37| Meine deine Wut

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Romeo

„Was?", fragte er entsetzt und ich sah ihn seufzend an. Es war ja nicht so, als hätte ich ihn gefragt, ob er mir einen Lap Dance gibt, oder so was. „Du kannst ja nicht mal mehr aufstehen.", argumentierte ich. Seit dem er im Wohnzimmer fast umgekippt ist, war sein Zustand rapide gesunken. Am liebsten würde ich ihn einfach ins Krankenhaus fahren, aber...

Ich sah zu Reid's panischen Augen. „Du trägst seit fast zwei Tagen dasselbe durchgeschwitzte Shirt.", stellte ich fest. So lange er nicht duschen konnte, sollte er wenigstens seine Klamotten wechseln. Ich setzte mich an den Rand der Matratze und hob abwartend das Stück Stoff hoch, das ich aus meinem Schrank gezogen habe. Ich hoffe, das passt ihm.

Reid sah mich immer noch skeptisch an. „Verdammt, Reid! Ich helfe dir nur dein Shirt zu wechseln! Ich verspreche darauf zu achten, dich so wenig anzufassen wie möglich, wenn es das ist, das dich so stört!" Es war ja nicht so, als hätten wir nicht schon längst mit einander geschlafen. „Ich hab dich schon mal nackt gesehen, schon vergessen?"

Murrend stemmte er seinen Oberkörper nach oben und ich grinste siegessicher. Er zog sein Shirt über seinen Kopf und ich nahm es lächelnd entgegen. Aus den Augenwinkeln huschte mein Blick über seinen nackten und durchtrainierten Oberkörper. „Siehst du? War doch gar nicht so schl-" abrupt verstummten meine Worte.

Sein Rücken. Ich hörte auf zu atmen, als mein Blick auf seine nackte Haut fiel. „Was-?" Oder eher gesagt, auf die lange Narbe, die sich von seiner rechten Schulter bis zur Mitte des Oberkörpers zog. Verschiedene Tattoos wurden darüber in seiner Haut verewigt, aber es war noch deutlich zu sehen.

War das der Grund warum er mir nie seine Tattoos gezeigt hatte? Mich ihn nie tätowieren ließ, so oft ich ihn auch fragte?

Reid legte den Kopf in den Nacken. Sein bleiches Gesicht sah ausdruckslos zu mir auf. „Du kannst dich wirklich nicht dran erinnern.", stellte er mit rauer Stimme fest. Wie ich bereits gesagt habe, ich hatte ihn bereits schon mal nackt gesehen. Aber im Schleier des Rausches ist so ziemlich alles unter gegangen...

Ich konnte mich nicht mehr wirklich daran erinnern, aber ... Ein Bild tauchte in meinem Kopf auf. Meine Hand wie sie seinen Rücken entlang strich, und ... Ich vergrub mein Gesicht in meinen Händen, als die Szene immer deutlich er wurde. Sich langsam durch den Alkohol jener Nacht kämpfte und Form annahm, nur um mich vor Scham im Boden versinken zu lassen.

Ich hatte die weiße Linie entlang geküsst, als würde ich sie so verschwinden lassen können, während ich immer wieder sagte wie wunderschön er doch sei. Mein Gesicht brannte. Ich würde nie wieder was trinken! Nie wieder!

Reid lachte leise, während er mein Shirt vorsichtig aus meiner Hand nahm und es sich über zog. Ein wenig schwummrig setzte ich mich vor ihn auf die Matratze und starrte ihn an. Das Grün seiner Augen zeigte, so wie fast immer, keinen Ausdruck von Emotion.

Kein Ausdruck von Schmerz, oder Wut ... oder Trauer. „Hat es weh getan?", platzte es aus mir heraus. Reid hob die Augenbrauen, bevor er seufzend hinab auf seine Hände sahen. „Ich dachte, ich würde sterben.", gestand er und meine Hände krallten sich in die Laken.

Eine seltsame Wut flammte in mir auf. Das letzte Mal, als ich mich so gefühlt habe, stand ich in einem Polizeirevier und Reid's Arme hatten mich aufrecht gehalten. Ich sah zu ihm auf und merkte, dass er mich anlächelte. Ich sah diesen Ausdruck nicht oft, deswegen ertappte ich mich immer wieder, wie ich erstaunt starrte, wenn Reid Green lächelte.

Es machte ihn um einige Jahre jünger und nahm ihm die Eisschicht, die ihn immer so unantastbar wirken lässt. Vielleicht lag es heute an den Schweißperlen, die seine Haare nass in seiner Stirn kleben ließen, oder an seinem aschfahlen Gesicht, aber heute wirkte es schrecklich verletzlich. „Bist du sauer?", fragte er und seine Frage riss mich aus dem Konzept.

Ich wusste nicht, woher er die Narbe hatte, aber ich konnte es mir denken. Er hatte nie einen schweren Unfall gehabt, davon wüsste ich und es war selten das Cash Leute ihn erwischt hatten. Ich biss mir auf meine Unterlippe, bis ich Blut schmeckte. „Ich könnte jemanden sehr weh tun.", gestand ich und zwang mich meine Faust zu öffnen, meine Finger zu strecken, bis die Mordlust nachließ.

Reid war dieser Felsen, so stabil, so still, dass man manchmal vergaß, das auch er all die schwierigen Zeiten überlebt hatte. Man vergaß, dass auch er leidet. Und zu sehen, dass er sowas durch machen musste, dass ich ihm nicht hatte helfen können... Das ich selbst heute nur dasitzen konnte, ohne zu wissen, wie ich ihm helfen konnte, machte mich so unbeschreiblich wütend.

Ich würde an seiner Stelle, vor Wut vor Schmerz die ganze Welt in Schutt und Asche legen, aber er sah mich nur an, als wäre er überrascht, dass ich wütend war. „Warum?", fragte er und ich stutze.
Warum ich so fühlte? „Weil man dir weh getan hat!", zischte ich und sein Lächeln wurde breiter. „Also bist du an meiner Stelle wütend?" War das nicht offensichtlich? „Soll ich dir stattdessen etwa gratulieren?", fragte ich verwirrt.

Reid lehnte sich ein Stück vor und ich erstarrte. Seine Hand berührte meine Wange und sein Daumen legte sich auf meine Unterlippe. Mein Herz trommelte so laut, ich hatte Angst es würde stehen bleiben, während meine Lungen darüber schon längst hinaus waren. Er wischte das Blut von meiner Lippe, das meine Zähne hinterlassen haben. Sein Blick wanderte von meinen Lippen zu meinen Augen und ich stockte. Würde er...? Er zog seine Hand zurück und ich atmete scharf ein.

„Ich mag es wenn du an meiner Stelle sauer wirst.", gestand er und ließ sich erschöpft in die Kissen fallen. Er grinste benommen zu mir auf und erinnerte mich daran, dass er wahrscheinlich völlig high von den Schmerzmitteln war. Eine seltsame Enttäuschung kribbelte in meinem Bauch. „Was ist passiert?", fragt ich schließlich und er drehte den Kopf weg, vermied meinen Blick.

„Ich habe mich zwischen ihn und Mom gestellt. Ich wollte nicht, dass er ihr noch Mal weh tut. Also hat er seinen Gürtel genommen und...", er kniff die Augen zusammen. Als würde er die Erinnerungen vertreiben. Der Schock kroch wie Ungeziefer unter meiner Haut. Er hatte ihn ausgepeitscht. Seinen eigenen Sohn.

Wussten die anderen davon? Wussten sie was Reid alles erlebt hatte?

Wenn ich Reid's Vater jemals begegnen würde, wäre er ein toter Mann. „Deswegen liebe ich Tattoos.", erzählte er und sah mich an. „Ich kann dann entscheiden, was ich für immer auf meiner Haut tragen werde. Etwas das mir wichtig ist. Etwas wundervolles. Etwas schönes.", murmelte und ich merkte wie das Fieber ihn weiter in den Schlaf zerrte. Ich fühlte erneut seine Temperatur und legte ihm meine Hand auf die Stirn.

„Ich kann das Hässliche verstecken.", murmelte er und ich sah ihn eine Weile länger an, als ich sollte. Ließ meine Hand länger auf ihm ruhen, als es ihm wahrscheinlich lieb war. „Es gibt nichts hässliches an dir, il mio raggio di sole.", raunte ich und deine Augen flatterten wieder auf.

Da. Das wollte ich schon das letzte Mal fragen. Was bedeuten diese Worte?" Ich grinste wehmütig zu ihm hinab. Ich sollte jetzt echt gehen. Ihm den Schlaf überlassen. „Es bedeutet ‚sturer Volltrottel'." Reid verzog das Gesicht. „Ist es nicht ein bisschen zu lang, nur um jemanden zu beleidigen?"

Ich nickte und erhob mich. Das war es.

„Wahrscheinlich."

Bad Choices [BxB]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt