Schon zu meinem normalen Alltag gehörte es, dass ich zum Krankenhaus ging wo Joachim auf der Intensivstation lag. Es tat mir weh ihn so hilflos da liegen zu sehen und nichts tun zu können.
Lange betrachtete ich das Eingangsschild, das vor dem Krankenhaus war während ich auf es zuschritt. So wie jeden Tag nahm ich den Duft von Desinfektionsmittel wahr, der meine Sinne durchflutete. Ich gab dennoch die Hoffnung nicht auf, ich glaubte an ihn. Langsam stieg ich in den Besucheraufzug und drückte die 3. Etage. Dummerweise ist der Besucheraufzug viel kleiner als die normalen. Früher konnte ich mit den anderen Aufzügen fahren als ich hier noch arbeitete.
Als ich an der Station ankam, machte ich mich auf den Weg durch die Tür und zu Joachim's Zimmer. So wie jeden Tag lag er friedlich da und schien zu schlafen. Ich schloss die Tür und ging langsam zu seinem Bett. Die verwelkten Blumen vom Vortag schmiss ich in den Mülleimer. Ich nahm mir den Stuhl und stellte ihn zu ihm ans Bett. Vorsichtig setzte ich mich hin und streifte mir meine Tasche ab und legte sie dabei zu Boden. „Joachim..." hauchte ich fast verzweifelt und sah ihn an. Man sagt ja, dass Menschen, die im Koma liegen vielleicht in ein anderes Stadium des Komas fallen können und dadurch Geräusche und Berührungen wahrnehmen können. Ich legte meine Hand auf seine und hielt sie fest in meiner. Jeden einzelnen Tag erzählte ich ihm was alles passiert war, auch wenn es uninteressant schien, schien für ihn alles interessant zu sein was mit mir in Verbindung stand.
Mein Blick blieb ruhig auf ihm liegen. „Ich war heute beim Frauenarzt. Ich bin ja jetzt in der 12. Woche und man hat heute die kleinen Finger gesehen" ich lächelte sanft als ich mich daran erinnerte. „Es ist ca. 6 cm groß und es ist einfach unglaublich" unbewusst hielt ich seine Hand fester. „Ich wünschte du wärst hier, wach" hauchte ich gegen seinen Handrücken und küsste diesen.
In diesem Moment ging die Tür auf und der Chefarzt sowie eine Krankenschwester der Station kamen herein. „So, wir schauen schnell nach ob-. Oh Hallo!" der Arzt bemerkte mich dann als er von seinen Blättern aufsah. „Hallo" sagte ich und stand auf. „Wenn Sie möchten können Sie hier bleiben, Sie sind ja seine Angehörige" sagte er und holte seinen Kugelschreiber aus seinem weißen Kittel hervor. Ich hatte ihn schon mal öfters hier gesehen und ich kannte ihn auch noch von früher, obwohl er sich sicherlich nicht mehr an mich erinnern konnte.
„Ähm Entschuldigung, aber was möchten Sie nachschauen". Ich mischte mich kurz ein, sie sollen mir natürlich sagen was sie machen wollen. „Ich sehe nach, ob die Pupillen sich bewegen" erklärte er Arzt und leuchtete mich mit der Spitze des Kullis ihn an. Ich nickte. Natürlich stand ich neben der Krankenschwester, die links von seinem Bett stand und der Arzt rechts. Ich wollte selbstverständlich sehen ob sich etwas tut. Der Arzt sprach ihn an und hielt ihm das Licht abwechselnd in die Augen, jedoch keine Reaktion. „Schade.." sagte er und steckte sein Kulli wieder ein. In mir kehrte wieder Trauer ein. Ich konnte und wollte nicht mehr warten, er musste endlich aufwachen. Es ist schon so viel Zeit vergangen und ich zerbrach jeden einzelnen Tag daran. Ich brauchte ihn.
Während der Chefarzt ein paar weitere Tests mit ihm machte, saß ich an dem kleinen Tisch und war in Gedanken versunken. Was mache ich, wenn er nie wieder aufwachen wird? Würde er dann sterben? Ein heißer Schauer überrannte meinen Körper. Ich hatte Angst, so sehr.
„Ich denke das wars" sagte dann der Arzt und warf seine Handschuhe in den Mülleimer. Ich sah auf und war wieder in der Realität. „Und?" ich stand hoffnungsvoll auf und sah die beiden an. Die Krankenschwester nahm den kleinen Kasten aus der Hand vom Chefarzt und schmiss die verbrauchten Materialien weg. „Er macht leider keine Fortschritte, wenn es sich nicht bald bessert, müssen wir.." er sah zu Joachim und man konnte es an seinem Blick schon erkennen was seine Antwort war. „Die Maschinen abstellen" er drehte seinen Kopf zu mir und sah mich tiefgründig an. Ich war fassungslos vor Schock. Angst machte sich immer mehr in mir breit. „Das können Sie nicht" hauchte ich mit tränenerstickter Stimme während mir eine Träne aus dem Auge fiel. Es kehrte Stille ein.
Nun saß ich einfach da und weinte mir die Augen aus. „Das dürfen sie nicht..", „Das können Sie nicht..", „Nicht er.." schluchzte ich während ich meinen Kopf tiefer ins Krankenbett drückte. Vorsichtig griff ich nach seiner Hand. „Bitte wach auf.." flete ich ihn schon an, jedoch bekam ich keine Antwort von Joachim. „Oh Gott" quiekte ich hoch und ließ von seiner Hand ab während ich dabei mein Gesicht in meinen Händen fallen ließ. Ich weinte bitterlich. „Wach auf bitte.. Bitte!" ich sah ihn an und wurde immer lauter. „Wach auf!" schrie ich ihn verheult an, jedoch bekam ich wie zu erwarten war, keine Reaktion. Ich war sauer und enttäuscht, ich hatte meine Gefühle nicht mehr unter Kontrolle, sie entglitten mir.
Erneut entwich mir ein tiefer, lauter Schluchzer und ich versank erneut mein Gesicht in den Händen. Ich versuchte mich so gut es ging zu beruhigen. Gerade in solchen schweren Momenten braucht man jemanden, der einem beisteht, jedoch hatte ich keinen. Ich war völlig auf mich alleine gestellt. Ich ließ meine Hände senken und sah ihn an mit verweinten Augen an. Dann kam ich ihm näher und legte meine Arme um ihn während ich meinen Kopf auf seine Schulter legte. „Ich liebe dich so sehr, Joachim. Bitte gib nicht auf und komm zurück, ich brauche dich" schluchzte ich und drückte mich dicht an ihn. Er lag nur regungslos da und bewegte sich nicht.
Ich richtete mich auf und sah ihn an. Langsam strich ich ihn mit meiner Hand über die Wange. „Ich will dir helfen, dir beistehen, dir den Rücken stärken, das will ich wirklich, aber ich kann das nicht alleine. Du musst mir helfen, du musst mit mir kämpfen. Alleine schaff ich das nicht, du musst von deiner Seite ebenso kämpfen. Ich weiß es ist schwer und hart, aber du kannst nicht gehen und aufgeben. Du hast mich, jemand der dich liebt, ein Kind, dass dich brauchen wird, und so vieles mehr, also gib das nicht alles auf, Joachim. Ich weiß, dass du das schaffen kannst. Ich glaube an dich" ich fixierte ihn förmlich.
Dann stand ich auf und hob meine Tasche auf während ich zur Tür lief. Bevor ich ging sah ich ihn nochmal an. „Ich habe nie aufgehört" flüsterte ich noch leise. Ein letztes Mal sah ich ihn an und ging durch die Tür in die kalte Realität.
Einem Menschen kann alles genommen werden, was eins wichtig war und so wichtig erschien. Dennoch, versucht man an das Gute zu glauben und an die Hoffnung. Viele Menschen sterben täglich und werden geboren.
Das Leben wird geschenkt, im Gegenzug fordert der Tod ein Opfer.
Der Kreislauf des Lebens.
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Her red lips | Band 2
RomanceNachdem die große Neuigkeit verarbeitet ist, bereiten sich Emily und Joachim auf ihre Zukunft vor und was sie alles mit sich bringt. Alles scheint perfekt zu sein, doch auch in jeder Beziehung gibt es ein Geheimnis, welches wie ein dunkler Schatten...