64: "Ich habe dich vermisst."

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„Was?" Finns Stimme ist kaum mehr als ein Hauch. „Komm schon, du weißt es genauso gut wie ich.", sage ich leise und starre auf meine Finger. „Was willst du mir damit sagen?", fragt Finn mit einer Mischung aus Angst und Trauer. Als wüsste er die Antwort. Er weiß die Antwort. Ich schlucke. „Wir sollten nicht zusammen sein." Ich habe es gesagt. Ich habe es wirklich über meine Lippen bekommen. Die Wahrheit. Auch wenn sie wehtut. Finn saugt scharf die Luft ein. „Was?", fragt er. Seine Augen werden rot. Ich beiße mir nervös auf die Lippen und wende mich wieder meinen überaus interessanten Fingerknöcheln zu. „Du hast mich gehört.", sage ich mit tränenerfüllter Stimme. Tränen laufen meine Wangen hinunter. „Das kannst du nicht ernst meinen." Er legt eine Hand auf meinen Arm. Sanft streiche ich darüber und nicke. „Es tut mir so leid." „Wieso lässt du dich denn von solchen Instagramkommentaren umstimmen? Dir war doch bewusst, dass ich jünger bin, oder etwa nicht?", erhebt er seine Stimme. „Ich..." Ich schlucke den Kloß in meinem Hals herunter. Mir ist noch nie was schwerer gefallen. „Natürlich wusste ich es. Ich... habe es einfach verdrängt, weil... ich dich so geliebt habe." „Du hast mich geliebt? Liebst du mich nicht mehr?", schreit Finn verletzt. Ich wische meine Tränen von den Wangen. „Finn.", versuche ich, zu erklären. „Tust du oder tust du nicht?", brüllt er mich förmlich an. Aus seinen Augen fließen Tränen und tropfen aufs Sofa. „Natürlich liebe ich dich.", sage ich leise. „Und wieso willst du dann... Schluss machen?", fragt er wieder etwas leiser. „Es ist einfach falsch. Ich bin volljährig, und..." „Ich nicht. Schon verstanden. Aber dass dir Kommentare auf einer Social Media Plattform wichtiger sind als ich..." Er schüttelt enttäuscht den Kopf. Ich schlucke meine Tränen hinunter. „Es sind nicht nur die Kommentare. Die Presse. Die Allgemeinheit. Menschen. Alle. Alle denken genau das.", rattere ich wie in Trance herunter. „Alle anderen sind also wichtiger als ich. Danke sehr." Er steht auf und geht ins Schlafzimmer. Ich beiße weiter auf meiner Lippe herum und starre auf meine Finger.

Das laute Klingeln meines Weckers weckt mich ruckartig auf. Schnell schalte ich ihn aus und setze mich hin. Meine Augen tun weh. Dann kommen die Erinnerungen an gestern Abend wieder. Wieder steigen mir Tränen in die Augen. Ich bin eine Heulsuse. Eine verdammte Heulsuse. Ein Weichei. Schnell wische ich mit dem Ärmel meines Pullovers über mein Gesicht. Dann stehe ich auf. Langsam gehe ich zur Tür und öffne sie vorsichtig. Finn liegt nicht mehr auf dem Sofa. Die Decke liegt zusammengeknüllt auf der Lehne. Ich schaue um die Ecke in die Küche- kein Finn. Ich öffne die Badezimmertür- kein Finn. Flur- kein Finn. Automatisch schaue ich auch im Schlafzimmer nach. Da fällt mir etwas auf. Die Schubladen der Kommode sind halb offen- und leer. Der Koffer, der stets daneben stand, ist auch weg. Erst jetzt realisiere ich, was passiert ist. Finn ist weg. Finn ist gegangen, einfach wieder ausgezogen. Heilige Scheiße. Heulsuse. Verdammte Heulsuse. Ich drehe mich um und gehe in die Küche. Da fällt mir ein kleines Post-It am Kühlschrank auf. Verwundert gehe ich dorthin und nehme den kleinen, bunten Klebezettel.

„Es tut mir leid. Ich bin wieder nach Hause gezogen. Wir sehen uns. Finn."

Dieses Mal gab es keine Notiz.

„Er hat bitte wie? Und die Kommentare... was? Und du hast... Mira!" Sophia scheint völlig überfordert. Sie gestikuliert wild in der Gegend herum. Ich sitze einfach nur auf ihrem Bett und beobachte sie, wie sie im Zimmer auf und ab geht. „Es macht mich fertig!", seufze ich und stütze mein Gesicht in meine Hände. „Ihn auch! Logischer Weise! Kein Wunder, dass er ausgezogen ist!", ruft Sophia aufgebracht. Ja, Finn ist ausgezogen. Wieder. Nach der Szene im Wohnzimmer ist er wütend ins Schlafzimmer gegangen und hat seinen Koffer wieder gepackt. Er ist ohne ein weiteres Wort abgedampft und hat die Wohnungstür mit voller Wucht zugeschlagen. Nachdem ich mich beruhigt hatte, bin ich sofort zu Sophia ins Hotel gefahren. Und genau die setzt sich nun neben mich und starrt mich an. Ich schniefe. „Bitte, lass mich mich nicht noch schlechter fühlen, als ohnehin schon!" „Mira!" Sophia lässt sich nach hinten fallen und schlägt die Hände über dem Kopf zusammen. „Um ehrlich zu sein, fällt mir das sehr schwer.", gibt sie in einem ruhigeren Ton zu. Ich nicke. „Schon klar, ich bin die schrecklichste Person auf dem Planeten Erde.", sage ich trocken. Ich stehe auf. „Mira, komm schon." Sophia setzt sich auf. „Nein, Soph. Lass es einfach sein.", sage ich leise und gehe schnellen Schrittes aus dem Hotel. Zumindest war das mein Plan.

„Mira?" Ich fahre herum. „Lass mich in Ruhe, Caleb." Schnell drehe ich mich wieder weg und will zur Tür gehen. Doch Caleb hält mich zurück. „Mira, was ist los?", fragt er besorgt und ignoriert meine abweisende Haltung. „Lass mich!", schreie ich und spüre wieder Tränen auf meinen Wangen. Alle, die sich um uns herum befinden, schauen uns verwundert an. Ich will wieder gehen, doch Caleb nimmt meine Hand. Mir wird flau im Magen. Ich schlucke. „Wenn du es mir sagst, lasse ich dich in Ruhe.", bietet mein Ex mir einen Deal an. Ich nicke. „Aber nicht hier.", gebe ich mich geschlagen. Er zieht mich raus aus dem Hotel, zu einer Bank an einem Grünstreifen. „Setz dich hin und schieß los." Ich setze mich hin und schlucke wieder. Ich spüre noch seine Hand an meiner. „Ich... habe mich von Finn getrennt.", rede ich nicht lange um den heißen Brei herum. „Was?", fragt Caleb entsetzt. Wobei er mehr erleichtert aussieht. „Der Altersunterschied ist einfach... zu groß.", fahre ich fort. „Er ist auch wieder ausgezogen." Es sprudelt einfach aus mir hinaus. „Weißt du, ich bin jetzt einfach so durcheinander. Ich meine, ich habe nicht mal überlegt, ich..." Caleb überlegt anscheinend auch nicht sonderlich. Ehe ich mich versehe, liegen seine Lippen auf meinen. Es fühlt sich so vertraut an. Und ich überlege auch nicht. Ich erwidere den Kuss und lege meine Hände in seinen Nacken.

Nach einiger Zeit lösen wir uns. Ich schaue ihm in die Augen. Da ist dieses Funkeln. Ich ziehe unsicher einen Mundwinkel hoch. „Ich habe dich vermisst.", flüstert Caleb und nimmt meine Hände. Ich habe ihn nicht vermisst. Und dennoch nicke ich. In dem Moment wird mir klar, was ich da überhaupt tue. „Caleb.", sage ich etwas lauter. „Hm?" Er schaut mir in die Augen. „Ich kann das nicht.", sage ich. Er seufzt auf und nimmt seine Hände von meinen. Dann lehnt er sich zurück und legt den Kopf in den Nacken. „Ich wusste es.", sagt er trocken. „Ich liebe dich nicht. Ich... liebe Finn." „Aber du willst nicht mit ihm zusammen sein.", seufzt mein Ex. Ich schüttele den Kopf, dann nicke ich. „Doch. Aber es geht nicht. Es ist falsch.", sage ich leise und stehe auf. „Es tut mir leid, Caleb. Wirklich." Tut es wirklich. Mehr oder weniger. Caleb lehnt sich zurück. „Schon ok. Darf ich dir mal was sagen?", fragt er dann. Erwartend nicke ich ihm zu. „Was denn?" „Wenn du Finn liebst, dann... hol ihn dir zurück.", sagt Caleb eindringlich. „Das wichtigste ist, dass ihr glücklich seid und nicht alle anderen." Dann steht er ebenfalls auf. „Werde glücklich, Mira.", sagt er und gibt mir einen Kuss auf die Wange, bevor er ohne ein weiteres Wort geht. Perplex bleibe ich stehen. Hat er Recht?, frage ich mich selbst.

Nein. Ich will nicht als Pädophile abgestempelt werden.

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