62: "Rück raus mit der Sprache."

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„Kann ich mit dir reden?", nimmt Finn mich ein paar Tage später zur Seite. Ich nicke. „Klar, was gibt's?", lächele ich ihn an und folge ihm weg von der Lounge des Krankenhauses, wo Sophia, Jaeden und Jack sitzen und sich unterhalten. „Es geht um..." Er stockt. Verwundert lege ich meinen Kopf schief. „Ja...?", hake ich nach. „Um diese Krankheit." „Ach ja." Den Psychiater habe ich immer noch nicht angerufen. „Was ist damit?", frage ich unbeeindruckt. „Wie geht es dir?", fragt er sanft. Mitfühlend legt er eine Hand auf meinen Arm. „Ich... weiß es nicht." Ich weiß es nicht- tolle Antwort. „T-tut mir leid. Ich... habe es noch nicht so ganz realisiert.", gebe ich zu. „Realisiert...", wiederholt Finn. „Was ist?", frage ich. „Nichts, alles gut. Hast du... den Psychiater angerufen?", fragt er und kratzt sich am Hinterkopf. Ich schüttele langsam den Kopf. „Wieso nicht?" „Ich...", fange ich an. Ich breche jedoch ab. Eine streng aussehende Ärztin betritt die Lounge und sucht den Raum mit ihrem Blick ab. „Die Angehörigen von Wyatt Oleff?", fragt sie dann laut. Ich drehe mich zu ihr und hebe schüchtern die Hand. „Wenn Sie mir einmal folgen würden...", bittet sie mich. Finn nimmt meine Hand. „Ich komme mit." Die Ärztin nickt. „Sonst noch wer?", fragt sie etwas freundlicher. „Worum geht es denn?", fragt Jaeden nervös. „Ein paar Informationen zu seinem Zustand.", antwortet die Ärztin. „Geht ihr ruhig allein.", sagt Sophia und Jack nickt. „Okay.", stimme ich zu. „Dann folgen Sie mir bitte."

„Du musst den Psychiater anrufen.", bricht Finn die Stille. Es ist Abend. Wir sitzen auf dem Sofa. Gleich würde Jack kommen und übers Wochenende bleiben. Ich atme tief ein. „Finn." „Nein, nichts Finn. Du musst anrufen. Du musst dir helfen lassen.", bittet er mich. „Merkst du nicht, dass ich nicht kann?", schreie ich. Finn zuckt zusammen. Ich habe wohl etwas sehr laut geschrien. „Ich mache mir Sorgen um dich. Sorgen. Ich will nur, dass es dir gut geht, Mira. Aber du... du...." „Ich was?", frage ich wütend mit ruhiger Stimme. „Mira.", fängt er an. „Nein, Finn. Ich kann nicht. Wyatt liegt im Koma, mir wurde bestätigt, dass ich wohl gestört bin und eine Therapie brauche... Und dann kommst du um die Ecke und..." Wütend breche ich ab und stehe auf. Ohne nachzudenken reiße ich die Tür auf und stürme die Treppen nach unten. An der Haustür kommt Jack mir mit einem riesen Rucksack entgegen. „Mira?", fragt er verwirrt. Ich bleibe wie angewurzelt stehen. „Finn ist oben.", sage ich trocken. Jack steht direkt vor mir. „Ist alles... in Ordnung?", fragt er besorgt und will mir eine Hand auf den Arm legen. Ich schlage sie weg. „Nein.", antworte ich knapp und gehe an ihm vorbei auf die Straßen Vancouvers.

Ich sitze auf einer Mauer in einer Seitengasse und ignoriere wieder einmal mein Handy. Es liegt neben mir und klingelt vor sich hin. „Finneboy.", steht da. „Jack.", steht da. Immer abwechselnd. Ich ignoriere es. Ich starre auf meine Fußspitzen. Es klingelt wieder. Und wieder. Irgendwann habe ich die Nase voll. Ich nehme mein Handy. Ich drücke den Knopf. Schalte es aus. Sollen sie doch da bleiben, wo der Pfeffer wächst. Ich schnaube verächtlich. Sie achten nicht darauf, was ich will. Egoistisch sind sie. „Hey du!", ruft jemand. Ich hebe meinen Kopf. „Haste ne Kippe?", lallt ein Typ vor mir. „Verpiss dich.", zische ich und gehe an ihm vorbei. Zumindest ist das mein Plan. Der Typ hält mich zurück. „Hast du oder nicht?", lallt er weiter. „Nein!", brülle ich und reiße mich los. „Verpiss du dich!", brüllt er mir hinterher. Schnellen Schrittes gehe ich Richtung Park. „Mira!", ruft jemand. Ich fahre herum. „Jessi?", frage ich verblüfft. Tatsächlich läuft Jessi auf mich zu, Noah hinter sich her ziehend. „Was machst du hier? Wo ist dein Schatzi?" Ich kneife meine Augenlider zusammen und schaue sie wütend an. „Muss ich immer meinen Freund im Schlepptau haben, wenn ich irgendwo hingehe?", zische ich. „Was ist los mit dir?", fragt sie besorgt. „Macht es dir was aus, wenn...", wendet sie sich zu Noah, der einfach kurz den Kopf schüttelt und einige Meter weg geht. „Mira, komm schon. Rück raus mit der Sprache.", bittet sie mich eindringlich. „Es ist nichts.", sage ich und weiche ihrem Blick aus. „Ja, genau, das kannst du deiner Großmutter erzählen.", sagt Jessi. „Es ist nichts...", wiederhole ich, doch ich merke, wie mir Tränen in die Augen steigen. „Wo wolltest du eigentlich hin?", fragt Jessi jetzt. „Ich... Ich... Weg von zuhause.", sage ich leise. „Wirklich? Wieso?", fragt Jessi und jetzt kann ich es nicht mehr zurückhalten. Tränen sammeln sich in meinen Augen und tropfen auf mein Shirt. Jessi sagt nichts mehr, sie umarmt mich einfach.

„Mira!", ruft eine mir wohl bekannte Stimme. Ich sitze vollkommen fertig auf einer Bank vor dem Parkeingang. Jessi schaut mich mitleidig an. Noah kneift peinlich berührt seine Lippen zusammen und schaut denjenigen an, der auf uns zu gerannt kommt. Ich schaue auf. In gefühlter Lichtgeschwindigkeit rast Finn auf uns zu, den Fußgängerweg entlang. Könnte auch aus einem kitschigen Liebesfilm kommen. Fehlt nur die Slow-Motion. Perplex stehe ich auf. Finn wird langsamer. „Was macht er hier.", frage ich trocken und muss meinen Kloß im Hals herunter schlucken. „Ich habe ihn angerufen.", antwortet Noah neben mir kleinlaut. „Im Ernst.", seufze ich. Finn wird immer langsamer. Sein Gesichtsausdruck wird unsicherer. Ich schlucke. „Ich will ihn nicht sehen.", sage ich. „Wieso?", fragt Jessi verdutzt. „Ich... Er.... Ach Mann!", rufe ich und gehe weg. Ich drehe mich zur Seite und gehe weg. „Mira...", ruft Finn, doch seine Stimme wird leiser. Gibt er auf...?, frage ich mich selbst. Hoffentlich nicht., antworte ich mir selbst. „Lauf schon.", höre ich Noah rufen. „Sie will mich nicht sehen.", gibt Finn zurück. „Liebst du sie oder nicht?", ruft Jessi nun aufgebracht. „Natürlich liebe ich sie, aber..." Aber? Meine Schritte werden langsamer. „Ich will sie ja nicht bedrängen. Wenn sie sagt, dass sie mich nicht sehen will, dann lasse ich sie in Ruhe!", ruft Finn laut. Ich bleibe stehen. Wieder kommen mir die Tränen. Ich hasse meine Stimmungsschwankungen, denke ich. Ich drehe mich um. „Meine Güte!", ruft Noah und deutet auf mich. Finn dreht seinen Kopf zu mir. Ich ziehe unsicher einen Mundwinkel hoch. Langsam kommt Finn auf mich zu. Irgendwann sollte ich wirklich mal einen Liebesoman aus unserem Leben schreiben. Wäre kein schlechtes Material. „Mira... Es tut mir leid.", sagt Finn und bleibt vor mir stehen. „Ich weiß. Mir tut es auch leid. Ich... wollte das nicht." „Ich weiß." Er kommt näher und nimmt mich einfach nur in den Arm. „Alles gut." „Was ist mit Jack?", ändere ich das Thema. „Ach der. Der sitzt bei uns auf dem Sofa und hat uns Pizza bestellt. Wenn du also... Mitkommen willst meine ich." „Machst du Witze? Es geht um Pizza. Und ich habe wieder mal überreagiert.", seufze ich. Finn muss lachen. „Komm." Er nimmt meine Hand und wir gehen zurück zu Jessi und Noah. „Danke.", sage ich einfach und ziehe beide in eine Umarmung. „Wir können ja schlecht zulassen, dass unser Traumpaar zerstritten ist, oder?", grinst Jessi. „Du bist doof.", sage ich. „Wieso das?", fragt Finn beiläufig, während er Noah verabschiedet. „Was?" Ich habe doch Deutsch gesprochen- oder? „Wieso ist Jessi doof?" Auch Jessi zieht fragend die Augenbrauen hoch. „Sie hat es mir auf Deutsch gesagt.", stellt sie dann fest. Also bin ich doch nicht verwirrt. „Ich weiß.", grinst Finn. „Ich habe doch gesagt, ich lerne Deutsch für dich."

„Jessi kommt übrigens später rüber." „Rüber?" „Sie wohnt zwei Straßen weiter, also kommt sie rüber.", grinse ich. Finn nickt erkennend. „Ich gehe dann." „Wohin?" „Keine Ahnung, zu Jack? Nick? Josh? Gaten? Ich weiß es noch nicht, mal fragen, wer denn Zeit hat." „Du musst nicht gehen, nur weil sie kommt." „Ich will euch ja nicht stören." „Wobei? Bei Deutschreden?" Er zuckt mit den Schultern. „Komm schon.", seufze ich und lege ihm eine Hand auf den Arm. „Kannst ja für mich Deutsch lernen.", zwinkere ich ihm zu. Er lächelt. „Ok." „Was?" „Ich sagte: Ok." „Du lernst jetzt aber nicht wirklich Deutsch für mich, oder?", frage ich belustigt. Er zuckt erneut mit den Schultern. „Du weißt, ich würde alles für dich tun." „Du bist verdammt kitschig, Romeo.", grinse ich und gebe ihm einen Kuss, bevor ich in die Küche gehe, um mir etwas zu trinken zu holen.

„Hey, Mira. Alles wieder gut?", fragt Jack und umarmt mich erleichtert. „Ja, denke schon.", seufze ich. „Themawechsel. Pizza.", sage ich dann. Ich klinge etwas müde und erschöpft. „Kommt gleich.", lächelt er. „Tust du mir einen Gefallen?", fragt Finn. „Hm?" Ich gehe zum Sofa. „Egal wie sehr deine Stimmung schwankt und so- bitte geh nicht wieder einfach.", seufzt er und setzt sich neben mich. „Ihr seid viel zu harmonisch.", grinst Jack und setzt sich zu uns. „Kann sein.", lächele ich und lehne mich an. Harmonisch und einfach... perfekt.

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