PoV. Maurice
"Komm mal her, Mauri. Deine Krawatte hängt irgendwie komisch." Erschrocken blickte ich kurz an mir herunter, um selbst nachzuschauen, was mit meiner Krawatte nicht stimmte, aber bevor ich überhaupt etwas sehen konnte, zog Zofia mich schon etwas unsanft näher zu sich und kümmerte sich um das Problem. Ohne Widerworte vertraute ich meiner besten Freundin, während mein Blick schon langsam durch den hübsch geschmückten Raum glitt und ich schließlich meinen Vater auf seinem Platz erkannte, der meinen jüngsten Bruder lächelnd auf seinem Schoß sitzen ließ. Auch meine anderen beiden Geschwister saßen brav neben ihm, obwohl ich glaubte zu erkennen, dass Sina nur gelangweilt auf ihrem Smartphone herumtippte. "Kommt sie wirklich nicht?", hakte Zofia etwas besorgt nach, weswegen ich meinen Blick von meiner Familie löste und ihr wieder in die Augen sah, da sie mein Outfit schon längst gerettet hatte und mich nun erwartend beäugte. Kurz dachte ich darüber nach, nur mit der Schulter zu zucken, aber letztendlich schüttelte ich doch mit dem Kopf, weil ich diese Antwort eigentlich schon vorher gekannt hatte. "Sch*iß drauf! Du hast alles richtig gemacht und sie eingeladen, du bist nicht Schuld."
Schweigend nickte ich nur leicht, während ich daran dachte, wie sehr ich mich dagegen gesträubt hatte, ihr eine Einladung zu meiner Abschlussfeier zu schicken, aber Zofia und Micha hatten so lange auf mich eingeredet, bis ich letztendlich doch eingeknickt war. Und sie hatten ja trotz allem recht gehabt, ich hatte das mindeste getan und bereute deswegen gar nichts. Nachdem meine Eltern mir endlich gestanden hatten, dass sie eigentlich schon längst getrennt waren wegen der leichtsinnigen Affäre meiner Mutter, schien schließlich alles einen Sinn zu ergeben. Endlich hatte ich verstanden, warum mein Vater kaum Zuhause war und bereute sehr, dass ich so schlecht von ihm gedacht hatte, besonders weil die Geschichten meiner Mutter nur zur Hälfte der Wahrheit entsprachen. Vielleicht war mein Vater öfter in einer Bar gewesen als sonst, aber trotzdem schien es nicht so ernst gewesen zu sein, wie alle gesagt hatten. So lief das wohl in einem Kaff wie hier. Und als wir es dann noch meinen Geschwistern gebeichtet hatten, sah meine Mutter die einzige Lösung darin, auszuziehen und mit ihrer neuen Flamme zu leben. Damals hatte ich ihren Worten noch Vertrauen geschenkt, von wegen, dass sie uns immer besuchen kommen würde und wir auch mal bei ihr vorbeischauen konnten, aber als wir uns immer weniger gesehen hatten, bis dann auch gar nicht mehr, verstand ich endlich, dass sie wohl ein neues Leben hatte. Und ab jetzt hatte ich das auch.
Schließlich war ich selbst so weit gekommen, ohne viel dafür getan zu haben. Von einer schüchternen, einsamen Person, die mit niemanden außer Zofia reden konnte und am liebsten langweilige Bildchen in seinen Collegeblock gemalt hatte, zu jemanden, der verstanden hatte, was es hieß, zu lieben. Damals war meine einzige Aufgabe gewesen, fast jeden Tag auf meine Geschwister aufzupassen und in der Schule mitzukommen, aber durch dieses verrückte Schulprojekt hatte sich einfach alles verändert. Das erste Mal in meinem Leben hatte ich mich gegen andere verteidigt und mich getraut, ihnen zu sagen, was ich dachte. Wenn ich nämlich ehrlich war, hatte ich schon mein ganzes Leben lang so viel gedacht, ohne es wirklich aussprechen zu können. Ich war ein offener und freier Mensch geworden, der sich nicht mehr verstecken musste und zeigen konnte, wie klug und stolz er eigentlich wirklich war. Meine unschuldige, kleinmachende Seite war schon längst verschwunden. Und am Ende des Tages schien das den meisten Menschen ziemlich gut zu gefallen, zumindest denen, denen ich gefallen wollte.Mit einem Mal wurde ich aus meinen Gedanken gerissen, als unsere Klasse plötzlich aufgerufen wurde und wir nun endlich den Raum betreten durften, der nur für unseren Jahrgang so hergerichtet worden war. Etwas stockend liefen Zofia und ich den anderen hinterher, bevor wir uns auf unsere Plätze setzten, so wie wir es vorher oft geübt hatten. Nachdenklich begutachtete ich den Platz neben Zofia, der komischerweise leer geblieben war und fragte mich ein weiteres Mal, was sie mal wieder vor hatte. Doch als schließlich unsere Parallelklasse aufgerufen wurde, blickte ich lächelnd nach vorne und schaute gleich in die eisblauen Augen von Michael, die mich zu durchbohren schienen. Dümmlich grinsten wir uns nur an, bevor auch er sich setzte und wir nun genau gegenüber voneinander saßen. "Wie sie jetzt wirklich Händchenhalten, so kitschig.", lachte Zofia neben mir und deutete auf Manu und Patrick, die sich wirklich, so wie sie es mehrmals angekündigt hatten, an den Händen hielten und ihre Finger miteinander verschränkten. Lächelnd rollte ich nur spielerisch mit den Augen und konnte kaum glauben, dass sie sich kein bisschen verändert hatten. Nachdem sie die Schule das erste Mal offiziell als Paar betreten hatten, gab es glücklicherweise kaum Probleme. Natürlich wurde geredet und es gab auch dumme Bemerkungen, aber genau das war für Patrick und Manu das Zeichen, noch mehr zu zeigen, wie glücklich sie zusammen waren.
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Erde, Wasser, Luft und Feuer | Kürbistumor & Zomdado
FanfictionDie Welt. Vier Elemente, die das Gleichgewicht halten. Erde, Wasser, Luft und Feuer. Doch was hatte das mit vier komplett verschiedenen Jugendlichen zu tun, die sich eine Woche lang wegen eines Schulprojektes jeden Morgen im Wald treffen mussten? "N...