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Langsam liefen mir die Tränen über die Wangen bis hin zum einskalten Boden. Ich fühlte mich angegriffen und lächerlich gemacht. Vor allem war ich schockiert, dass Frau Wörle mich so vor der Klasse bloßstellen würde. Sie war ja eine meiner liebsten Lehrerinnen.

Mich überhäufte die komplette Situation und was heute alles schiefgegangen war. Heute war ein perfekter Tag, den man am Liebsten im Bett verbringen sollte.

Als ich die Haustüre aufschloss, roch es schon nach Essen. Doch ich blendete alles aus und wollte nur noch meine tiefe Phase durchleben. Joachim saß an seinem Schreibtisch und korrigierte wahrscheinlich Arbeiten oder bereitete den Unterrichtsstoff vor. „Emily, ich hab dir dein Essen zur Seite gestellt, damit du es aufwärmen kannst" erklärte er ohne den Blick zu heben und deutete auf die Küche. Ich beachtete ihn nicht und lief weiter, um ins Schlafzimmer zu kommen mit leisen Schluchzern, die ich versuchte so gut es ging zu überdecken. Doch Joachim hörte es natürlich und wurde hellhörig. „Emily?" er drehte sich um und sah mir hinterher bis ich vollkommen, innerhalb von Sekunden, verschwunden war. Sofort stand er auf und lief mir nach. Immer wieder entkamen tiefe Schluchzer meiner Kehle und immer mehr Tränen verließen mein Gesicht.

„Was ist passiert?" vollkommen überraschend sah er mich an. Ich sah ihn stattdessen mit glasigen Augen an, die bei ihm halt suchten. Als Antwort bekam er ein tiefes Weinen von mir. Ohne noch weitere Sekunden zu verlieren, kam er sofort zu mir und schloss mich fest in seine Arme. „Was ist passiert?" sanft strich er mir über den Rücken, während seine linke Hand auf meinem Kopf lag. Ich klammerte mich schon förmlich an ihn, um allem entfliehen zu können. Mir tat mein Inneres einfach nur weh. Ich wurde zwar so oft schon in meinem Leben enttäuscht, doch der Vorfall mit Frau Wörle und den anderen Ereignissen, die sich heute häuften, lösten in mir ein Verletzten aus, welches Joachim heilen musste. Auch wenn es für Andere zu übertrieben war, war ich immer noch ein sensibler Mensch, der auch noch dazu schwanger ist. "Erzähl mir was passiert ist" hauchte er verständnisvoll mir zu. Ich öffnete leicht meine Augen, nur um sie danach gleich wieder zu schließen und zu weinen. 

Ich erzählte Joachim alles was heute passiert war und ließ keine Einzelheit aus. "Ach Schatz, das hat sie glaube ich nicht so gemeint" er strich mir über den Kopf nachdem er mir zugehört hatte und spielte auf die Situation mit Frau Wörle an. "Sie hatte wahrscheinlich nur einen schlechten Tag" beruhigend redete er auf mich ein und es tat mir gut. "Und das was du mir erzählt hast in Sozialkunde, da muss ich dir Recht geben. Das geht überhaupt nicht. Sie hätte dich und deine Mitschüler nicht vor der Klasse fertigmachen müssen". Immer wieder strich mir Joachim über den Rücken. 

Mit der Zeit beruhigte ich mich wieder und lauschte seinem Herzschlag, der mich runter brachte. Dann löste er sich ein Stück von mir und sah mich an. "Heute war nicht dein Tag, aber morgen wir alles wieder anders aussehen" er gab mir einen Kuss auf die Lippen und ich nickte langsam. Ich hasste meine Hormonschübe und meine Sensibilität. Er umarmte mich wieder und strich mir erneut über den Rücken. Ich kniff die Augen zu und mehrere Tränen flossen sofort über meine Wangen. "Ich hasse meine Sensibilität" schluchzte ich als ich mich noch enger an ihn drückte. Wie sehr wünschte ich mir nicht mehr so sensibel sein zu müssen und alles einfach abschalten zu können. Diese Phasen und meine sensible Art machten mir mein Leben schwer, nicht nur dass ich ständig mir alles zu Herzen nahm, nein. Sondern auch, dass ich immer die Fehler bei mir suchte und lange über die kleinsten Dinge nachdachte. Seit Jahren hatte ich eine Mauer um mich aufgebaut, wo ich meine Gefühle einiger Maßen in den Griff bekam, doch seitdem ich die Schule gewechselt hatte und Joachim kennengelernt hatte, kamen all meine alten Angewohnheiten wieder. 

Joachim ließ von mir ab und legte seine Hände auf meine Schultern, um mir dabei ins Gesicht sehen zu können. "Sag sowas nicht. Ich liebe dich genauso wie du bist und da gehört deine Sensibilität auch dazu. Und soll ich dir was sagen?" er strich mir meine Haare hinters Ohr. "Ich liebe sie. Sie macht dich zu dem Menschen in den ich mich verliebt habe" er lächelte leicht und seine Worte taten mir gut. Mein Herz erfreute sich an diese liebevollen Worten von ihm, dennoch war ich ebenso stur wie nochmal was und wenn ich mir was in den Kopf gesetzt hatte, dann konnte mich niemand so leicht überreden. 

Da ich gerade meine tiefe Phase hatte, prallten Joachim's Worte dementsprechend auch gegen eine Wand. "Ich hasse sie" murmelte ich und sah wieder runter. Ich konnte Joachim's Gesichtsausdruck nicht sehen. Ich wusste nicht was ich gerade denken sollte.

"Hey" ertönte seine sanfte Stimme. Er hob mein Kinn an, sodass ich ihn ansehen musste. "Das solltest du aber nicht, Schatz. Sie macht dich aus. Ich habe auch viele Eigenschaften, die ich nicht besonders mag, aber sie sind ein Teil von mir. Zum Beispiel mag ich es nicht besonders, dass ich oft zu schnelle Entscheidungen treffe". "Aber das ist doch eine gute Eigenschaft" entgeistert sah ich ihn an. "Nicht für mich" lächelte er mich an. 

Ich dachte nach. 

"Worauf ich hinaus will ist, dass jeder Mensch verschieden ist und jeder anders denkt. Ich liebe zum Beispiel deine sensible Art, obwohl du sie vielleicht nicht so magst. Du bist perfekt, mein Schatz, so wie du bist. Und ich bin froh, dass du deine Gedanken und Emotionen mit mir teilst. Am Anfang unserer Beziehung konntest du das noch nicht und jetzt sieh dich an. Du bist innerhalb den zwei Jahren so eine starke Frau geworden, die ich zutiefst bewundere. Du hast dich so entwickelt, Schatz. Du wirst Mutter, wir werden eine Familie! Und das alles ist so zustande gekommen, durch Vertrauen und Liebe!" Joachim lächelte mich an und ich verstand was er meinte. Ich fing an zu lächeln. Jedes Mal schaffte er es mich aus meiner Phase zu bringen und mich zum Lächeln zu bringen und dafür liebe ich ihn so unfassbar sehr. 

Ich legte meine Arme um ihn und umarmte ihn innig. 

"Ich liebe dich so sehr, Joachim" hauchte ich. Ich konnte förmlich sein Lächeln spüren. "Und ich danke dir" fügte ich noch hinzu als ich mich von ihm löste und ihm tief in die Augen sah. Mein Herz begann schneller zu schlagen. Ich legte meine Lippen auf seine und küsste ihn liebevoll.

Her red lips | Band 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt