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Nachdem die Pause vorbei war, kam Frau Wörle herein. Wir behandelten das metabolische Syndrom nochmal kurz und was es mit sich brachte. Da wir gerade das Pankreas hatten, sowie Diabetes mellitus Typ 1 und 2, war wie zu erwarten Adipositas unser nächstes Ziel, naja beziehungsweise wiederholten wir dies alles nochmal genauestens, bevor wir mit einem neuen Modell anfangen würden. Frau Wörle ging mit uns einen Text durch und wir besprachen ihn. Das Fallbeispiel handelte von einer übergewichtigen Frau, die einen BMI von 32 hatte und somit als adipös galt. Sie kochte jeden Abend deftig und fettig, häufig gab es auch bayrische Küche mit viel Fleisch und mit viel Soße. Abends sahen sie und ihr Mann gerne Fern und aßen derweil Gummibärchen, da von Chips nur Krümel kommen würden. Einmal in der Woche traf sie sich mit ihrer Schwester in einem Café und dazu gab es jedes Mal ein großes Stück Torte. Von Sport hielt sie nicht so viel, dennoch ging sie mit ihren Kolleginnen ab und zu mal im Wald spazieren, was sie natürlich durstig machte. Sie hatte immer eine große Eisteeflasche dabei, um den Durst runter zu spülen. Sie fuhr jeden Tag mit dem Auto zur Arbeit, da sie es sonst nicht zu Fuß schaffen würde, so nach ihr. Sie parkt ebenso nahe beim Eingang, um nicht so weit laufen zu müssen. Doch ihr fällt beim Treppensteigen immer wieder auf, dass sie schnell aus der Puste kommt und somit ihre Gelenke schmerzten. Deshalb ging sie zum Arzt und dieser diagnostizierte sie mit Adipositas. 

„Hast du gewusst, dass ich Präadipös bin?" Sandra sah in meine Richtung und geschockt sah ich zu ihr. „Was? Echt?! Du bist doch nicht so-" doch bevor ich ausreden konnte, rief Frau Wörle meinen Namen. „Wegen Ihnen verstehe ich nicht die Frage Ihrer Mitschülerin!" patzte sie schon förmlich. Erst jetzt bemerkte ich, dass sich eine Mitschülerin gemeldet hatte. Ich sah Frau Wörle an und wartete bis sie weiter machte. Eine Mitschülerin stellte ihre Frage erneut. „Wenn man eine Ernährungstherapie angeben müsste, würde es dann gehen, dass sie mehr Sport treiben müsste, um so ihren Appetit zu zügeln?". Frau Wörle schüttelte ihren Kopf. „Nein, dies würde unter Therapiemaßnahmen fallen" erklärte sie. „Also, dann dass sie sich mehr bewegen sollte und auf die Ernährung achten sollte?". „Genau, bei Therapiemaßnahmen ist beides gemeint, nicht so wie bei der Ernährungs- und Bewegungstherapie" sie sah sie an. Nun war jedoch in meinem Kopf ein dickes Fragezeichen. Irgendwie war ich bei einem Punkt stehen geblieben und dachte nach. Sofort meldete ich mich aber, da ich dies natürlich, wie ein guter Schüler, es klären wollte.

„Aber müsste sie dann nicht weiter wegparken, um ihre Ernährung und ihr Übergewicht in den Griff zu gekommen?" ich sah Frau Wörle an. Doch diese atmete nur genervt aus und sah in die andere Hälfte der Klasse. „Kann es jemand noch einmal extra für Emily wiederholen?". Sofort fühlte ich mich bloß gestellt, wieder. „Nein, nein, das hab ich verstanden" sagte ich nun, aber in dem gleichen Ton wie sie. „Ja also" sie legte eine Pause ein und sah mich an. Ich antwortete ihr aber nicht, stattdessen sah ich sie nur erwartungsvoll an. „Dann erklären Sie es noch einmal" sagte sie wieder mit einem Tonfall der mich traf. „Bei der Ernährungstherapie wird die Ernährung umgestellt und bei den Therapiemaßnahmen wird auf beides geachtet" erklärte ich ihr nochmal. „Ja also" sagte sie wieder. In meinem Kopf war nach wie vor Fragezeichen, doch anstatt weiter zu machen, sagte ich nur ein knappes „okay". Ich sah sofort auf den Tisch und somit auf mein Blatt. Ich tat so als würde ich mir das Blatt nochmal anschauen, doch ich kämpfte mit den Tränen. Noch nie hatte sie mich so angefahren vor der ganzen Klasse und mich so fertig gemacht. Es mag sich jetzt zwar übertrieben anhören, doch mich als sensibler Mensch, der versuchte hart und taff rüber zu kommen, traf es sehr. Vor allem mochte ich sie sehr. Ich wusste nicht was mit ihr heute los war, vor allem ist zwischen mir und ihr nie etwas vorgefallen. „Jetzt haben Sie's ja nochmal gehört" lachte sie kurz auf, um die Situation nochmal aufzuheitern. Das machte sie immer, wenn sie einmal ein wenig streng oder zu schroff rüber kam, doch an mir prallte es ab. Ich war echt geschockt und traurig. Ebenso fühlte ich mich ein wenig so, als hätte eine Freundin von mir mich beleidigt. Es klingt für viele übertrieben, ich weiß, dennoch, das was heute alles passiert war, nagte an mir.

Ich war verletzt.

„Doch das stimmt, mein Arzt hat's mir bestätigt vor kurzem" Sandra's Stimme war leiser als vorher und began das Thema von vorher wieder aufzurappeln. „Oha, Sandra" sagte ich ebenso leise und sah sie an. Ich hatte keine Lust nochmal von Frau Wörle angemacht zu werden, doch sie sagte immer wieder, dass sie ein sehr gutes Gehör habe und sie somit alles hörte. Auch diesmal hatte sie damit Recht und rief wieder meinen Namen auf. „Würden Sie endlich ruhig sein?" sagte sie mit einem scharfen Ton. Toll, immer wieder bin ich an allem Schuld, wie immer..

Ab diesem Zeitpunkt sagte ich kein einziges Wort mehr und sah sie auch nicht mehr an.

Den ganzen Unterricht über von ihr, meldete ich mich nicht. Obwohl ich jede einzelne Frage beantworten konnte, ich sah nicht mal auf. Immer wieder kämpfte ich mit den Tränen, heute war echt nicht mein Tag. Ich malte ein Muster auf meinen Tisch mit einen Bleistift, dass immer größer wurde.

Als es zur zweiten Pause klingelte, verabschiedete sich Frau Wörle und ging aus der Tür. Ich hob meinen Blick und sah ihr nach, ohne die Mimik zu verziehen.

„Alter, die hat dich heute richtig vor der Klasse gerostet" sagte Sandra und nun sah ich das erste Mal auf. „Keine Ahnung was sie heute wieder hatte" meldete sich nun Olivia und sah weg. „Ich bin wirklich angepisst, und zwar wirklich" murrte ich. Meine Stimmung war unten. „Das Ding ist, da waren noch viele andere die geredet hatten und natürlich bin ich es wieder gewesen, weißt" ich sah nach vorne. „Schon" sagte Sandra wieder und sah auf die Uhr. Ich dachte über die vorherige Situation nach und steigerte mich so sehr rein, dass ich ,während ich meine Brezel aß, so heftig in meine Wange biss, dass ich sofort einen schmerzerfüllten Laut von mir gab. „Was ist jetzt?" Olivia sah mich geschockt an. „Ich hab mir auf die Wange gebissen" stöhnte ich schmerzerfüllt auf. „Oh Em" lächelte sie und schüttelte den Kopf.

„Übrigens habe ich jede einzelne Antwort auf ihre Fragen gewusst, nur bevor ich wieder etwas dummes fragen konnte, hielt ich lieber meinen Mund" fügte ich noch hinzu und wedelte mit meinem Kugelschreiber herum. „Ich weiß wirklich nicht was heute mit ihr los war" Olivia sah mich bemitleidend an, da ich in Sozialkunde schon fertig gemacht wurde. „Hast du eigentlich die Hausaufgaben in Spektrum für Gesundheit gemacht?" Sandra sah zu mir. „Oh scheiße!". Ich ließ schnell meinen Kulli senken, um meinen Ordner zu holen, doch dieser flog quer durch den Raum. Ich ließ mich sofort auf meinen Stuhl fallen.
„Ich hab echt kein Bock mehr, heute läuft alles schief".

Her red lips | Band 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt