85: "Ich habe es ihr gesagt, Mira."

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Stumm sitzen wir alle da und essen. Ich hebe meine gebratenen Nudel gekonnt mit den Stäbchen hoch und schiebe sie in meinen Mund, während Jack kläglich daran scheitert. Ich beobachte ihn amüsiert. Finn isst von vornherein mit der Gabel, mit der er sich gerade ein Stückchen Ente einverleibt. Ich lege kauend den Kopf schief. Dann lege ich mein Essen zur Seite. „Jack, kannst du nicht essen? Soll ich dich füttern?", grinse ich und tue so, als wenn ich ihm sein Essen samt der Stäbchen wegnehmen will. Finn kann sich ein Grinsen nicht verkneifen, wofür er einen mahnenden Blick von Jack kassiert. Ich schmunzele. „Ich kann mit Stäbchen essen!", verteidigt mein bester Freund sich. „Sieht man.", bemerke ich trocken. „Nur... diese Stäbchen sind so komisch!", meckert er weiter. Ich verdrehe die Augen. „Du bist komisch, Grazer. Ich kann dir zeigen, wie man damit isst.", schlage ich vor. „Ist doch nicht schlimm, wenn man's nicht kann.", sage ich. „Aber ich kann es doch!", widerspricht er mir. Finn ist richtig amüsiert von dieser Szene, die sich hier gerade im Wohnzimmer abspielt. Provokant hebt er einen Mundwinkel und fragt dann mit vollem Mund: „Wie geht es deiner Freundin?" Jack ist nun völlig aufgebracht. „Im Ernst? Sie ist nicht meine Freundin!", wiederholt er seine schon so oft gesprochenen Worte. Dann gibt er mir resigniert die Stäbchen. „Na, dann kann ich eben nicht mit den Dingern essen. Ich hole mir ne Gabel.", seufzt er und steht auf. „Musste das sein?", frage ich Finn etwas genervt. „Tut mir leid, war zu verlockend." Ich seufze auf und nehme mir wieder mein Essen zur Hand.

„Tut mir leid, Grazer.", sagt Finn erneut, als der Angesprochene wieder aus der Küche zurück kommt. „Schon gut.", seufzt dieser nur ermattet und sticht seine Gabel in die Nudeln. „Alles in Ordnung?", frage ich fürsorglich. „Nein, danke der Nachfrage.", erwidert Jack nur. Ich schaue Finn böse an. Er zuckt nur entschuldigend mit den Schultern. „Ich bin auf Klo.", sagt er dann und steht auf. Dann verlässt er den Raum. „Jack?", beginne ich eine Unterhaltung. „Hm.", brummt er und starrt auf seine Nudelbox. „Jack, rede mit mir.", verdeutliche ich meine Intention und rutsche etwas näher zu ihm. „Bitte.", füge ich leise hinzu. „Mir geht's gut.", sagt Jack, im Gegensatz zu seiner vorherigen Aussage. „Nein, eben nicht. Und das kann ich nicht ab.", stelle ich klar. Das Ganze erinnert mich an eine Situation zwischen Finn und mir, als wir noch beste Freunde waren.

„Vertraust du mir nicht?", fragt Finn gespielt empört. Ich grinse. „Nicht bei sowas." Ich gehe ins Bad und nehme meine Zahnbürste. Währenddessen zieht Finn sich ebenfalls um. Er hat eine Schublade in meiner Schlafzimmerkommode bekommen, in der immer ein paar Sachen von ihm liegen. Er kommt in Jogginghose und weitem Shirt auch ins Bad und stellt sich neben mich, seine Zahnbürste in der Hand. Dann stehen wir stumm da und putzen Zähne. Bis Finn fragt: „Mira, es ist nicht alles okay. Ich bin dein bester Freund. Rede mit mir." Allerdings hört es sich, aufgrund von Zahnpastaschaum im Mund, eher an wie „Mira, esch ischt nischt allesch okay. Isch bin dein beschter Freund. Rede mid mir." Ich muss grinsen. „Wasch?" Finn spuckt seinen Mundinhalt ins Waschbecken. „Nix." Ich tue es ihm nach und wir spülen unsere Münder mit Wasser aus.

Ich muss schmunzeln. „Was?", fragt Jack etwas verletzt. „Nicht so wichtig. Also, was ist los?", frage ich und nehme ihm behutsam sein Essen aus der Hand. Ich stelle es auf den Couchtisch und lege einen Arm um meinen besten Freund. Dieser knackt nun mit seinen Fingerknöcheln. „Jack!", sage ich ermahnend. „Bitte!", wiederhole ich eindringlich. Ich höre, wie es im Bad poltert. Was zur Hölle..., fange ich an zu denken, schüttele den Gedanken jedoch gleich wieder ab. Jack ist gerade wichtiger. „Du kapierst das eh nicht." Er will aufstehen, doch ich halte ihn zurück. „Das weißt du nicht, wenn du es mir nicht erzählst.", sage ich bestimmt. Jack schnaubt auf. „Na schön." Die Tür vom Bad öffnet sich langsam. Ich umarme Jack schnell und werfe Finn einen warnenden Blick zu, der sich sogleich wieder ins Bad verzieht und leise die Tür schließt. „Schieß los.", sage ich. „Mein Leben ist beschissen!", ruft er auf einmal. Ich zucke zusammen. „Sorry.", sagt er leise. „Wieso ist es beschissen?", frage ich nach. Er schaut mich an. „Meine Eltern sind geschieden, ich ziehe mit meiner Mum bald nach Washington, ich bekomme keine Schauspieljobs mehr, und das Mädchen, in das ich mich verliebt habe, will nicht mehr als eine gute Freundschaft!", schreit er, ohne Luft zu holen. Ich atme tief ein.

Mein einziger Gedanke ist „Bitte Sadie, bitte Sadie!". Ich schlucke. „Also bist du doch in Sadie verliebt.", stelle ich fest. Er nickt. Ein riesen Stein fällt mir vom Herzen. Auf der anderen Seite tut er mir so leid. „Ich habe ja nie was dagegen gesagt.", sagt er dann wieder in normaler Lautstärke. „Stimmt.", erinnere ich mich.

„Jack, könnte ich dich mal eben sprechen?", ziehe ich Jack aus seiner, immer noch andauernden, Unterhaltung mit Sadie. „Was denn?", fragt er und grinst mich an. „Du und Sadie." Ich wackele mit den Augenbrauen. „Och, komm schon, Mira, wie alt bist du?", seufzt er und grinst dennoch immer noch. „Alt genug, um zu erkennen, dass da was läuft!", trällere ich und knuffe ihm gegen die Schulter. „Nein, da läuft nichts.", versucht er, sich heraus zu reden. Ich nicke ironisch. „Klar. Ihr sitzt zusammen rum, lacht, redet, ihr habt euch geküsst...", zähle ich auf. „Darf ich das nicht?", fragt Jack, nun etwas genervt. „Jackie. Ich habe da natürlich nichts gegen, Blödmann. Ich find's süß.", stelle ich klar. „Na schön.", sagt Jack skeptisch. „Darf ich wieder gehen?" „Geh schon.", nicke ich ihm zu. Also geht er zurück zu Sadie und führt seine Unterhaltung mit ihr fort.

„Also, du  und Jackie.", grinse ich breit. Sie verdreht die Augen. „Was ist mit uns?" „Was läuft da?", frage ich. Sadie lehnt sich zurück und atmet einmal tief ein. „Nichts.", antwortet sie knapp. „Nichts.", wiederhole ich. „Nichts!", bestätigt Sadie. „Als ob.", grinse ich. „Was war das an Silvester?", frage ich und ziehe erwartungsvoll meine Augenbrauen hoch. Sadie schüttelt den Kopf. „Ein Kuss?", überlegt sie angestrengt. „Wieso habt ihr euch geküsst?", hake ich nach. Manchmal habe ich meine Phasen, wo ich einfach stur geradehinaus alles frage, was mir in den Sinn kommt. Und so eine ist gerade. „Weiß ich nicht, hat sich so ergeben.", antwortet Sadie. „Magst du ihn? Ach, warte, was für eine Frage, ihr hängt die ganze Zeit miteinander rum, natürlich magst du ihn.", beantworte ich meine eigene Frage. Der Rotschopf kneift die Lippen zusammen. „Schon." „Süß." „Aber ich glaube nicht, dass daraus was wird.", fügt sie hinzu.

„Was?", fragt Finn verblüfft. Gerade habe ich ihm von Sadies und meinem Gespräch erzählt. Sadie und Jack sind vor etwa zehn Minuten, mit vollen Mägen natürlich, gegangen. Ich nicke. „Jack hat mir ungefähr das genaue Gegenteil erzählt.", seufzt er und lehnt sich zurück. „Im Ernst?", stöhne ich resigniert. „Mira, tust du mir einen Gefallen?", scheint er das Thema zu wechseln. Ich nicke. „Was denn?" „Keine Verkupplungsaktion für #jadie, okay?", bittet er mich. Ich seufze. „Okay, von mir aus."

„Ich habe es ihr gesagt, Mira.", sagt Jack in die Stille. Ich kneife die Lippen zusammen. „Und sie...", fange ich an, werde jedoch von Jack unterbrochen. „Sie hat gesagt, dass sie mich auch mag, aber eben nicht so. Und dann meinte sie, dass wir einfach gute Freunde wären und das wäre gut so... Aber dass wir erst mal den Kontakt abbrechen sollten, damit meine Gefühle nicht unsere Freundschaft gefährden.", sprudelt er geradezu aus ihm heraus. Ich umarme ihn einfach. „Das ist echt scheiße.", flüstere ich. Ich spüre, wie mein Pullover an der Schulter nass wird. Er weint. Heilige. Ich drücke ihn noch fester an mich. „Soll ich mit ihr reden?", frage ich. Er schüttelt den Kopf und löst sich dann aus der Umarmung. Seine Augen sind rot. Ich atme tief durch. Ich kann diesen Anblick nicht ertragen. „Nichts für ungut, Mira, aber... Lass gut sein. Du musst nicht immer die Beziehungen anderer retten.", sagt er leise. „Aber du bist mein bester Freund und ich hasse es, dich so zu sehen!", widerspreche ich und deute auf seine tränennassen Augen. Er nickt und zuckt mit den Schultern. „Lass es aber bitte.", sagt er. Ich nicke einfach. „Okay.", sage ich leise. „Versprochen?" „Jep, versprochen!", wiederhole ich. „Und jetzt hör bitte auf zu weinen.", bitte ich ihn. „Ich weine nicht.", schnieft er und wischt sich die restlichen Tränen aus dem Augenwinkel. „Darf ich jetzt wieder rauskommen?", kommt es dumpf aus dem Bad. Ich muss lachen, und auch Jack kann seine Mundwinkel nicht mehr unten halten. „Mann, Wolfhard, beweg deinen Arsch hierher!"

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