1. Kapitel

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- Jess' POV -

Genau vier Tage und dreizehn Stunden waren nun schon seit dem Unfall vergangen. Eine schier unendlich lange Zeit ohne meinen Vater, den ich so sehr vermisste. Die Ferien hatten nur zwei Tage nach Dads Tod begonnen und das hieß, dass ich mal wieder ein weiteres Schuljahr überstanden hatte. Nur leider konnte ich dieses Mal nicht die Sonne genießen, meine wenigen guten Freunde treffen und mich entspannen. Viel zu sehr schmerzte mein Herz, wenn ich auch nur einen kurzen Augenblick an meinen Vater dachte. Immer wieder krampfte sich alles in mir zusammen und ich brach in Tränen aus, ohne auch nur das Geringste dagegen machen zu können. Die Beerdigung hatte bereits gestern Nachmittag im engsten Kreis stattgefunden. Nur mein Onkel Alex und seine Familie, Laura und ihre Mom und selbstverständlich ich waren anwesend gewesen.

„Hey Jess, bist du bereit?", meldete sich Laura aus der Küche. Sie hatte die letzten Tage bei mir übernachtet und mich so gut es nur ging unterstützt. Immer wenn ich mal wieder in Tränen ausgebrochen war, war sie für mich da und hatte mich in ihre Arme geschlossen und mir beruhigende Worte zugeflüstert.

„Für was soll ich bereit sein?", gab ich nur müde zurück und streckte mich.

„Naja.. Wir müssen uns schon langsam einen Plan überlegen, wie wir deiner Mutter gegenübertreten wollen", rief sie immer noch aus der Küche zurück.

„Da gibt es nicht viel zu überlegen. Ella muss mich einfach bei sich aufnehmen, zu mindest für die Zeit, die ich noch brauche, um die Schule abzuschließen."

Danach wollte ich mich wieder aus dem Staub machen. War ich egoistisch? Vielleicht. Aber es war nicht so, dass ich sie nur benützen wollte, doch was blieb mir in meiner momentanen Situation anderes übrig als so zu reagieren? Ella, die Frau, die sich damals als ich gerade mal mein zartes Alter von fünf Jahren erreicht hatte, aus meinem Leben verabschiedet hatte. Die sich weder zu Feiertagen, noch zu meinen Geburtstagen meldete und sich meiner Meinung nach nicht verdient hatte von mir Mutter, Mom oder sonst wie genannt zu werden. Anfangs hatte ich mich gefragt wohin sie verschwunden war und Dad hatte nur immer und immer wieder aufs Neue beteuert, dass sie unterwegs sei und sicher bald zurückkommen würde – doch wie ich später selbst verstanden hatte, hat er das nur gesagt, damit ich leichter über sie hinwegkommen würde.

„Na gut, du hast recht. Wann können wir los?", erwiderte ich schließlich, als sie das Wohnzimmer betrat und neben mir Platz nahm.

Das Gute war, dass Laura schon ihren Führerschein gemacht hatte und ein eigenes Auto besaß. Anders als ich, aber bald würde sich das auch noch ändern. Mir war natürlich bewusst, dass man hier in Amerika ab einem Alter von 15 Jahren den Führerschein machen und mit 16 Jahren schon Autofahren durfte - doch bis jetzt hatte mich Dad immer am Weg zur Arbeit bei der Schule abgesetzt und heimgefahren war ich danach mit Laura. Nur leider würde sich das nun nicht mehr so abspielen können. Und das nie wieder.

„So bald wie möglich. Ich habe schon eine passende Route gecheckt, damit wir möglichst schnell bei deiner Mutter ankommen werden. Wie wäre es mit morgen? Dann fahre ich noch heute Nachhause, um ein paar Sachen für die Fahrt zusammenzupacken, damit wir dann morgen um 13:00 Uhr von dir wegfahren können. Was hältst du davon?", fragte Laura mich und lächelte ermutigend. Was würde ich nur ohne sie machen?

„Ja, geht in Ordnung", erwiderte ich, bedankte mich für alles und umarmte sie zum Abschied, bevor sie auch schon durch die Tür verschwand.

*****

Diese Nacht konnte ich leider erneut nicht ruhig und ohne Albträume hinter mich bringen. Immer wieder versuchte ich erneut einzuschlafen, doch nur einen kurzen Moment später, sah ich schon wieder dasselbe Bild vor mir. Mein Vater, der auf dem Nachhauseweg war und sich bereits freute endlich wieder seit Ewigkeiten einen meiner Geburtstage zusammen mit mir zu verbringen. Und dann das grelles Licht eines Autos, das ihm entgegenkam und anschließend seinen Wagen rammte. Und immer wieder wiederholte sich dieser Traum, ohne dass ich etwas dagegen machen konnte. Nur war es diese Nacht noch viel schlimmer, denn ich hatte nicht so wie sonst Laura bei mir, die mich in ihren Armen halten und trösten können würde, wenn ich erneut schweißgebadet und schweratmend meine vor Schreck verzerrten Augen aufriss.

New Stepbrother - or more?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt