Kapitel 114

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Ich bin keine sechs Stunden mit den Auto hergefahren, habe mir keine überteuerte Hotelübernachtung gebucht und habe mit meinem Chef-Freund geklärt, dass ich beim Tourauftakt in Frankfurt nicht dabei sein kann, um mir hier unnötiges Bla-Bla von meinem Vater anhören zu müssen. Und dabei auch noch genau solches, was seit Jahren nicht mehr aktuell ist und mir nur mal wieder beweist, dass es hier nur um ihn geht und überhaupt nicht um seine Tochter. Anderweitig hätte er sich vielleicht für mein Leben interessiert, aber in diesem Bereich war ich ihm immer schon herzlich egal.

Widerwillig lasse ich das Bettgeländer wieder los und gehe ein paar Schritte zurück, um zum einen wieder Distanz zwischen uns zu schaffen und um ihn zugleich nicht derartig ernst und bedrohend anzusehen. Gerade bräuchte ich meinen Freund, der mir nur wieder sagen würde, dass er es nicht wert ist und dass ich hier an mich und nicht an ihn denken sollte, während er versucht sich zu erklären. Nachdem er dann ebenfalls wieder etwas lockerer wird, als ich ihm nicht mehr so nahe bin, atmet mein Papa durch und schafft es ebenso, entschlossen zu mir zu sehen, dabei ein wenig freundlicher zu wirken.
Guillaume: Ich bin mir bewusst, dass damals eine Menge schiefgelaufen ist und dass wir dir gegenüber nicht gerecht gehandelt haben. Wir haben unser Bestes getan, trotzdem versagt und du hast uns dann 2005 verlassen, um in Hamburg ein Leben fern von uns anzufangen."
Schmerzerfüllt verschränke ich meine Arme vor meiner Brust und drehe meinen Kopf zur Seite weg, um lieber aus den Fenster zu schauen als in seine totgeweihten Augen.
Guillaume: Du hattest mehr verdient als das, was wir getan haben. Wenn ich daran zurückdenke, an die Jahre, die wir zusammen hatten, empfinde ich tiefstes Bedrücken und ich fühle mich schlicht schlecht für das, was passiert ist."
Meinen Blick kann ich nicht wieder zu ihm drehen, viel zu sehr kreisen die Worte, die er gerade gesagt hat, in meinem Kopf umher und nehmen mich vollkommen ein.
Juliette: Also...du entschuldigst dich?"
Meine Stimme klingt unglaubwürdig, leicht brüchig, kaum verständlich. Mir selbst kommt sie fremd vor, aber in dieser Stille wirkt die Frage trotzdem schreiend laut.
Guillaume: Ja...es tut mir leid."

In meinen 38 Lebensjahren habe ich mir irgendwann nichts mehr sehnlicher gewünscht, als genau das von meinen Eltern zu hören. Dass sie sich für das entschuldigen, was passiert ist. Ich hatte in mir immer die Hoffnung, dass am Ende doch noch alles gut werden könnte, dass wir zusammen eine heile Familie sein könnten, wenn das, was passiert ist, einfach hinter uns liegen bleiben könnte. Und heute bekomme ich das, was ich immer hören wollte, aber ich fühle rein gar nichts dahinter. Keine Erleichterung, Freude oder das Gefühl, endlich angenommen oder verstanden zu werden. In den letzten Jahren musste ich allein für mich heilen und verstehen, dass da kein anderer ist...das stimmt so nicht. Chris hat mir gezeigt, dass ich niemals das Problem gewesen bin und dass ich nicht allein bin. Er war an meiner Seite, hält jede meiner Launen aus und liebt mich so, wie ich bin. Etwas, was meine Eltern niemals hinbekommen haben und mich lieber fallen und zerbrechen ließen.

Meine Haltung wird nicht lockerer, stattdessen beiße ich mir einen Moment auf die Zunge, bevor ich kurz meine Kopf hängen lasse, auf den Boden blicke, bevor ich ihn doch wieder in die Richtung meines Vaters drehe, der auf seinem Bett sitzt, eben das gesagt hatte, was ich immer hören wollte und jetzt gespannt auf meine Reaktion wartet.
Juliette: Okay...ich vergebe dir nicht."
Offensichtlich hat er damit nicht gerechnet, denn sobald ich meine Antwort ausgesprochen habe, wirkt sein Blick fragend und verwirrt. Ganz leicht schüttelt er den Kopf, als würde er denken, dass ich es nur falsch verstanden habe. Als könnte irgendwas, was er mir sagt, das wieder gut machen, was er mein Leben lang nicht geschafft hat.
Guillaume: Juliette...ich habe gesagt, dass es mir leid tut."
Juliette: Ja und ich werde dir nicht vergeben."
Die Decke fällt wieder etwas weiter von ihm runter, als er sich weiter im Bett aufsetzen muss und als er mich mit seinem strengen Blick wieder ansieht, erkenne ich genau den Mann dahinter wieder, der mir 18 Jahre mein Leben und Überleben zur Hölle gemacht hat und jetzt auch weiterhin einzig nur an sich denken kann.
Guillaume: Ich bin mir nicht sicher, ob du die Situation hier verstehst, aber das hier könnten die letzten Momente sein, die ich-"
Juliette: Nein! Ich gebe dir nicht die Möglichkeit, weil du es nicht verstehen willst."

Never Less Than a LoverWo Geschichten leben. Entdecke jetzt