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Nie im Leben hätte ich daran gedacht, dass er mich schlagen würde. Außerdem hätte ich selbst nie gedacht, dass ich das denken würde. Deswegen war ich auch so schockiert.
Ich hatte vor meinem inneren Auge meinen Vater, wie er damals auf meine Zimmertür einschlug während meine Mutter versuchte mich zu beruhigen. Ich lag im Bett und wusste nicht wirklich was überhaupt abging. In den darauffolgenden Tagen hatte ich ein Loch gesehen, welches er verursacht hatte und irgendetwas in mir sagte mir, dass er diese Nacht mit einem Hammer auf meine Tür eingeschlagen hatte. Es war verdammt unfassbar was ein Kind durch die Umständnisse in der Kindheit alles mit sich tragen musste. Ich wollte Joachim nicht mit meinem Vater vergleichen, auf gar keinen Fall, doch in diesem Augenblick erschien er und wieder fühlte ich mich so unsicher. Immer wieder entkamen tiefe Schluchzer meiner Kehle und die Tränen häuften sich. Seine Worte taten mir genauso weh, ich wusste nicht mehr was ich überhaupt noch denken sollte. Wo sollte das alles enden, wenn er mir nicht mal so etwas wichtiges erzählte. Ich fühlte mich nur noch verloren.

Ich nahm ein leises Klopfen an der Tür wahr.

„Emily, darf ich rein kommen?". Es war Joachim, seine Stimme war so sanft wie ich sie von ihm kannte. Ich antwortete ihm jedoch nicht und weinte weiter. Er seufzte leise auf. „Hör zu, es tut mir leid. Bitte, darf ich reinkommen? Ich muss mit dir reden" den letzten Satz hauchte er noch leiser. Mein Herz zog sich zusammen.

Dennoch konnte ich ihm nicht antworten, meine Kehle war wie zugeschnürt worden von meinen Gefühlen und meinen Tränen. „Ich komme rein, okay?". Wieder nahm ich seine Stimme wahr, doch auch diesmal antwortete ich ihm nicht. Langsam ging die Tür auf. Er betrachtete das Häufchen Elend welches mich darstellte.
Ich hob meinen Kopf nicht, ich konnte nicht und ich wollte auch nicht.

„Schatz, hör mir zu. Es tut mir leid" fing er an. Er saß in der Hocke und sah mich an, das spürte ich. „Ich wollte dich nicht verletzten" sagte er mit einem verzweifelten Unterton. Es kehrte Stille ein.

„Hast du wirklich gedacht... ich würde dich schlagen?" Joachim's Stimme zitterte leicht, er versuchte es zu überspielen. Er wollte stark wirken. Er wusste, dass ich jetzt jemand brauchte, der stark für mich war. Ich weinte jedoch als Antwort.
Er fuhr sich mit seinen Händen über das Gesicht. Er fühlte sich schuldig.
„Schatz, ich würde dich nie schlagen. Das könnte ich nicht, ich liebe dich viel zu sehr. Ich würde dir nie weh tun, deswegen verletzt es mich umso mehr, dass du das denkst" Joachim sprach seine Gedanken aus, doch ich wurde sofort wieder wütend. „Du bist verletzt?! Ist das dein Ernst?!" wutentbrannt sah ich ihn an. Sein Gesichtsausdruck war verletzlich.
Er war verletzt, weil ich Angst hatte und ich meinen Vater vor Augen hatte, der mich für ein ganzes Leben gezeichnet hatte? Er hatte mir alles mögliche an den Kopf geworfen, wo ich eigentlich an erster Stelle an sein Wohl und an sein Leben gedacht hatte. Ich war wieder verdammt sauer. Ich stand sofort auf und wollte aus dem Bad, doch er hielt die Tür zu. „Ja ich bin verletzt und ich weiß, dass ich dich auch verletzt habe und das tut mir leid" er sah mich an. „Lass mich raus". „Nein, wir müssen das jetzt klären". Wieder flossen Tränen über meine Wangen herunter. Ich hasste es wenn Menschen mich bedrängten und das machte Joachim gerade. Mich überkamen erneut alle Gefühle und ich sank auf die Knie. Ich fühlte mich wie einem Käfig gefangen, ich bekam keine Luft.

„Ich weiß dir passt das jetzt nicht, doch wir müssen das jetzt klären". Meine Atmung verschnellerte sich. „Lass mich raus" flehte ich schon. Ich tat Joachim leid, ich litt und das sah er. Er wusste jedoch nicht, was genau in mir vorging und das wollte er hiermit erfahren. „Emily, bitte rede mit mir. Wir müssen miteinander reden". Er kniete sich wieder zu mir. Ich weinte weiter und konnte nicht aufhören. Er setzte sich ebenso zu mir auf den Boden und legte seine Arme um mich. Ich zuckte zusammen und sah auf seine Oberarme. Wieder versetzte ich ihm mit meiner Reaktion, einen Stich mitten ins Herz. „Emily, ich tu dir nichts. Bitte.." das letzte Wort flüsterte er und flehte schon fast. Joachim kannte mich so nicht. Er muss mich so sehr verletzt haben, dass ich so reagierte dachte er. Er zog mich sanft zu sich an dir Brust. Seinen Kopf ließ er auf meinen senken. So saßen wir eine ganze Weile. Solch schwierige Situation musste man zusammen überwinden, es gab keinen Weg drumrum und das wussten wir auch.

Her red lips | Band 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt