69: "Ich kann das nicht."

1K 88 51
                                    

Ich schließe den letzten Karton und versiegele ihn mit dem Paketband. Wie aufs Stichwort klingelt es an der Tür. Widerwillig stehe ich auf und stapele den letzten Karton auf die beiden anderen neben dem Küchentresen, bevor ich zur Wohnungstür schlurfe und den Türsummer betätige. Dann öffne ich die Tür und lehne mich erschöpft gegen den Türrahmen. Der Fahrstuhl fährt hoch. Über den Türen sehe ich die Anzeige. „E", „1", „2", „3", „4", „5", „6", „7". Es pingt und die Türen öffnen sich. Jack steht dort und kommt auf mich zu. „Mira.", begrüßt er mich. „Wie geht es dir?" „Den Umständen entsprechend?", antworte ich zögernd. „Du musst mit ihm reden.", wiederholt Jack. Ich zucke mit den Schultern. „Morgen bin ich weg. Was nützt es noch." „Reinen Tisch machen kann vieles bringen.", stellt er klar. „Kann sein." „Und genau deshalb fahren wir jetzt zu ihm." , sagt er und hält mir meine Schuhe und Jacke hin. „Nein, das kannst du vergessen." „Doch, da gibt es keinen Weg dran vorbei.", widerspricht Jack. Ich seufze. „Nein, Jack. Es bringt nichts mehr." „Und ob! Meine Güte! Ihr wart immer das süßeste Pärchen in meinem Umfeld. Ich war neidisch, wollte immer so sein wie ihr. Und jetzt seid ihr getrennt. Obwohl ihr euch liebt. Wegen so einem Scheiß! Und weil du Schluss gemacht hast, musst du dich auch entschuldigen. Jetzt!", ruft er mir ins Gesicht. Eingeschüchtert streife ich mir meine Schuhe über und nehme meine Jacke. „Aber ich fahre nicht!" „Das Taxi steht unten, Stanford. Bewegung!", fordert er mich auf und schiebt mich aus der Wohnung.

„Ich kann das nicht.", sage ich. Wir stehen in einem Vorort von Vancouver, vor einem Einfamilienhaus. Dem Haus der Wolfhards. Ich schlucke, als ich Schritte hinter der Türe höre. Da öffnet sich die Tür. „Hey, Jack... Und Mira?" Nick ist offensichtlich verwirrt. „Es tut mir echt leid, aber Finn will dich nicht sehen.", erklärt er. „Das wissen wir. Sag ihm bitte, dass nur ich da bin.", bittet Jack Finns Bruder. „Finn?", brüllt dieser die Treppen hoch. „Ja?", höre ich seine Stimme. Mir wird schlecht. Ich setze mich auf die Bank auf der Veranda. „Jack ist hier, kommst du bitte mal runter?", fährt Nick sein Geschrei fort. Es rumpelt. Schritte auf der Treppe. „Jack!", ruft Finn erfreut. „Komm mal bitte raus.", bittet Jack ihn ernst, was Finns Stimmung etwas dämpft. „Was ist passiert?" Er geht durch die Tür, Nick verschwindet im Wohnzimmer. „Was will die hier?", fragt Finn abwertend. Ich sehe ihn an. Mit Tränen in den Augen. „Hör dir bitte an, was sie zu sagen hat. Ich bin solange drinnen.", sagt Jack und drückt Finn nach unten, sodass er sich neben mich setzen muss. Er würdigt mich dennoch keines Blickes, sondern starrt auf den Apfelbaum im Garten. Ich schlucke. Ich muss jetzt etwas sagen. Es gibt kein Zurück mehr. Ich hole tief Luft.

„Ich erwarte nicht, dass du was sagst. Ich will nur, dass du mir zuhörst.", seufze ich und stütze meinen Kopf auf meine Hände. Finn sagt nichts. Also fahre ich fort. „Ich habe nie etwas mehr bereut, als dass ich mit dir Schluss gemacht habe. Es war der größte Fehler meines Lebens. Das kannst du mir glauben. Ich war fertig. Bin zusammengebrochen. Habe mich selbst verletzt. Ich konnte nicht mehr. Mir ist klar geworden, wie viel du mir bedeutest. Viel mehr als irgendeine Meinung von Anderen. Viel mehr als irgendwer anders auf dieser Welt. Mir ist es egal, ob zwischen uns drei Jahre oder fünftausend liegen. Ich liebe dich. Und ich weiß, dass es dir auch schrecklich ging. Dass du geweint hast. Ich kann mir nicht verzeihen, was ich getan habe. Nie. Nicht einmal, wenn du mir verzeihen solltest. Was ich nicht erwarte, um ehrlich zu sein. Ich habe Mist gebaut. Unbeschreiblichen Mist. Das Schlimmste, was ich hätte tun können. Ich habe die Meinung anderer über meine Liebe zu dir gestellt. Etwas, dass man nie tun sollte. Ich habe es eigentlich in dem Moment bereut, in dem ich es ausgesprochen habe. Nur war ich so überzeugt davon, dass es richtig ist, dass ich es ausgeblendet habe. Und das hätte ich nicht tun sollen. Wenn ich könnte, würde ich es rückgängig machen. Aber das geht nicht. Deshalb liegt es an dir, ob du mir verzeihst, oder nicht. Ich will nur, dass du weißt, dass ich mich in meinem Leben noch nie schrecklicher gefühlt habe. Nie. Ich habe noch nie für jemanden mehr empfunden als für dich. Du warst vom ersten Tag an mein bester Freund hier. Und daraus wurde mehr, wie so oft. Nur bei dir bin ich mir sicher, dass es so sein sollte. Dass es nicht nur eine Phase ist, in der ich denke, dass ich in dich verliebt bin. Bei dir bin ich mir einfach sicher. Weißt du noch, der Tag, an dem wir uns gegenseitig von unseren Traumhochzeiten erzählt haben? Ich hatte immer uns beide vor Augen. Wie wir zusammen unser Hochzeitsessen essen. Pizza. Das war deine Idee, weißt du noch? Ich habe nie daran gezweifelt, dass du der Richtige bist. Und ich dumme Kuh habe alles vermasselt. Habe alles zerstört, in dem ich nicht auf mein Herz gehört habe, sondern auf andere. Es tut mir unendlich leid. Ich wollte nur, dass du das weißt. Ich... liebe dich, Finn, und das wird sich nie ändern."

Die Worte sprudeln nur so aus mir heraus. Beinahe hätte ich nicht mehr aufgehört. Ich schlucke und warte eine Reaktion ab. Es kommt keine. Reglos sitzt Finn neben mir und starrt in den Garten. Ich lehne mich etwas vor und sehe ihm ins Gesicht. Sein Blick ist leer. Seine Augen glänzen. In seinem Augenwinkel sammelt sich die erste Träne zusammen. Ich schlucke wieder. Ich habe einen Kloß im Hals. Ich seufze. „Schon gut. Morgen bin ich weg. Dann musst du nie wieder was von mir hören. Geschweige denn sehen. Aber... einen Versuch war es wert.", sage ich heiser und merke die erste Träne auf meiner Wange. Dann gehe ich zur Haustür und rufe Jack. „Lass uns fahren.", sage ich und er kommt auf mich so. „Es bringt sowieso nichts.", schluchze ich und Jack legt einen Arm um mich, während wir langsam zur Straße gehen, wo unser Taxi auf uns wartet. Ich sehe noch einmal zurück. Finns Blick liegt auf mir. Für einen Augenblick treffen sich unsere Blicke. Ich sehe ihn traurig an, sehe jedoch durch meinen Tränenschleier nur schemenhafte Umrisse. Ich blinzele, wodurch die Tränen aus meinen Augen fließen und ich wieder einigermaßen klar sehen kann. Finn starrt mich an. Eine Träne rollt über seine Wange. Schnell wischt er sie weg. Dann steht er langsam auf und geht hinein. Die Tür schließt sich und ich steige ins Taxi. Sollte das das Letzte sein, was ich von Finn Wolfhard sehe?

Friends. // f.w.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt