78| Bluff

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Romeo

Ich konnte nicht schlafen. Egal wie lange ich meine Augen schloss, ich schien keine Ruhe zu finden. Immer wieder, dachte ich an Nick Coleman und an all die Male, an denen er uns unser Leben ein Stück schmerzhafter gemacht hatte. Als er und Cash Männer uns aufgesucht hatten. Als wir dabei zusehen mussten, wie sie Lee dafür bestraften, nicht folge zu leisten.

Ich hatte Killian immer bewundert, für sein Durchhaltevermögen. Für seine Standhaftigkeit in Anbetracht der unzähligen Drohungen und Schläge, die er durchleben musste. Und ich war noch nie so neidisch auf die Tatsache, dass er den Fängen entkommen konnte, wie am heutigen Tag. Ich war keine wichtige Person gewesen, lediglich ein Laufbote mit einer zu großen Klappe.

Aber es reichte aus, um mich auf seine Liste zu setzten. Seufzend lehnte ich meinen Kopf gegen die Wand hinter mir und sah zu Reid hinab, der in dieser Nacht dennoch ein wenig Frieden zu finden schien. Ich beobachtete ihn, jeden Atemzug, als müsste ich es mir genau einprägen. Als könnte ich den Anblick vergessen.

Wenn ich ehrlich war, hatte ich nicht wirklich Angst um mein Leben. Jedenfalls war es gar nichts im vergleich zu der schieren Panik, die mich bei dem Gedanken füllte, dass sich Reid diesem Soziopathen vielleicht gegenüber stellen würde.

Ich wusste, dass er seine Dummheit oft mit Mut verwechselte. Am liebsten würde ich ihn einfach begleiten um sicher zu gehen, dass alles gut endete. Aber Reid würde mich eher in den Keller sperren, bevor er das zuließe.

Ich strich ihm über die Haare, über den nackten Rücken und seufzte. Langsam und vorsichtig schlug ich die Decke beiseite um ihn nicht zu wecken. Auf nackten Sohlen tapste ich aus dem Zimmer zurück in die Küche. Ich würde diese Nacht sowieso nicht schlafen können und brauchte dringend etwas zu trinken.

Ich ließ das Glas in der Spüle voll laufen und starrte dabei aus dem Fenster. Das Haus war umgeben von einem dichten Wald. Riesige Bäume rankten aus dem Schleier der Nacht und erschufen ein Bild wie aus einem Horrorfilm. Ich starrte in die Dunkelheit, wie um die übernatürlichen Monster in den Schatten herauszufordern. Eine Art, Kommt doch wenn ihr euch traut, bevor, er es mir zu albern wurde und ich den Wasserhahn abstellte.

Ich trank ein paar Schlucke, bevor ich das Glas auf die Mamor platte stellte und dem stillen Haus lauschte. Es war, als würde das Knacken des Holzes, das Surren des Windes, meine Sorge nur untermalen. Gerade als ich zurück kehren wollte, hielt ich inne.

Mein Smartphone, welches ich bei meiner Ankunft auf den Tresen gelegt hatte leuchtete auf. Ein kleines Licht in der Küche. Unscheinbar und dennoch ließ es mich entsetzt erstarren. Es klingelte und das Jurassic Park Theme klang auf einmal viel zu laut, viel zu schrill.

Drei Sekunden starrte ich von der Tür einfach nur zum Tresen. Ließ es klingeln. Ich sollte einfach wieder ins Bett gehen. Es war vielleicht nur ein Spam-Anruf, aber... Innerhalb zwei Schritte, hatte ich den Tisch erreicht, drückte auf das Display. Nahm den Anruf an.

„Hallo?", fragte ich in die offene Leitung und hielt die Luft an. Stille. Kein Mucks war zu hören und dann... ein Lachen. So kalt und dreckig, dass mir ein Schauer über den Rücken lief. „Romeo Moretti."

Meine Hände krallten sich an das Mamor und ich blinzelte rapide, auf keuchend, Richtung Decke. „Nick."

„Du kennst mich also noch." Wie könnte ich ihn, seine Schläge, seine Stimme, jemals vergessen? Ich hatte es so viele Nächte versucht. „Schade nur, dass du deinem alten Freund keine Gastfreundschaft entgegnen bringst. Niemand zu Hause, nur ein kleines Biest von einem Kater." Ich kniff die Augen zusammen, spürte wie jeglicher Knochen in meinem Körper zu feinem Eis wurde. Bereit, jeden Moment zu zerspringen.

Nicht Gizmo. Nicht mein Kater. „H-Hast du...?", stotterte ich und hasste mich dafür, dass ich ihm Schwäche zeigte. „Nein. Ich bin doch kein Monster.", lachte er. Ich hörte es scheppern und zuckte augenblicklich zusammen. „Ich tue keinen Tieren etwas. Dein Kater ist unbeschadet. Deine Eltern andererseits..."

Ich schlug mir die Hand vor den Mund um jeglichen Laut zu ersticken. Nein. Nein! Das war nicht war. Ich zitterte, meine Knie, meine Knochen, selbst meine Gedanken schienen zu vibrieren. Er bluffte. Das war alles nur ein riesen Bluff.

Ein erneutes Scheppern. „Eigentlich bin ich ja ein Mann, der Dinge lieber direkt klärt. Aber ich kann es wirklich nicht ausstehen, wenn man mich ignoriert, Romeo. Dass müsstest du nach all der Zeit doch wirklich wissen!" Ich hörte nur zu, unfähig irgendwas zu erwidern. „Und deine Eltern scheinen gute Leute zu sein. Martina und Aldo Moretti, nicht wahr? Und erst dieses putzige kleine Haus! Vor allem diese rote Küche mit den klassischen Magneten am Kühlschrank. Bist du etwa der kleine Junge auf den Fotos? Der mit der Zahnlücke und dem Drachen in der Hand?" Ich erschauderte. Es war kein Bluff.

Dieses Bild von mir hing seit fast einem Jahrzehnt am Kühlschrank. An unserem roten Kühlschrank. Er war bei meinen Eltern. Er war tatsächlich dort. „Was willst du, Nick?", knurrte ich und meine Panik wich unbändiger Wut. Er konnte mit mir machen, was er wollte ... aber meine Eltern? Sie hatten nichts mit diesem Leben zu tun! Sie waren ja seit Jahren nicht mal mehr Teil davon!

„Stell dich nicht dumm. Du weißt, was ich will." Mich. Er wollte nur mich. Nicht die Greens. Nicht meine Eltern. „Ich habe euch nicht verraten! Ich wusste ja nichtmal-" Ein ohrenbetäubendes Scheppern erklang vom anderen Ende der Leitung. „Wenn du nicht willst, das deinem alten Herren bald eine Kugel durch den Kopf gejagt wird, bist du besser bald hier.", seine Stimme hatte sich verändert. Sie war nicht mehr dieses gespielte fröhliche Säuseln.

Sie zeigte seinen Wahnsinn im vollen Ausmaße.

„Bitte.", flehte ich, als ich die Augen meines Vaters vor mir sah. Immer distant und dennoch, die ersten zu denen ich jemals aufgesehen habe. „Sie haben nichts damit zu tun. Sie sind unschuldig.", entkam es mir keuchend. „Das entscheide ich.", raunte er und meine Sicht verschwamm.

„Ich gebe dir eine Stunde, Moretti. Keine Polizei. Auch nicht deine kleinen Freunde. Nur du. Sonst bist eine Waise, bevor die Sonne aufgeht." Mein Mund klappte auf, ein Flehen bereits auf den Lippen, doch da erklang bereits das Tuten der toten Leitung.

Ich starrte auf mein Handy. Auf den Bildschirm der erneut die Küche erhellte. Als wäre nie etwas gewesen. Ich ging in die Knie, konnte mich nicht mehr aufrecht halten, als mir das volle Ausmaß seiner Worte bewusst wurde.

Ich gab mir 3 Sekunden. 3 Sekunden, um die Panik, die unsterbliche Angst, in ihrer ganzen Pracht zu fühlen. Das Zittern zuzulassen, sowie meinen stockenden Atem. Dann richtete ich mich auf und griff nach den Schlüssseln zu meinem VW.

Ich hatte eine Stunde. Und ich hatte nicht vor, eine weitere Sekunde zu verschwenden.

Bad Choices [BxB]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt