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Völlig müde saß ich am Esstisch und gähnte. Olivia war voller Energie und schlang ihr Essen förmlich herunter. Sandra hatte sich inzwischen auch wieder beruhigt und war wach. Auch sie aß alles mögliche was sie am Buffet fand. Ich hatte hingegen nicht allzu großen Hunger. Mein Blick schweifte quer durch den Raum und blieb dann am Lehrertisch hängen. Joachim aß wie jeden Morgen sein Marmeladenbrötchen mit einem Kaffee und einem Schälchen Obst neben dran. Ich mochte schon seid ich klein war keine Marmelade. Meine Cousine jedoch konnte nicht genug davon bekommen. Auch als meine Oma damals angefangen hatte Marmelade selber zu machen, lehnte ich sie ab. Sie war mir viel zu süß, Nutella hingegen ging klar. Ich habe selber keine Ahnung wieso, aber bei Essen war ich schon als Kind sehr wählerisch. Möglicherweise fing es in der zweiten Klasse an, wo sie mich dazu zwangen das Schälchen Apfelmus zu essen. Alle Kinder aßen ihr Schälchen, doch die kleine Emily nicht. Ich erinnerte ich noch genau, diese Konsistenz von pürierten Früchten ließ mich heute noch würgen.

Jedes Mal beobachtete ich Joachim beim Frühstuck und wunderte mich, dass er diese Produkte jeden Tag essen konnte, WIRKLICH JEDEN TAG.
Als ich damals im Altenheim ein Praktikum machte, merkte ich auch schnell dass alle Bewohner Marmelade mit Butter und einem Brötchen oder Brot aßen. In meiner Familie aß niemand das, wenn dann vielleicht sehr selten. Deswegen war ich auch erstaunt wie die Menschen aufgewachsen sind.

Meine Mutter erzählte mir jedes Mal, wenn das Thema zu Stande kam, dass wir heute so viel mehr geboten bekommen. Von Süßigkeiten bis Technik und dass sie früher mit meinem Onkel Zucker in der Pfanne erhitzt hatten um etwas in der Art wie Bonbons zu bekommen. Einmal im Jahr bekamen sie dann auch einen Schokonikolaus, auf welchen sie sich so sehr gefreut hatten und das das Highlight des Jahres wurde.
Und dann war noch die Geschichte, die jedes Mal beim Familienessen mit den Verwandten aufkam; Der Schulweg.

"Damals in Russland war so viel Schnee im Winter, dass wir die Tür kaum aufbekamen" oder "Wir mussten jeden Morgen eine Stunde hin zur Schule laufen und wieder zurück nach Hause". Meine Cousine und ich konnten die Geschichte schon lange auswendig und erzählten sie jedes Mal zu Ende während meine Tante lachend am Tisch saß.

Joachim saß am Tisch und fing an zu lachen und redete mit seinem Gegenüber. Es war Herr Jacobs, er war der zweite Sportlehrer der Schule und jedes Mal wunderte es mich, dass diese Schule nur zwei männliche Sportlehrer hatte und trotzdem gut damit klar kamen.
Ich kannte ihm vom Sehen und erinnerte mich jedes Mal daran als ich mit Sandra in eine seiner Stunden reingeplatzt sind, weil er Mathe-Förderunterricht für die Elften unterrichtete. Wir wechselten an diesem Tag den Kurs, weil unsere Lehrerin nur Fünftklässler Müll durchgenommen hatte. An diesem Tag machte Herr Jacobs eine Pose mit dem langen Zeigestab, welcher immer wieder mir ein Lächeln aufs Gesicht zauberte. Er hatte den Zeigestab in die Lasche reingesteckt, wo normalerweise der Gürtel durchkommt und tat so als wäre es das normalste der Welt während er weiterredete. Im Vergleich zu Joachim's Unterricht war er strikter und schon fast wie vom Militär. Es musste alles zack zack gehen und ja keine Verplemperungen. Doch er war locker drauf und hatte Humor. Außerdem trug er immer eine dünne dunkle Weste, Mathelehrer-Style.

Dann auf einmal sah Joachim in meine Richtung und ich sah sofort wieder zu Sandra und Olivia.
"Du Sandra, isst deine Familie eigentlich auch morgens immer Marmeladenbrote?". Verwirrt hielt sie in ihrer Bewegung inne und sah mich stirnrunzelnd an. "Wat?" bekam sie nur noch mit vollem Mund raus und ich fing an zu lachen. Ich wusste natürlich, dass Joachim mich beobachtete, auch wenn es unauffällig war. Während Sandra meine Frage hinterfragte, dachte ich nach.
Ich fing wirklich an Joachim mit anderen Lehrern zu vergleichen.

Seufzend lehnte ich mich nach hinten.

"Was denn? Ich dachte du wolltest eine Antwort" sagte Sandra und sah mich noch verwirrter an, weil sie dachte mein Seufzer war auf sie bezogen.
Wieder lachte ich auf.

Her red lips | Band 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt