42.

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PoV. Manuel

Still beobachte ich wie Maurice die Treppen hinunter ging und schon bald verschwunden war. Ich wusste, dass er es gut meinte, aber mich mit Patrick alleine zu lassen, nachdem ich nun geoutet war, hätte er sich auch sparen können. Die ganze Zeit hatte ich so ein komisches Gefühl in mir, was auf der anderen Seite aber ziemlich befreiend war. Mein Geheimnis war raus, zwar noch nicht bei der ganzen Welt, aber bei Patrick und den anderen, was schonmal ein guter Anfang war. Trotzdem hätte das mein Moment werden sollen und er wurde mir ein zweites Mal genommen.

Kurz schloss ich die Augen und erinnerte mich an das Outing bei meiner Familie. Mein ältester Bruder stürmte plötzlich in mein Zimmer, da ich vergessen hatte die Tür abzuschließen, was ich sonst immer tat, wenn ich in meinem Tagebuch schrieb. Er nahm es mir schnell ab und las geschockt die letzten Sätze, die ich geschrieben hatte. Sofort rannte er ins Wohnzimmer und las allen vor, was ich über mich und mein größtes Geheimnis dort hinein geschrieben hatte. Das wäre wahrscheinlich einer der schlimmsten Momente meines Lebens geworden, wenn meine Mutter nicht da gewesen wäre und mich sofort in den Arm genommen hätte. Trotzdem behandelten meine Brüder mich seitdem anders und das fiel niemanden auf, weil man es nur bemerkte, wenn man genau hinsah. Gerade dachte ich an die vielen Momente, in denen sie dumme Bemerkungen machten und wirklich dachten, dass das lustig wäre, als Patrick mich aus meinen Gedanken holte. "Eigentlich ergibt jetzt alles einen Sinn." Verwirrt runzelte ich meine Stirn. "Was meinst du?"

"Naja...an dem Tag, an dem wir zusammen Micha und Maurice für das Projekt abgeholt hatten, sprachen wir über Mädchen und du meintest sie seien nicht so dein Fall. Das habe ich bis jetzt nie verstanden, aber ich hätte es wahrscheinlich merken sollen.", erklärte Pat, was er meinte und ließ mich dabei wieder an diesen Tag zurückdenken. Ich hatte damals schon Angst, dass er es verstanden haben könnte. "Warum hast du nie danach gefragt?", hakte ich also nach. "Ich weiß nicht. Vielleicht konnte ich es mir doch irgendwie denken, aber wollte dich nicht drängen." Sofort zuckten meine Mundwinkel nach oben und mein Körper fing an zu kribbeln. Gleich als das geschehen war, hätte ich mich aber selbst wieder dafür verfluchen können. Patrick wusste jetzt zwar, dass ich auf Jungs stand, aber er sollte niemals erfahren, dass ich ihn besonders mochte. 
"Sind deine Brüder deshalb so zu dir?", fragte Patrick plötzlich besorgt und schaute dabei zu mir. Verlegen senkte ich meinen Blick zu Boden und war gleichzeitig erstaunt darüber, dass er auch dieses Gespräch nicht vergessen hatte. "Ich denke schon, aber ich weiß es nicht genau. Wahrscheinlich will ich es aber eher nicht wahrhaben, obwohl ich akzeptieren sollte, dass ich anders bin.", versuchte ich wiederzugeben, was ich darüber dachte.

Patrick seufzte nur laut und kam mir dabei näher. "Ich finde, du bist nicht anders. Du bist besonders, Manu und es sollte dir irgendwann egal sein, was andere darüber denken. Du bist du selbst und so viele Menschen schaffen das nicht einmal. Micha ist auch nur so anstrengend, weil er nicht er selbst ist und das wahrscheinlich auch noch nie war." Gefasst starrte ich Patrick nur mit offenen Mund an und wusste nicht, was ich sagen sollte. Dazu war ich irgendwie auch nicht fähig mich von seinem Blick zu lösen, bis Pat mir das abnahm und nach ein paar weiteren Sekunden rasant den Blickkontakt zu mir löste und zu Boden sah. "Das heißt, du findest es nicht schlimm?", erkundigte ich mich dann doch, nachdem ich mich wieder gefangen hatte. "Natürlich finde ich es nicht schlimm! Weißt du noch, als ich dir von meinem Cousin erzählt habe? Meine Eltern haben mir den Kontakt zu ihm verboten, weil er sich als bisexuell geoutet hatte und ich hasse sie so sehr dafür." Das war also der Grund gewesen, den er mir nicht verraten wollte. Ich dachte eigentlich nicht, dass Patricks Eltern solche schrecklichen Menschen waren, aber man konnte sich immer in Menschen täuschen. 

"Ich wünschte trotzdem, dass Micha dir das nicht weggenommen hätte. Woher weiß er es eigentlich?", wechselte Patrick schnell das Thema, damit er nicht mehr darüber sprechen musste. Er vermisste die Zeit mit seinem Cousin wohl schrecklich. "Er hat es nur erraten und ich konnte es dann nicht mehr leugnen." Sofort nickte Pat verstehend. Dieses Wochenende war wohl der Anfang von allem, aber trotzdem würde ich es niemals rückgängig machen wollen. Ich hatte einfach die unglaubliche Chance einmal den echten Michael kennenzulernen, der schneller wieder weg war, als er gekommen ist. Ich hoffte inständig, dass Maurice das wieder hinbekommen würde, weil ich auch echt Angst hatte, dass Micha den anderen auch noch erzählen würde, dass ich in Patrick verliebt war. Kurz überlegte ich Pat davon zu erzählen, wie ich über die Beziehung von Micha und Maurice dachte, aber ich ließ es bleiben, weil ich nicht der Mensch war, der irgendwelche, vielleicht auch falsche, Gerüchte in die Welt setzte.
"Micha muss einfach dieses Mal etwas merken. Er hätte dich niemals outen dürfen.", kam es nachdenklich von Patrick. Ich wusste schon, dass Michael dieses Mal nicht damit zufrieden war, was er getan hatte und vielleicht würde er sich schon bald bei mir entschuldigen und eigentlich wäre das dann für mich beendet, wenn er nicht noch mehr verraten würde. "Das wird er, darum wird sich Maurice schon kümmern.", entgegnete ich ihm und wir beide mussten kurz lachen. 

"Wir sollten los, sonst verpassen wir noch den ganzen Unterricht.", erinnerte Patrick mich daran, dass wir gerade eigentlich im Unterricht sein sollten, aber am liebsten würde ich mir Geschichte jetzt sparen können. Trotz meiner fehlenden Motivation nickte ich und wir begaben uns auf den Weg zu unserer Klasse. Ruckartig hielt ich Pat aber noch schnell am Arm fest, bevor wir gerade die Treppe hinuntergehen wollten. Ich hatte etwas Wichtiges vergessen. "Danke, Patrick!" Pat schüttelte den Kopf und lächelte dabei leicht. "Du musst dich für gar nichts bedanken, Manu."

Zufrieden setzten wir unseren Weg vor und dann war auch schon das nächste Problem in Sicht. "Patrick? Was hast du denn da oben mit dem Freak gemacht?", ertönte die hohe Stimme von Alessa, die ich am liebsten vergessen würde. "Warum bist du nicht im Unterricht?", erwiderte Patrick ihr komplett überrascht und man hörte heraus, dass es ihm peinlich war, dass sie uns zusammen erwischt hatte, was mir einen Stich ins Herz verpasste. "Ich habe dich gesucht, du Idiot! Erkläre mir jetzt, was hier los ist!"
Gespannt wartete ich auf Patricks Antwort, während er einmal zu mir sah und dann wieder zu ihr. Dramatisch atmete er noch einmal tief ein und aus.



"Wir sind Freunde, Alessa. Also hör jetzt auf mit dem Müll und nenne ihn endlich bei seinem Namen, wie jeder normale Mensch!" 


Erde, Wasser, Luft und Feuer | Kürbistumor & ZomdadoWo Geschichten leben. Entdecke jetzt