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Als ich aus dem Fenster sah, war es schon mitten am Tag. Die Bäume ragten in die Höhe während die Vögel vor sich hin zwitscherten. Es war ein sonniger Tag, doch ich verzog keine Miene. Meine Ungewissheit machte mich verrückt. Ich hatte Angst und gleichzeitig hoffte ich, dass nichts schlimmes sei. Ich wollte unser Kind nicht verlieren, ich durfte nicht. Schon seitdem ich aufgewacht war, war ich in mich gekehrt. Es war still und zugleich laut.

„Emily" ertönte Joachim's Stimme ruhig während er meine Hand in seine nahm. Ich nahm meinen Blick von der Außenwelt ab und sah meinen Gegenüber an. Er lächelte leicht, doch auch ihm fiel es schwer. Joachim stand mir die ganze Nacht bei und wich nicht von meiner Seite.
Ich konnte deutlich seinen Schmerz spüren und er meinen. „Bitte denk nicht so vi-" Joachim wollte mich beruhigen, doch ich hörte ihn nicht zu. Mich quälten meine Gedanken zu sehr. „Was wenn ich das Kind verlieren werde?" ich hob meinen Kopf. Joachim sah mich einfach nur an. Er war sprachlos. „Was wenn es schon nicht mehr lebt? Was wenn-". Ich redete einfach weiter ohne ihm zuzuhören was er sagte. „Emily, das wird nicht-". „Wirst du mich dann auch verlassen?". Wieder kehrte Totenstille ein während ich ihn verzweifelt ansah. Joachim's Augen waren glasklar während er mich fassungslos ansah. „Was redest du da?" er kam näher und legte seine zweite Hand auf meine. „Wirst du mich dann auch verlassen wenn.. ich..." mir blieb die Luft weg während meine Tränen mir in den Augen standen. Ich dachte seit Joachim's Unfall würde und nicht schlimmes mehr passieren, doch wir waren noch nicht am Ziel unserer Reise. „Nein..., natürlich nicht" hauchte Joachim während er mich in seine Arme nahm und mir die ersten Tränen herunterrollten. „Ich würde dich nie verlassen und auf keinen Fall in dieser Zeit. Hörst du? Nie" er strich mir immer wieder über den Kopf während ich ihn an mich drückte und mich ausweinte. Joachim war der stärkere Part in unserer Beziehung, er wusste immer eine Lösung für jedes Problem, auch wenn die Lage aussichtslos erschien. „Ich brauche dich, ich brauche dich so sehr" schluchzte ich und vergrub mein Gesicht in seine Halsbeuge. „Ich werde hier sein, mein Schatz. Niemand wird mich dir entziehen können". Seine Hand strich meinen Rücken immer wieder und versuchte mich zu beruhigen. Ich hatte noch nie solch eine starke Bindung zu einem Menschen gehabt, wie Joachim. Er ging mit mir durch die Hölle, Hand in Hand, bis das Licht am Ende des Tunnels immer heller wurde.

„Ich möchte, dass du mir zuhörst Emily" flüsterte er mir sanft ins Ohr als ich mich ein wenig beruhigt hatte. „Was auch immer passieren wird, ich werde bei dir bleiben, an deiner Seite. Wir haben schon so viel zusammen durchgestanden und das werden wir auch schaffen. Ich will dass du weißt, dass du eine starke Frau bist und dass du an nichts Schuld oder ähnliches hast, falls du das denkst. Ich möchte, dass du dich nicht aufs Schlechte fixierst und deine Hoffnung aufgibst. Mein Gefühl sagt mir, dass dem Kind nichts fehlt. Ich denke nicht, dass etwas mit dem Kind ist, mach dich bitte nicht verrückt.." er löste sich auf der Umarmung und nahm mein Gesicht in die Hände. „..Das würde nichts bringen" hauchte er und wischte meine letzten Tränen weg. Dann sah er mir wieder in die Augen. „Okay?". „Okay" hauchte auch ich und dachte nach. Joachim lächelte leicht und küsste mich liebevoll.

Als der Chefarzt mit einer Krankenschwester herein kam, stieg meine Angst wieder ein wenig. Er fragte nach meinem Befinden und was gestern noch alles passiert war bevor ich hier herkam. Detailliert berichtete ich ihm mein ganzes Geschehen während ich hoffte, dass ich keinen Fehler gemacht hatte, welcher dem Kind geschadet hat.
Der Arzt erklärte mir noch einmal ausführlich was sie gestern gemacht hatten und wofür es nötig war, weil ich die Hälfte selbst nicht mehr wahrgenommen hatte.

„Das Kind hat sich ein wenig runtergesetzt, was die Wehen, sag ich mal, ausgelöst hatte. Es waren viel mehr Krämpfe der Gebärmutter, was aber harmlos ist und nicht weiter schlimm ist. Es ist normal dass das Kind noch so tief sitzt, deswegen müssen Sie sich keine Sorgen machen" erklärte der Arzt. Währenddessen wechselte die Krankenschwester meine Infusion mit einer neuen aus. Mir fiel ein Stein vom Herzen. „Im ersten Moment schien es so, dass das Kind zur Welt kommt, aber glücklicher Weise ist es das nicht" er sah auf seine Papiere und ich sank erleichtert ins Bett zurück. Joachim's Griff um meine Hand wurde fester. Ich sah ihn an und er lächelte mich leicht an.
„Doch". Mein und Joachim's Kopf drehte sich sofort zum Chefarzt. „Die Plazenta ist nicht wie normalerweise dort wo sie sein sollte, sie ist ein wenig in die Mitte gerutscht" er ließ seine Blätter los und sah uns an. „U-und was bedeutet das?" fragend sah ich ihn an. „Sie sind in einem guten Alter Kinder zu bekommen, deswegen gehe ich nicht vom Schlimmsten aus. Die Plazenta wandert normal nach oben im Laufe der Schwangerschaft, doch bei Ihnen ist sie minimal ein Stück nach unten gerutscht. Das ist vielleicht auch ein Grund was gestern die Verkrampfungen ausgelöst hatte, doch das kann ich nicht zu 100% sagen". Nun wurde mein Griff um Joachim's Hand stärker. „Woran kann das liegen?" ich ließ meinen Blick nicht vom Arzt ab, ich wollte Gewissheit. „Das wissen wir leider nicht. So etwas kann auftreten, muss aber nicht. Ich würde jetzt trotzdem keinen Teufel an die Wand malen. Die Plazenta wächst noch und deswegen denke ich nicht, dass sich komplett schon entwickelt hat". „Wie geht es dem Kind? Sie haben doch Kortison verabreicht, wird es früher als geplant zur Welt kommen?" Joachim's Stimme ertönte. Ich sah ihn von der Seite an. Er machte sich große Sorgen, das sah man deutlich.
Der Arzt schüttelte den Kopf. „Nein, soweit sieht alles normal aus. Das Kortison war eine Vorsichtsmaßnahme falls es doch zur Welt kommen sollte, doch die Wahrscheinlichkeit dass es dann überlebt wäre sehr gering. Glücklicher Weise ist auch kein Fruchtwasser ausgetreten. Das Kind liegt wie ein normales Kind im Mutterleib und wächst" der Arzt lächelte. Ich atmete tief durch.

„Ich möchte trotzdem, dass Sie für die nächsten Tage strikte Bettruhe halten und kein Sport betätigen" wieder blätterte der Arzt in seinen Dokumenten rum während er sprach. „Als wir bei Ihnen damals einen Bluttest gemacht hatten, hatten Sie einige Mängel" er las sich irgendein Dokument durch. Ich dachte nach, doch dann fiel mir ein was er meinte. Damals als ich hier vor zwei Jahren eingeliefert wurde, hatte man ein Blutbild von mir gemacht und ich hatte einige Mängel, das war ebenso einer der Gründe wieso es mir schlecht ging. „Wir werden erneut einen Bluttest durchführen um zu schauen ob sie noch Mängel haben, falls ja, dann schicke ich eine Schwester. Sie wird Ihnen alle Präparate zeigen und erklären wie sie einzunehmen sind". Ich drehte meinen Kopf in Joachim's Richtung und sah ihn an. Er strich mir fürsorglich über den Handrücken. Sein Blick traf meinen und wir sahen uns tief in die Augen. Ich wusste, dass diese Schwangerschaft, meine aller erste Schwangerschaft, eine Herausforderung werden würde, doch dass sie so verläuft hätte ich nie gedacht.

Als der Arzt dann mit der Krankenschwester ging richtete ich mich auf. „Joachim.." fing ich leise an, doch er unterbrach mich sofort. „Wir schaffen das, denk nicht mal daran ans Aufgeben und die Zweifel über dich einbrechen zu lassen. Du und ich werden diese Schwangerschaft meistern, auch wenn ich Tag und Nacht nicht schlafen werde, dann nur damit es euch gut geht". Völlig überwältigt sah ich ihn an. „Du hast recht, ich habe Zweifel und zwar sehr große, doch ich möchte nicht aufgeben. Ich will mit dir eine Familie gründen, mit dir eine Zukunft zu dritt haben, das ist alles was ich mir wünsche" ich legte meine Hand auf seine Wange. Auf seinem Gesicht bildete sich ein großes Lächeln. „Du kannst meine Gedanken lesen, Emily" grinste er und steckte mich damit an bevor er mich intensiv küsste.

Als er sich löste kam er meiner Bauch näher. „Und du machst deiner Mama nicht so verrückt, ja? Sie ist so schon ganz zerzaust" lachte Joachim kurz auf. „Hey!". Ich sah ihn empört an. Joachim hingegen lachte und kam wieder meinem Gesicht näher. „Hauptsache euch gehts gut" hauchte er gegen meine Lippen bevor er mich wieder küsste.

Her red lips | Band 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt