61: "Ist Wyatt dir egal?"

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Der Arzt sieht bedrückt aus. Mir steigen neue Tränen in die Augen. Auch Miranda ist völlig aufgelöst. „Ist er...", schluchzt sie und der Arzt senkt den Kopf. Aus dem Zimmer ertönt ein regelmäßiges Piepen- wenn auch in ewig langen Abständen. „Wir mussten ihn in ein künstliches Koma versetzen.", teilt uns der Arzt mit und meine Kinnlade fällt herunter. „Was?", flüstere ich. Finn legt beschützend einen Arm um mich. „Wir wissen nicht, ob und wann wir ihn wieder zurückholen können.", fährt der Arzt fort. Meine Knie werden weich und ich muss mich an Finn festhalten, um nicht auf den Boden zu klappen. Auch Sophia stehen Tränen in den Augen. „Dürfen wir zu ihm?", fragt Miranda mit heiserer Stimme. „Erst in ein paar Stunden, wenn sich sein Zustand stabilisiert hat- sein Herz schlägt nur sehr langsam." Ich kneife meine Lippen zusammen und nicke. Zu mehr bin ich gerade nicht imstande. „Warten Sie doch in der Lounge oder essen sie etwas in der Cafeteria.", schlägt der Arzt vor und zieht sich in den Raum zurück.

Wir sitzen, wie uns vorgeschlagen, in der Lounge über zwei der vier Sofas verteilt. Schweigen. Keiner sagt etwas, alles, was man hört, ist ab und zu das Klingeln des Telefons an der Rezeption nebenan. Sirenen. Mehr nicht. Keine Vögel zwitschern. Die Fenster sind weit auf. Kein Auto fährt dort vorbei. Keine Menschenseele ist sonst im Raum. Ich starre auf den Boden vor meinen Füßen und halte links Finns und rechts Sophias Hand. Sophia schnieft ab und an. „Leute.", breche ich das Schweigen. „Wir können nicht wie ein einziges Trauerspiel hier herum sitzen und nichts tun.", fahre ich fort. „Und was sollen wir deiner Meinung nach tun? Wyatt ist schon so gut wie tot!", sagt Jack trocken. „Jack.", ermahne ich ihn. „Unser Nudelköpfchen wird das packen. Ich glaube daran. Und je mehr Leute an ihn glauben, desto eher wird er es wirklich schaffen. Du willst unseren Freund doch nicht einfach so aufgeben, oder?", sage ich. „Mira. Wir wissen nicht, ob er wieder aufwachen wird oder nicht. Er ist praktisch tot." Ich stehe auf und gehe zu Jack. Die Anderen verfolgen mich mit ihren Blicken, bleiben jedoch stumm. „Jack Dylan Grazer. Das ist einer unserer besten Freunde, der da um sein Leben kämpft. Willst du ihn einfach aufgeben? Willst du sagen 'Och, ne, der schafft es sowieso nicht mehr'? Willst du einfach jetzt gehen und ihn nicht mehr besuchen, dich nicht mehr um ihn sorgen, weil er 'ja so gut wie tot' ist? Ist Wyatt dir egal?" Mir steigen Tränen in die Augen. Mit in die Hüfte gestemmten Händen stehe ich vor Jack, der mich einfach nur ansieht. Seine Augen glänzen ebenfalls. „Wenn ich eines nicht tue, ist es Wyatt aufzugeben. Aber es sieht halt einfach schlecht für ihn aus." „Er wird es schaffen.", widerspreche ich. „Ich glaube felsenfest daran." Die erste Träne verlässt Jacks Augenwinkel. „Wir können zu mir fahren, Pizza bestellen und einen Film schauen oder so...", schlage ich dann vor. Jack wischt sich die Tränen weg. „Von mir aus.", sagt er und steht auf. Auch Finn, Sophia und Jaeden nicken. Chosen und Miranda bleiben sitzen. Miranda schaut mich einfach nur an. „Nehmt es mir nicht übel, aber ich will in seiner Nähe bleiben.", sagt sie. „Chosen?", frage ich. „Ich fahre gleich zu Jeremy, ich habe ihm versprochen, ihm zu helfen. Sein Laptop macht Zicken." Er zuckt mit den Schultern. „Ok...", seufze ich. Jack ist schon zur Tür hinaus. Schnell gehe ich hinterher. Auch die Anderen folgen mir. Ich setze schnell einen Fuß vor den anderen und hole Jack so ein. Ich nehme ihn am Handgelenk und halte ihn so an.

„Wyatt schafft das.", sage ich leise. Jack nickt einfach nur. Er ist schnell gelaufen, um seine Tränen zu verstecken. Er hält seinen Kopf gesenkt und seine Tränen tropfen auf den Kunststoffboden. Ich habe ihn noch nie richtig weinen gesehen. Stumm nehme ich ihn in den Arm und drücke ihn fest an mich. Er ist gewachsen. Schon wieder. Nun kann er sein Kinn ohne Probleme auf meine Schulter legen. Das tut er jedoch nicht, sondern vergräbt sein Gesicht an meiner Schulter. Mein Shirt saugt seine Tränen auf. „Er schafft das.", wiederhole ich. Wieder nickt er einfach nur. Die Anderen bleiben um uns herum stehen. Irgendwann kommt Sophia und umarmt uns ebenfalls. Dann gesellen sich auch die Anderen zur Gruppenumarmung. Die Krankenschwestern bahnen sich ihren Weg an uns vorbei. Nach einiger Zeit lösen sich die Anderen nach und nach und stehen einfach da. Ich löse mich ebenfalls aus Jacks Umarmung und lege einen Arm um seine Schulter. Dann gehen wir zum Auto.

Als wir zuhause ankommen, klingelt mein Handy. „Ja?", melde ich mich und streife meine Schuhe ab. Dann gehe ich ins Wohnzimmer. „Hey, Mira.", ertönt Jessis Stimme aus dem Hörer. „Ich wollte fragen, ob du Lust hast, heute Abend ins Kino zu gehen." Ich beobachte die Anderen, die nun ebenfalls zum Sofa kommen und sich neben mich setzen. „Ähm.", versuche ich, Zeit zu schinden. Finn schaut mich fragend an. „Kino?", forme ich stumm mit den Lippen. Er kneift die Lippen zusammen und zuckt dann mit den Schultern. Ich atme tief durch. „Tut mir leid, aber... Ich kann nicht.", sage ich dann. „Deine Stimme klingt brüchig, was ist passiert?", fragt Jessi besorgt. Ich schlucke. „Wyatt liegt im Koma.", sage ich dann. Die anderen verfolgen meine Lippenbewegungen verwirrt. „Was?", ruft Jessi. „Was ist los?", kommt Noahs Stimme immer näher. „Wyatt liegt im Koma.", wiederholt Jessi meine Worte. „Oh mein Gott." „Also kein Kino heute. Sag Bescheid, ich habe immer Zeit.", sagt sie zu mir. „Okay. Danke, das ist super lieb von dir.", nicke ich und lege auf. „Kein Kino?", fragt Finn. „Du verstehst ja doch was.", grinse ich leicht. „Ach, habe geraten.", schmunzelt mein Freund neben mir. „Was ist jetzt mit der Pizza? Ich habe langsam echt Hunger.", quengelt er dann. „Du bist der Einzige, der in dieser Situation an Essen denkt.", seufzt Jaeden. Sophia nickt. „Ich bekomme jetzt echt nichts runter.", stimmt sie zu. „Mein Magen ist wie zugeschnürt.", fügt Jack hinzu. Mittlerweile sind seine Tränen versiegt. Ich nicke. „Bestell du dir ruhig was.", sage ich leise und lehne mich zurück. „Am Ende klaust du mir sowieso was.", schmunzelt Finn. „Ganz sicher nicht...", seufze ich und ziehe die Decke über mich. „Okay, schon gut. Ich mache mir einen Toast." Er steht auf und geht in die Küche. „Wollt ihr was... trinken oder so??", frage ich unsicher. „Wasser.", antwortet Jaeden und alle anderen nicken. „Ok." „Ich helfe dir beim Tragen der Gläser.", bietet Sophia an und folgt mir in die Küche.

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