73| Shakespeare

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Romeo

Kaltes Wasser lief über meinen Nacken, während ich meinen Kopf unter den laufenden Wasserhahn hielt. Ich beobachtete, wie sich das weiße Becken langsam mit blauem Wasser füllte, bis es schließlich klar wurde. Ich stellte das Wasser ab und richtete mich auf. Sofort klebten mir die blauen Strähnen auf der Haut und ich konnte nicht anders als zu lächeln. Ich sah kurz aus meinem Bad in mein Schlafzimmer zu dem paar Füßen, die aus meiner Decke hervor lugten. Reid schlief noch tief und fest. Er hatte, so wie die letzten Tage auch, die Nacht in meiner Wohnung verbracht.

Es war jetzt genau eine Woche her, seitdem wir beschlossen hatten, es langsam anzugehen und es waren einige, der besten Tage meines Lebens gewesen. Das tiefe grau, das zuvor mein Leben beherrscht hatte, war einem Chaos aus Farbe gewichen. Auch, wenn sich hin und wieder die letzten Monate durch meine Brust bohrten. Mir war klar, dass ich das alles nicht so schnell vergessen konnte, aber es half, dass es etwas wundervolles gab, was mich ablenkte.

Ich schnappte mir mein Handtuch und begann meine Haare trocken zu rubbeln. Gerade, als ich den Stoff von meinem Kopf ziehen wollte, schlangen sich zwei kräftige Arme um meinen Bauch, drückten mich an einen durchtrainierten Oberkörper. „Warum bist du jetzt schon auf den Beinen?", raunte Reid und drückte mir einen Kuss hinters Ohr. Ich zog das Handtuch endgültig von meinem Kopf und enthüllte den Grund. Ich sah im Spiegel wie sich seine Augen ein Stück weiteten. Dann lehnte er seine Stirn gegen meine frisch gefärbten Haare und seufzte tief. „Hmm.", grummelt er, während ich mich in seinen Armen zu ihm umdrehte. „Hey, du wirst noch ganz blau.", warnte ich ihn, aber er lehnte sich erneut vor, bis er gegen meine Stirn lehnte. „Ich werd's überleben."

Ich schob ihn ein Stück zurück und lehnte mich gegen die Fläche des Waschbeckens. „Musst du dich nicht langsam für die Arbeit fertig machen?", fragte ich ihn, als er erneut auf mich zuschritt. „Nein, ich liege krank im Bett und kann nicht kommen." Ich hob mahnend die Augenbrauen. „Krank, also?" Er hustete gekünstelt und ich schüttelte grinsend den Kopf. „Pass auf, dass sie deinen faulen Arsch nicht rauswerfen.", zog ich ihn auf und sorgte dafür, dass er meine Oberschenkel packte und mich hochhob, bis ich auf der Platte hinter mir saß. Reid zwischen meinen Beinen, seine Arme, mich einkesselnd, auf der Platte abgestützt, sein Blick herausfordern funkelnd. „Faul nennst du das also?", raunte er und seine Lippen strichen über meinen Hals. Meine Atmung stockte.

Ich packte seine Schultern und drückte seinen Körper ein Stück nach hinten. Die Tatsache, das er nur Boxershorts trug, machte mein Vorhaben umso schwieriger. „Wir sollten wirklich-" mein Blick viel auf seinen Oberkörper, oder eher gesagt auf die Tinte, die seinen rechten seitlichen Oberkörper schmückte, fast versteckt hinter einem anderen Tattoo. Ich packte seinen Arm und riss ihn nach oben, damit ich einen besseren Blick darauf erhaschen konnte. „Ist das neu?", fragte ich und sah auf den kleinen Schriftzug.

„Ich habe es seit Januar. Also... nein.", meinte er und ich kniff die Augen zusammen. Versuchte die geschwungene feine Schrift zu entziffern. „Wie kann es sein, dass du das jetzt erst bemerkst?", zog er mich tadelnd auf. „Du hast meinen Körper in letzter Zeit doch ausgehend studiert." Ich biss mir auf die Unterlippe, als mir unterschiedliche Szenen in den Kopf stiegen. „Ja, aber da hatte ich andere Prioritäten, als bei deinen Tattoos Inventur zu machen." Reid lachte tief, während ich mich wieder auf die Schrift konzentrierte und endlich die Worte las:

And what love can do, that dares love attempt

Ich zog zischend die Luft ein, ließ seinen Arm los. Ich kannte dieses Zitat. Ich hatte es damals gelesen, als mich die Neugier gepackt hatte. Mit großen Augen sah ich Reid an. Übersetzt hieß es so viel wie: Und Liebe wagt, was irgend Liebe kann. Es war ein Zitat aus Romeo & Julia. Es stammte aus der berühmten Szene auf dem Balkon, wo Romeo ihr gesteht, dass ihm die Gefahr nichts ausmacht, dass es ihm egal ist, wenn er gefasst, verletzt, wird, da die Liebe genügt. Es war nicht irgendein Zitat.

Es war Romeo's Liebesgeständnis.

Ich fuhr über die Haut, strich über die verewigte Tinte in seiner Haut. Es war gute Arbeit, und gut verheilt und ... das tat jetzt nichts zur Sache. „Du hast es gelesen?", fragte ich zittrig, während mein Blick immer noch auf seiner Haut fest hing. „With love's light wings did I o'erperch these walls", flüsterte er leise in mein Ohr, seine Hand lag schwer auf meinen Oberschenkel. „For stony limits cannot hold love out," Ein Kuss auf meiner Schulter. „And what love can do, that dares love attempt." Ein weiterer an meinem Hals. „Therefore thy kinsmen are no stop to me." Und schlussendlich einer auf meinem Mund, nach dem die letzten Worte seine Lippen verließen.

Ich starrte ihn fassungslos an, als er sich sachte von mir löste. Seine grünen Augen so nah, das ich darin versinken könnte. „Du bist nicht wirklich ein Fan vom lesen.", erinnerte ich, ein wenig überfordert. Seine Mundwinkel zuckten. „Ich weiß." Meine Finger Spitzen fuhren über seine nackten Muskeln. „Aber du hast es gelesen." , stellte ich fest, während die Tropfen aus meinen Haaren, mir langsam den Rücken hinab liefen. „Das habe ich.", bestätigte er.

Reid war ein viel beschäftigter Mann, den man selten mit einem Buch in der Hand sah. Meistens waren es eher Rechnungen, oder Briefe, über denen er brütete. Aber dass er sich durch diesen alten Fraß durchgebissen hatte... „Warum?", fragte ich erstaunt und er legte den Kopf schief. „Pure Neugier.", säuselte er und ich schnaubte. „Und was ist deine Meinung zu Shakespeare?", fragte ich und er seufzte. „Ziemlich überbewertet, wenn du mich fragst."

Diese Aussage brachte mich zum Lachen. „Sagt derjenige, der ihn jetzt für immer auf der Haut mit sich rumträgt!" Reid sah mich einfach nur an. Wissend. Seine Hand strich mir ein paar verirrte Tropfen vom Kinn. Verharrte dort einen Moment um dann meinen Kiefer entlang zu fahren.

Er hatte sich das Tattoo nicht aus Liebe zu alten englischen Romanen stechen lassen.

Ich schlang meine Arme um seinen Hals und küsste ihn. Einfach, weil ich es konnte. Weil es Reid war. Weil er nicht gerne las. Und weil er Shakespeare für überbewertet hielt.

Bad Choices [BxB]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt