25| Der Sonne so nah

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Icarus
Dan Owen

Reid

Ich sollte nicht hier sein. Sagte ich mir immer wieder, während ich wie angewurzelt im Türrahmen stehen blieb. Ich sollte echt einfach nach oben gehen.

Moe hatte den gesamten gestrigen Tag nach Sadie's Anweisungen auf unserem Sofa geschlafen. Als ich von meiner Frühschicht nach Hause kam, lag er immer noch so da.

Erst, als wir alle zusammen zu Abend aßen, hatte er sich erhoben und war dem Geruch nach essen, in die Küche gefolgt. Nach seinen eignen Worten ging es ihm wieder blendend, aber keiner glaubte ihm ein Wort, was vor allem an dem Zustand lag, in dem er sich immer noch befand.

Die anderen waren bereits ins Bett gegangen, nur ich war nach dem Essen noch in der Küche geblieben und ein paar einzelne Rechnungen durchgegangen. Irgendwann hatte ich die Zeit vergessen und als ich wieder aufsah, war es kurz nach Mitternacht. Ich wollte einfach nach oben gehen, als ich erstarrt im Wohnzimmer stehen blieb.

Moe war noch wach. Und ich sollte wirklich nicht hier sein. Ich hatte angenommen, dass auch er wieder friedlich auf der Couch schnarchen würde, stattdessen stand er mitten im Raum. Er hatte mir den Rücken zugekehrt und gab mir freie Sicht auf seine nackte Rückseite.

Er trug kein Shirt und enthüllte damit eine Reihe von Blutergüssen und Tattoos. Ich sollte weiter gehen, stattdessen blieben meine Füße genau dort stehen. Mein Blick fiel auf das Tattoo, das sich seine Wirbelsäule hinab zog, um unter dem Bund seiner Hose zu verschwinden.

„Das ist neu.", rutschte mir heraus und erschreckte ihn damit anscheinend halb zu Tode. Moe wirbelte zu mir herum und entspannte sich, als erkannte, dass es nur ich war. „Scheiße, man!" Ich schritt weiter in den Raum, auf ihn zu. „Sorry."

„Was machst du noch auf?", fragte er mich und ich sah zu ihm herab. Ich nickte mit dem Kopf Richtung Küche. „Rechnungen." Er nickte verstehend, bevor er mir einen tadelnden Blick zu warf. „Um diese Uhrzeit? Du solltest wirklich mal Pausen machen. Das kann nicht gesund sein." ermahnte er mich.

Er stand wie ein verprügelter Hund vor mir und machte sich Sorgen um meine Gesundheit. Dieser Junge war echt unfassbar. Als ich nicht antwortete, legte er den Kopf schief und musterte mich. Er hatte noch etwas zu sagen, das spürte ich. Sein Mund klappte auf und wieder zu. Am Ende entschied er sich, es auszusprechen. „Du weißt, dass du dir deinen Platz in dieser Familie nicht verdienen musst, oder?" Was?

„Es ist okay, auch mal an dich selbst zu denken, Reid." Perplex, starrte auf ihn hinab. Wie kam er denn jetzt darauf? Moe schüttelte den Kopf und wandte sich von mir ab, „Jedenfalls... was meintest du vorhin, mit das ist neu?" Oh, ich hatte gehofft, er hätte das schon wieder vergessen.

Ich räusperte mich und sah zur Couch, wo sein Shirt ordentlich über der Lehne hing. „Dein Rücken." Moe verzog verwirrt das Gesicht. „Das Tattoo auf der Wirbelsäule... es ist neu.", mein Gott, konnte ich auf einmal nicht mehr reden? Ich fuhr über meine Kehle und begegnete wieder seinem Blick.

„Ah, du meinst Ikarus.", er sah über seine Schulter, als könne er so einen Blick darauf erhaschen. Eine Sonne in seinem Nacken, deren Strahlen sich bis auf seine Schulterblätter zogen, zierte seine blasse Haut. Darunter war eine fallende Gestalt mit engelsgleichen Flügeln, die seine Wirbelsäule hinab reichte. „Ich hab es mir letztes Jahr stechen lassen."

Er drehte sich so, dass ich es sehen konnte. „Kennst du den Mythos?" Mein Blick folgte den graziösen schwarzen Linien, die über seine Muskeln wanderten. Ein Bluterguss färbte einen Flügel in ein tiefes Lila. Natürlich hatte ich von Ikarus Geschichte schon mal gehört.

Bad Choices [BxB]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt