zum Teufel war man mutig genug, zu springen, sich fallen zu lassen und zu hoffen, dass der Rausch des Falles den Aufprall entschädigt?

„Ich war panisch, als ich realisiert habe, dass ich diesen bescheuerten Coldwell liebe." gestand er und schnaubte, als könne er es selbst kaum fassen. „Ich hätte ihn schon viel früher an meiner Seite wissen können. Ich hätte mich einfach trauen müssen."

„Du sagst also", begann ich. „dass Schmerz manchmal unausweichlich ist, wir uns aber nicht davon abschrecken lassen sollen, da wir sonst etwas wundervolles verpassen könnten?", fasste ich zusammen und Lee erhob sich ächzend von der Treppe. „So kann man es auch sagen."

Er lächelte mir kurz zu, bevor bevor er die Stufen an mir vorbei ging.

„Aber hey. Was weiß ich schon. Und jetzt beweg deinen Arsch wieder rein, bevor du hier draußen erfrierst, Arschloch. "

Bad Choices [BxB]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt