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!TW: Diskriminierung wegen der sexuellen Orientierung!

PoV. Patrick

Gedankenverloren packte ich die dickste Jacke, die ich besaß, in meinen viel zu großen Rucksack ein und hoffte sehr, dass meine Mutter nicht bemerken würde, dass ich nicht für eine Übernachtungsparty packte, sondern für die nächste ziellose Tour durch den Wald. Dieses Mal hatten wir nun einmal nicht Nela auf unserer Seite, die uns die Rucksäcke ausgiebig füllte.
Leicht musste ich grinsen, wenn ich daran dachte, ein nächstes Abenteuer mit Manu und den anderen zu erleben, und dieses Mal konnten wir uns sogar ziemlich gut leiden, vielleicht auch viel zu gut. Trotzdem war ich nicht sehr überzeugt davon, dass Tiana uns wirklich zu der Person führen würde, nach der wir von Anfang an gesucht hatten. Es schien so unwirklich, dass die Unwissenheit nun beendet werden sollte. Außerdem wusste niemand von uns, was uns erwarten würde. Möglicherweise gab es die Option unsere verrückten Kräfte für immer abzugeben, obwohl ich mir nicht mal sicher war, ob ich das wollen würde. Am Anfang hatte es mir genauso Angst gemacht wie den anderen, aber jetzt wüsste ich gar nicht mehr, was ich ohne meine eigene kontrollierte Luft tun sollte. Und auch, wenn wir nun ziemlich gute Freunde waren, wusste ich immer noch nicht genau, ob nur das, dieses unglaubliche gemeinsame Schicksal, uns so richtig verband oder ob es doch eine wahre Freundschaft war, mit der wir zu jeder Zeit umgehen könnten. Wenn wir unsere Kräfte nicht mehr hätten, könnte sich jeder von uns nach einem kleinen Streit ohne Weiteres einfach distanzieren und alles wäre vorbei.

Seufzend versuchte ich diese nervigen Gedanken zu ignorieren und beschloss, mich wieder auf das Wesentliche zu konzentrieren. Dieses Wochenende würde schon wundervoll werden, besonders weil Manu dabei war, aber vielleicht war der viel bessere Nebeneffekt auch noch, dass ich endlich aus diesem Haus herauskam. Ich hasste es, das Gefühl haben zu müssen, dass ich hinter diesen vier Wänden niemals ich selbst sein konnte und von meinen Eltern auch nie bedingungslos geliebt werden würde. "Schön, dass du wieder aus dem Haus kommst, Schatz. Nach der Trennung mit Alessa ist so etwas sehr wichtig!", ertönte die führsorgliche Stimme meiner Mutter ganz plötzlich, weshalb ich am liebsten lautstark seufzen würde. Wenn sie bloß wüsste, dass es aus einem ganz anderen Grund gut ist, hier endlich mal rauszukommen. "Zeit mit Freunden zu verbringen, ist super! Sie sind doch auch so liebe Jungen! Halten zu dir in dieser schrecklichen Zeit." Geradeso konnte ich mich davon abhalten, sarkastisch zu lachen, während mein Blick langsam auf sie fiel. Plötzlich waren meine Freunde ihr gut genug, nachdem sie mir vor ein paar Wochen noch den Kontakt verbieten wollte. Wahrscheinlich lag das alles nur daran, dass Alessa bei ihr unten durch war, nachdem herauskam, dass sie mich mit meinem besten Freund betrogen hatte. Leider konnte ich meiner Mutter schlecht erzählen, dass ich sie auch schon längst betrogen hatte und diese Beziehung schon viel zu lange zum Scheitern verurteilt gewesen war, weshalb auch niemand ein Problem mit dem anderen hatte. 

"Mir geht es gut Mama, das weißt du genau." "Ach, Kind, ich will doch nur, dass du irgendwann wieder einem Mädchen vertrauen kannst! Nur weil sie das getan hat, tut das nicht jede.", kam es aufmunternd von meiner Mutter, weswegen ich verwirrt die Augenbraue hochzog, da ich nicht wirklich wusste, worauf sie hinaus wollte. "Das weiß ich?" Lächelnd kam sie einen Schritt auf mich zu und legte ihre Hand auf meine Schulter. "Das ist gut! Ich will nur nicht, dass du dich wie dein Cousin fühlen wirst, so hat das nämlich auch bei ihm angefangen." Erschrocken atmete ich aus und bemerkte, wie die Wut in mir hochkochte. Sie verglich mich nur mit meinem Cousin, da sie Angst hatte, dass ich auch auf Jungs stehen würde, aber das war schon längst passiert und sie konnte es niemals ändern. "Was schaust du so? Das ist die Wahrheit! Plötzlich mochte er einen Jungen, nur weil ein Mädchen ihn so sehr verletzt hat. Das ist doch Quatsch!", redete sie weiter auf mich ein und dachte wahrscheinlich wirklich, dass das so geschehen war. Entsetzt befreite ich mich aus ihrem Griff und konnte ihr kaum in die Augen sehen. "Das macht keinen Sinn. Simon ist doch bisexuell, also mag er höchstwahrscheinlich auch noch Mädchen!", wurde ich etwas lauter und versuchte irgendeine Emotion in dem Gesicht meiner Mutter zu erkennen, doch sie sah mich noch genauso an und tat wahrscheinlich so, als würde ich das einfach nicht verstehen, nur die Einzige, die nichts verstand, war nun einmal sie. "Komm schon, beides geht nicht. Er hätte sich einfach für die Mädchen entscheiden sollen und alles wäre gut gewesen." 

Wütend schnaubte ich kurz und konnte mich kaum mehr halten. An diesem Punkt wusste ich, dass ich mich nicht mehr unter Kontrolle hatte, aber gehen konnte ich jetzt auch nicht so einfach. Es war ein schreckliches Gefühl, zu wissen, dass die eigene Mutter einen nicht so akzeptieren würde, wie man war. Es war ein schreckliches Gefühl, nicht gut genug für sie zu sein. "Du hast keine Ahnung.", murmelte ich leise und schloss kurz meine Augen, um mein Inneres beruhigen zu können, aber als ich nochmals ihre Stimme vernahm, verwarf ich diesen Plan schnell wieder. "Wie bitte, junger Mann?" "Du hast doch keine Ahnung davon!", schrie ich nun viel lauter und kam ihr einen Schritt näher. Entsetzt blickte sie mich an und ich wusste, dass das mein Ende sein würde, wenn ich weiter sprach, aber ich konnte nicht mehr still sein. Ich konnte es nicht mehr ertragen, dass sie mich eigentlich durchgehend still beleidigte und es nicht einmal wusste. Ich wollte, dass sie endlich wusste, wer ich war und vielleicht hoffte auch ein kleiner Teil in mir, dass sie es akzeptieren würde, weil sie ihren einzigen Sohn doch nicht einfach verstoßen konnte. "Weißt du was, Mutter? Es ist zu spät. Du hast Recht, ich bin wie Simon. Ich habe nicht gelogen, als ich gesagt hatte, dass ich einen Jungen geküsst habe, okay? Aber so bin ich geboren und du wirst das nie ändern können!", sprach ich es mir endlich von der Seele und konnte kaum fassen, dass ich das wirklich gesagt hatte. Es war raus, endgültig und auch wenn das ein verdammt unwohles Gefühl in mir auslöste, würde ich es nicht rückgängig machen wollen. Still schweigend hielt ich angestrengt ihrem schockierten Blick stand und fragte mich, ob sie jemals etwas dazu sagen würde. Kopfschüttelnd bewegte ich mich auf die Tür hinzu und wollte sie einfach eiskalt stehen lassen, doch dann griff sie urplötzlich nach meinem Handgelenk und ich hörte gleich auf zu atmen. Sofort blieb ich auf der Stelle stehen und rührte mich kein bisschen, während mein Körper sich vor Angst verkrampfte. 

"Du lügst! So haben wir dich nicht erzogen, Patrick. Hör endlich auf, mit deinen Lügen nach Aufmerksamkeit zu schreien!", befahl sie mir scharf und verfestigte wütend ihren Griff um mein Handgelenk. Gehässig lachte ich nur, damit ich in diesem Moment nicht auch noch weinen musste. "Ich lüge nicht! Da kannst du mir sagen, was du willst. Ich lüge nicht noch einmal für euch!" Voller Ekel blickte sie mich an, während mein Herz in tausend Stücke zerbrach und ich nie daran geglaubt hatte, dass eine Mutter ihr Kind jemals so ansehen konnte. Wahrscheinlich würde das der schlimmste Tag meines Lebens werden, den ich im Traum nie vergessen könnte und das war allein ihre Schuld. "Du magst keinen Jungen!", schrie sie mir ins Ohr, weshalb ich stark schlucken musste und mich mit einem Ruck aus ihrem Griff befreite. Ich hatte es satt mir von meinen Eltern sagen zu lassen, wer ich war. Ich hatte es einfach nur satt, dass das hier meine Familie sein sollte. "Du hast Recht! Ich mag ihn nicht, nein, ich liebe ihn! Wahrscheinlich habe ich das schon immer irgendwie getan, aber wegen euch, nur wegen euch, konnte ich dieses Glück nie richtig sehen!" 
Erschrocken über meine eigenen Worte trat ich erst einmal einen Schritt zurück. Schweigend versuchte ich die Lüge in meiner Aussage zu finden, aber es gab keine. Ich liebte Manu wirklich und ich fragte mich nur noch, ob ich ihn vielleicht sogar schon als Kind mehr gemocht hatte, als ich sollte. Vielleicht war das der Grund dafür, dass ich ihn aus heiterem Himmel einfach so betrunken geküsst hatte. Vielleicht war das der Grund dafür, dass ich Alessa überhaupt gemocht hatte, nur um meine eigentlichen verwirrenden Gefühle vergessen zu können. Vielleicht war es der Grund dafür, dass ich immer noch an ihn gedacht hatte, obwohl wir jahrelang nicht mehr befreundet gewesen waren. Ich hatte den Unterschied zwischen Freundschaft und Liebe einfach nicht erkennen können.



"Raus hier! Na los, raus!", drang der wütende Schrei meiner Mutter plötzlich zu mir durch, weswegen mein Blick nur erschrocken auf sie fiel. Mein Atem verschnellerte sich und ich drohte umzukippen, während ich angespannt da stand und versuchte herauszufinden, ob sie das wirklich ernst meinte. "Raus hier, habe ich gesagt! Bleib bloß weg!" Die Tränen flossen meine heißen Wangen herunter, weshalb ich schon nicht mehr richtig gucken konnte. Ich hatte einfach nur funktioniert, obwohl ich innerlich komplett zusammenbrach, weswegen ich schnell meinen Rucksack mit nahm und das Zimmer verließ. "Und komm' nicht wieder! Nie wieder!"

Erde, Wasser, Luft und Feuer | Kürbistumor & ZomdadoWo Geschichten leben. Entdecke jetzt