31: "Mir ist etwas klar geworden."

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Schnell gehe ich ebenfalls aus dem Pool und wickele mich ins übrig gebliebene Handtuch. Ich bin immer noch wie erstarrt. Langsam gehe ich zum Geländer am Rand der Terrasse. Ich schaue Richtung Horizont. Tränen laufen über meine Wangen. Wir haben uns geküsst. Bei dem Gedanken läuft mir ein wohliger Schauer über den Rücken. Dann ist da der Stich. Wieso ist er gegangen? Wieso hat er den Kuss abgebrochen? Und wieso spürte ich immer noch seine weichen Lippen auf meinen? Wie in Trance fasse ich mir an die Lippen und fahre darüber. Dann wische ich mir über meine Augen. Dennoch laufen mir gleich wieder salzige Tränen über die Wangen und tropfen von meinem Kinn auf den Boden. Langsam gehe ich wieder zu meinen Sachen und streife mir meinen Pulli über. Den Rest sammele ich ein und drücke dann den Knopf, der den Glasaufbau wieder über den Pool fahren lässt. Die Tränen tropfen nun auf meinen Pullover und bleiben wie Tropfen auf der Wolle liegen. Dann gehe ich Schritt für Schritt Richtung Tür.

Leise öffne ich die Tür. In der Wohnung sind alle Lichter aus. Langsam stapfe ich ins Wohnzimmer. Finn liegt dort, eingehüllt in seine Decke, und scheint zu schlafen. Wieder laufen Tränen in meine Augen. Verdammter Bockmist. Leise gehe ich ins Schlafzimmer und schließe die Tür sanft hinter mir zu. Dann kann ich es nicht mehr zurück halten. Lautstark schluchzend werfe ich mich auf mein Bett und ziehe die Decke über meinen Kopf. Tränen nässen das Kissen, während mein noch nasser Bikini das Bettlaken nass werden lässt. „Verdammt!", forme ich mit meinen Lippen. Ich lasse einfach locker und lasse die Tränen einfach laufen. Schluchzend liege ich, in meine Decke eingewickelt, in meinem Bett und starre durch den Tränenschleier die Decke an. Immer wieder schniefe ich und wische meine Tränen weg. Anders als sonst ist keiner hier, der mich trösten könnte. Und ganz davon abgesehen liegt die einzige Person, von der ich mich trösten lassen wollen würde, einen Raum weiter auf dem Sofa. Der Gedanke daran versetzt mir wieder einen Stich. Und so weine ich mich in den Schlaf. Einen tiefen, traumlosen Schlaf.

Das laute Klingeln meines Weckers weckt mich ruckartig auf. Schnell schalte ich ihn aus und setze mich hin. Meine Augen tun weh. Dann kommen die Erinnerungen an gestern Abend wieder. Wieder steigen mir Tränen in die Augen. Ich bin eine Heulsuse. Eine verdammte Heulsuse. Ein Weichei. Schnell wische ich mit dem Ärmel meines Pullovers über mein Gesicht. Dann stehe ich auf. Langsam gehe ich zur Tür und öffne sie vorsichtig. Finn liegt nicht mehr auf dem Sofa. Die Decke liegt zusammengeknüllt auf der Lehne. Ich schaue um die Ecke in die Küche- kein Finn. Ich öffne die Badezimmertür- kein Finn. Flur- kein Finn. Automatisch schaue ich auch im Schlafzimmer nach. Da fällt mir etwas auf. Die Schubladen der Kommode sind halb offen- und leer. Der Koffer, der stets daneben stand, ist auch weg. Erst jetzt realisiere ich, was passiert ist. Finn ist weg. Finn ist gegangen, einfach wieder ausgezogen. Heilige Scheiße. Heulsuse. Verdammte Heulsuse. Ich drehe mich um und gehe in die Küche. Da fällt mir ein kleines Post-It am Kühlschrank auf. Verwundert gehe ich dorthin und nehme den kleinen, bunten Klebezettel.

„Es tut mir leid. Ich bin wieder nach Hause gezogen. Wir sehen uns. Finn."

Ich starre auf den Zettel und lege ihn langsam auf die Anrichte. „Heilige." Ich wische mir wieder Tränen aus den Augen. „Heulsuse." Ich rede schon mit mir selbst. Schnell ziehe ich mich an. Jogginghose und T-Shirt. Ich nehme die Schlüssel und fahre zum Set.

„Mira, wie siehst du denn aus?" Jack kommt mir freudig entgegen. Dann sieht er meine verstrubbelten Haare, meine tiefen, lilanen Augenringe, meine roten Augen. Ich schaue traurig nach unten. „Jack." Mehr bringe ich nicht über die Lippen. Wieder breche ich zusammen und werfe mich in seine Arme. „Ich kann nicht mehr!", schluchze ich. „Was ist passiert?", fragt er und drückt mich fest an sich. „Finn ist passiert!" Ich schlinge meine Arme um ihn. „Hey, beruhig dich erst mal!", sagt er sanft und streicht mir über den Rücken. „Ich bin eine Heulsuse.", sage ich, als ich mich langsam wieder beruhige. „Magst du mir eventuell verraten, was passiert ist?" Er stützt mich, während wir zum Pausenraum gehen. Er öffnet die Tür und will mich vorlassen. Doch das einzige, was ich sehe, ist Finn, der mit Jaeden und Chosen auf dem Sofa sitzt und lacht. Stiche in meinem Herzen. Schnell drehe ich mich herum. „Nein.", sage ich und wische mir weitere Tränen aus meinen Augen. „Wa...", beginnt Jack seinen Satz, doch ich schlage die Tür schwungvoll zu und laufe Richtung Studio. „Mira!", schreit Jack mir hinterher. Ich ignoriere ihn und setze mich auf die Feuertreppe der Studiohalle. Ich stütze meinen Kopf auf meine Hände und weine. Zum gefühlt tausendsten Mal diesen Tag.

„Mira?" Ich schaue hoch. Jack hockt vor mir und schaut mich besorgt an. Ich ziehe meine Nase hoch. „Was." „Was ist passiert? Wieso bist du so ein nervliches Wrack?" „Jack." „Tut mir leid." Er setzt sich neben mich auf die Stufe und legt einen Arm um mich. „Was ist denn jetzt passiert? Ich mache mir Sorgen. Und die anderen auch." Ich nicke. „Ich weiß. Alle außer Finn." „Wieso? Hat er was damit zu tun?", fragt Jack neugierig. „Er ist ausgezogen.", sage ich atemlos und mit heiserer Stimme. „Was? Wirklich?", fragt er geschockt. Traurig nicke ich. „Wieso?" „Magst du später zu mir kommen?", frage ich heiser. Jack nickt verständnisvoll und zieht mich zu sich. Ich lehne mich bei ihm an und seufze. „Danke.", flüstere ich. Als Antwort lehnt er seinen Kopf gegen meinen und seufzt.

„Steig ein." Jack öffnet die Beifahrertür und lässt sich auf den Sitz fallen. Auch ich steige ins Auto. Zu meinem Glück musste ich heute keine Einzelszenen mit Finn drehen. Ach ja, Finn. Ich seufze und drehe den Schlüssel im Zündschloss herum. „Alles okay?", kommt es von meinem Beifahrer. Ich nicke und trete aufs Gaspedal. „Mira?" „Hm?" „Finn ist der Hauptgrund für das alles, oder?" Traurig nicke ich. „Du kannst Gedanken lesen.", seufze ich. „Scheiße." „Kannst du laut sagen."

Ich drücke auf den Knopf des Fahrstuhls und kratze mich am Hinterkopf. „Wissen die Anderen, was passiert ist?", fragt Jack neben mir. Ich schüttele den Kopf und versuche, meine Tränen zurückzuhalten. „Hey." Er legt einen Arm um mich. Da er kleiner als ich ist, kann ich mich nicht anlehnen. „Das wird alles wieder.", versucht er, mich zu beruhigen. „Hoffen wir's.", sage ich und schniefe. Da öffnen sich die Türen des Fahrstuhls und ich fahre nach oben.

„Setz dich, ich hole was zu trinken.", sage ich und verschwinde in der Kühe, während Jack sich aufs Sofa pflanzt. Schnell hole ich zwei Gläser und die Flasche Cola aus dem Kühlschrank. Dann geselle ich mich zu Jack und schenke ihm Cola ein. „So, jetzt fang mal gaaaaanz von vorne an." Er lehnt sich zurück. „Okay. Also. Finn war noch im Kino. Als er nach Hause gekommen ist, war mir langweilig- und da fiel ihm ein, dass die Dachterrasse wieder auf ist." „Ihr habt ne Dachterrasse?", unterbricht Jack mich. Ich nicke. „Wir sind also dort hoch." Ich schniefe erneut und lehne mich gegen die Sofalehne. „F-Finn hatte die Idee, dass wir doch in den Pool gehen könnten." Ich schlucke. „Ihr habt einen Pool da oben?" Wieder nicke ich. „Also haben wir unsere Schwimmsachen geholt und sind in den Pool gegangen." Je weiter ich in meiner Erzählung komme, desto schwerer fällt es mir, zu erzählen. „Eigentlich war es ganz lustig, wir haben uns gegenseitig unter Wasser gedrückt und so weiter, und dann..." Ich breche ab. Tränen laufen mir bei der Erinnerung an diesen Moment über die Wangen. Jack legt fürsorglich seine Hand auf meinen Arm. „Und dann was?", fragt er vorsichtig. „Wir haben uns geküsst, Jack.", schluchze ich. „Bitte was?", fragt er verblüfft. Wieder mal nicke ich und kneife meine Lippen zusammen. „Jetzt im Ernst?", fragt Jack nach. „Ja, wir haben uns geküsst.", wiederhole ich. „Und wieso ist das so schlecht?", wundert sich mein Zuhörer. „Er ist gegangen." „Gegangen?" „Er hat sich gelöst, sagte, dass es ihm leid täte, und dass er das nicht hätte tun sollen, und ist gegangen.", erkläre ich meine Aussage und wische meine Tränen weg. „Oh wow. Das ist echt scheiße. Er hat dich ganz alleine da oben gelassen?" Ich nicke. „Aber wieso?", überlegt Jack. Ich zucke mit den Schultern. „Keine Ahnung." „Oh Mira, du tust mir leid." Er umarmt mich. Ich lege meinen Kopf an seine Schulter und schließe ihn ebenfalls in meine Arme. Tränen laufen mir über die Wangen. Ich löse mich. „Weißt du, was das Schlimmste ist?", frage ich mit brüchiger Stimme. Jack sieht mich erwartend an. „Hm?" „Mir ist etwas klar geworden. Etwas, wodurch die ganze Situation nur noch schlimmer wird." „Was denn?" Ich kneife meine Lippen zusammen. „Rück schon raus mit der Sprache, Mira. Ich sage es auch keinem.", sagt mein Zuhörer sanft. Ich nicke und ziehe meine Nase hoch. Dann hole ich einmal tief Luft.



„Ich habe mich in meinen besten Freund verliebt."

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